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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Jaenner 2011; 01:12
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Reisen:

> Kubanische Impressionen

Im Anschluss an den UNO-Klimagipfel bzw. den Alternativengipfel in
Cancun, ueber die ich laufend berichtete, machte ich mich zu einer
politischen Reise nach Cuba auf den Weg. Nach ueber 20 Jahren wollte
ich mir erneut einen Ueberblick verschaffen, wie es um die kubanische
Revolution bestellt ist.

Die Ausdruecke "Ueberblick" und "Impressionen" sind bewusst gewaehlt:
10 Tage in Havanna, Matanzas und am Varadero koennen nicht mehr
verschaffen. Eine umfassende Analyse steht also bei weitem aus. Aber
10 Tage mit offenen Augen herumgehen, mit vielen Leuten reden,
explizit politische Gespraeche (auch mit hochrangigen
Funktionaerinnen) zu fuehren gibt einiges her. Darueber will ich im
Folgenden berichten.

Auch nach ueber 50 Jahren Revolution ist die Armut des Landes
unmittelbar erkennbar: an den niedrigen Loehnen, dem veralteteten
Maschinenpark vieler Fabriken, dem Verfall der (historischen)
Bausubstanz, etc. Die Hauptgruende liegen auf der Hand: das koloniale
Erbe und die fruehere und aktuelle Politik des (US)-Imperialismus
(auch unter dem "schwarzen Kennedy" Obama). Die Sklaverei wurde auf
Kuba erst ganz spaet im 19.Jahrhundert abgeschafft , das Land
wechselte von einer spanischen zu einer US-Kolonie und bis zu Batista
zu einem Anhaengsel und Freudenhaus des US-Imperiums. Die Revolution
1959 hatte es mit einem schlimmen Erbe zu tun. Aktuell steht das Land
ganz im Banne des fuerchterlichen US-Embargos

Dass dennoch Grandioses geleistet wurde und wird, ist deutlich
sichtbar. Das hervorragende Gesundheitssystem etwa ist international
bekannt und geachtet. Von der sehr hohen Lebenserwartung der
KubanerInnen kann man sich bei jedem Spaziergang ueberzeugen. In
Matanzas mache ich ein typisches Erlebnis: gemeinsam mit meiner
ziemlich erkaelteten Lebensgefaehrtin betrete ich eine Apotheke und
ersuche um Medikamente fuer sie. Sehr freundlich wird uns geholfen und
jegliche Bezahlung abgelehnt!

Ebenso ist das gesamte Bildungssystem gratis. Ein Kellner, der am
Varadero als Kellner in einem Hotel arbeitet und nebenbei (schwarz)
taxelt, erzaehlt uns von seiner Tochter, die kostenlos Medizin
studiert. Auf die Frage "In Havanna?" antwortet er. "Nein gleich hier
in der Naehe - Unis gibt es ueber das ganze Land verteilt".

Bei einem Rundgang in der schlicht sensationellen Altstadt von Havanna
wird einem der Verfall der (alten) Bauten auf Schritt und Tritt
bewusst. Havanna Vieja ist zwar schon seit geraumer Zeit
UNO-Weltkulturerbe, die Hilfsgelder scheinen jedoch nur sehr spaerlich
zu fliessen. Hingegen hat die Stadt einen eigenen " Historiker", der
mit einem engagierten MitarbeiterInnen-Team Schritt fuer Schritt an
die behutsame Renovierung der Baujuwele herangeht. Eine wichtige
Besonderheit: Die BewohnerInnen in den zu renovierenden Hauesern
verbleiben waehrend der Restaurierungen entweder in ihren Wohnungen
oder es werden ihnen Ersatzwohnungen zugewiesen. Mit anderen Worten:
sie werden nicht wie in vielen anderen Metropolen der "Sanierung"
geopfert!

Kuba hat -- insbesonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und
der anderen Laender des "realen Sozialismus" -- insbesonders im
Tourismus verstaerkt Joint Ventures mit internationalen
Kapitaltraegern geschlossen, um dringend benoetigt Devisen zu
bekommen. Die damit verbundenen psychologischen Konsquenzen sind
offenkundig: nicht wenige der im Fremdenverkehrssektor Taetigen, deren
Gehaelter ebenfalls recht niedrig sind, entwickeln zunehmend eine
"Bakschisch"-Mentalitaet- also Leistungen ( z.B. Zimmeraufraeuemen)
nur dann, wenn es Trinkgeld gibt.

Auf dem Varadero mache ich in diesem Zusammenhang eine traurige
Erfahrung. Die Revolution hat u.a. die legendaere Du Pont-Villa in
oeffentliches Eigentum uebergefuehrt und fuer jedermann zugaengig
gemacht: ich kann mich noch genau daran erinnern, wie vor 20 jahren
"einfache KubanerInnen" hier ein- und ausgingen, speisten oder in der
stets zugaenglichen Bibliothek- sassen. Heute ist die Villa ein
Nobelschuppen, "einfache Kubanerinnen" sehe ich keine -- dafuer ist
die Villa Sitz des "Kubanischen Golf -Clubs"...

Bei den politischen Gespraechen wird einmal mehr deutlich wie wichtig
die Solidaritaet mit der kubanischen Revolution (etwa mit den " Cuban
Five") ist, um ihre nicht selbst verschuldete Isolation zumindest zu
mildern, wenn schon nicht zu sprengen. Im ICAP ( Kubanisches Institut
der Freundschaft der Voelker) wird die Rolle des ALBA-Projets
gewuerdigt (Kuba raffiniert etwa Erdoel aus Venezuela fuer den
Karibikraum), aber freimuetig einbekannt, dass ALBA noch in den
Kinderschuhen steckt.

In der Zentrale der kubanischen Gewerkschaften werde ich mit den
Worten begruesst: "Ah, Du kommst aus Cancun. Na das war ein Flop!"
Warum allerdings die ambitionierten BolivianerInnen in Cancun selbst
von den ALBA-Staaten -- also auch von Kuba -- im Regen stehen gelassen
wurden, bleibt unerwaehnt.

Das heikelste Thema sind zweifelsohne die derzeit laufenden
"oekonomischen Reformmassnahmen". Je nach unterschiedlicher Angabe
sollen zwischen 500.000 und ueber einer Million Menschen ihre
(bisherigen) Arbeitsplaetze verlieren. Die kubanischen
GewerkschafterInnen gehen in ihrer Argumentation Punkt fuer Punkt vor.
"Zuerst einmal muss die Krise und die Notwendigkeit von
Reformschritten einbekannt werden. Dann erfolgt auf der Basis
allgemein gehaltener Vorschlaege die consulta (Befragung) der
Gesellschaft. Schliesslich wird auf dem Parteikongress (im April-H.D.)
die Entscheidung fallen".

Ich steige vorsichtig in die Debatte ein und verweise darauf, dass es
fuer Krisen und Loesungsversuche internationale Parallelen (nicht
Identitaeten!) gibt. Trotzdem wird auf die "Einzigartigkeit des
socialismo tropical" gepocht. Ich erwaehne die gaenzlich
unterschiedlichen Konzepte fuer eine "Neue Oekonomische Politik (NEP)
in der jungen Sowjetunion der 20er-Jahre, auf die aktuellen Debatten
in China (die ich im Vorjahr in Peking, Shanghai bzw. Szouchou
verfolgen konnte). Meine GespraechspartnerInnen konzedieren, dass man
von internationalen Erfahrungen lernen kann, aber nach zwei Stunden -
solidarischer - Debatte laeuft die Zeit davon...-

Ein Resumee? Wird schwierig -- ich probier's trotzdem: Kuba befindet
sich zweifelsohne an einem Schnittpunkt. Die von niemanden geleugnete
Krise des bisherigen "Entwicklungsmodells" verlangt neue Wege -- ohne
in Katastrophismus zu verfallen, denn die kubanische Revolution hat
schon etliche schwerste Situationen gemeistert! Die bis jetzt
veroeffentlichten Positionen gehen vor allem in Richtung "Abspecken"
des Staates, insbesonders im Bildungs- und Gesundheitsektor. Sie
hoeren sich ziemlich aehnlich an wie die "Mehr Markt"-Positionen in
China oder Vietnam.

Dass andere Alternativen (mehr Pluralitaet; Demokratie und
Partizipation generell und im oekonomischen Planungsprozess;
Selbstverwaltung von Betrieben; starkes Gewicht auf oekologische
Fragen etc.) moeglich und in Ansaetzen sogar vorhanden sind wird kaum
sichtbar. Die "Granma" etwa ist ein ziemliches "Steinzeitblatt".

Noetig waeren vor allem Offenheit, maximale Transparenz, freie
Diskussion ohne Scheuklappen -- wie in der kubanischen
"Planungsdebatte" der 60er-Jahre (u.a. mit Che Guevara, Ernest Mandel,
Charles Bettelheim). Nicht ein Mehr an Demokatie schadet der
Revolution, sondern ihre Gaengelung: das Beispiel des Niedergangs der
stalinisierten Sowjetunion und ihrer Satelliten spricht Baende.
Diejenigen, die die freie Artikulation der Gesellschaft und LINKE
Alternativen verhinderten, waren und sind diejenigen, die die
Restauration des Kapitalismus betreiben.
*Hermann Dworczak*




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