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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Dezember 2010; 21:31
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Asyl/Debatte:

> Stellungnahme

von *Karin Klaric* zu den Anschuldigungen
von Asyl in Not (akin 29/2010)


Ich bin zutiefst betroffen und erschuettert ueber die Art und Weise,
aber auch ueber die Anschuldigungen selbst in der Stellungnahme von
Dr. Michael Genner.

Auf Grund der Schwere der Anschuldigungen muss ich dazu Stellung
nehmen - und es ist mir wichtig, dazu weiter auszuholen und mich auch
"umfangreich" zu aeussern:

Familie P. suchte mich im Maerz 2010 nach Abschluss ihrer
Asylverfahren verzweifelt mit der Bitte um Rat und Hilfe auf und
teilte mir mit, dass ihr Verfahren abgeschlossen sei. Weiters
bestaetigte mir die Familie und eine oesterreichische Unterstuetzerin,
dass die Familie mittlerweile vollkommen unvertreten sei, da niemand
mehr helfen wolle und koenne. Ich uebernahm daher die Vertretung des
Falles und beriet die Familie rechtlich und sozial. Die Situation
gestaltete sich folgendermassen: die Familie fuerchtete die
Abschiebung nach Polen nach 4jaehrigem Aufenthalt. Die Mutter war ohne
Krankenversicherung, aus aerztlichen Befunden ging eine schwere
psychische Erkrankung hervor. Der Familie wurde als Ausweg geraten
"unterzutauchen", um nach 6 Monaten einen neuen Asylantrag zu stellen.
Davon riet ich der Familie - wie immer - eingehend ab, machte
insbesondere dem aelteren Sohn klar, dass dies vor allem
schwerwiegende Folgen fuer den juengeren Bruder haette, und dass sie
sich nicht aus der Caritas Unterkunft entfernen sollten. Ich versuchte
immer wieder, mit aerztlichen Befunden eine Aufnahme der Familie in
die Grundversorgung zu erwirken und zumindest medizinische Versorgung
fuer die schwer kranke Mutter zu gewaehrleisten.

Ich war mindestens 14-taegig im Kontakt mit der Familie, insbesondere
mit dem aelteren Sohn. Im Oktober dieses Jahres (zur Zeit der
Zwillingsabschiebung war ich wirklich schwer fuer ihn erreichbar)
erzaehlte er mir anschliessend, dass er die Nerven verloren und mit
seiner Mutter - ohne mich zu informieren und seinen Angaben nach
alleine - einen Folgeantrag gestellt habe. Er legte mir auch die
Mitteilung, dass das Asylamt beabsichtige, den Antrag zurueckzuweisen,
und die Verpflichtung zur 72stuendigen Meldung bei der Polizei vor.
Aus allen Unterlagen war fuer mich nicht ersichtlich, dass er
zwischenzeitlich Asyl in Not aufgesucht und/oder zum Vertreter
bestellt hatte. Er selbst hat mir dies nicht mitgeteilt, sondern
gesagt, dass er alleine auf eigene Faust aus Angst vor Abschiebung den
Folgeantrag gestellt habe.

Ehrlich gesagt kann es oefter vorkommen, dass AsylwerberInnen aufgrund
der schwierigen Situation ohne Ruecksprache mit dem Vertreter handeln,
oder sich bei jeder Organisation Rat holen. Wir handhaben es so, dass
wir jeden, der von einer anderen Organisation beraten wird, wieder an
diese Stelle verweisen. Jeder Vertreter hat einen anderen Zugang zum
Fall oder einen anderen Loesungsweg. Aber im Fall P. war fuer mich
weder aus den Aussagen des Klienten noch aus den Unterlagen, die mir
vorlagen, ein anderer Vertreter ersichtlich.

Ueber die Sinnhaftigkeit des Folgeantrages kann nun fachgesimpelt
werden. Ich jedenfalls war aus verschiedenen Gruenden - die ich auf
Wunsch der Familie hier leider nicht angeben darf - GEGEN einen
Folgeantrag mit der Begruendung "6 Monatsfrist verstrichen". Asyl in
Not sah das - auf Grund eines anderen Zugangs zum Fall - eben anders.

Am Sonntag, abends, den 29.11. bekam ich dann von unserem Buero ein
Schreiben der Fremdenpolizei uebermittelt, in welchem ich - wiederum
als einzige Vertreterin angefuehrt - ueber die bevorstehende
Abschiebung der gesamten Familie P. informiert wurde. Es wurde mir
mitgeteilt, dass die Ueberstellung nach Polen mit dem Bus und die
Ankunft am Zielort in Polen fuer Mittwoch, 9 Uhr frueh, geplant sei.

Am Montag in der Frueh leitete ich alle mir moeglichen rechtlichen
Schritte in die Wege, um die Abschiebung zu verhindern, allerdings
ohne Erfolg. Daraufhin kontaktierte ich die Vertrauensperson der
Familie mit der Bitte, mit der Familie so rasch wie moeglich zu mir
ins Buero zu kommen. Ich wollte jedenfalls in Ruhe die Lage erklaeren
und verhindern, dass die Familie in Panik geraet und ohne
Beratungsgespraech versucht, sich dem Verfahren zu entziehen.

Gegen 15 Uhr kam die gesamte Familie dann zu mir ins Buero und ich
eroerterte mit ihnen die Rechtslage. Letztendlich kam die Familie nach
langer Beratung zum Schluss, insbesondere auch aus Ruecksichtnahme auf
Magomed, dem juengeren Bruder, sich nicht dem Verfahren zu entziehen.
Auch bat mich der aeltere Sohn, Khizar, um Unterbringung im Haus bis
zur Abholung durch die Fremdenpolizei, da er sich alleine der
Situation nicht gewachsen fuehle und auch Angst um die Mutter hatte.

Ab dem Moment wurden die engsten Freunde der Familie informiert, um
ihnen beizustehen. Eine Psychologin kuemmerte sich um die Mutter und
ich informierte umgehend telefonisch und schriftlich die
Fremdenpolizei, die zustaendige PI im 12. Bezirk und das Caritas Heim
ueber den Sachverhalt. Ich teilte allen mit, dass die Familie lieber
in der Obhut der Freunde im Haus bleiben wolle und sich bis zum
Zeitpunkt der Abholung in den kommenden Stunden im Freunde Schuetzen
Haus aufhalten wuerde.

Die Familie ist keineswegs im Haus untergetaucht. Daher kann deswegen
auch keine Abschiebung veranlasst oder eine Frist zur Ueberstellung
nach Polen verlaengert worden sein. Sondern der - mit dem Ansatz von
Asyl in Not fast schon gewonnene - Fall wurde offensichtlich leider
verloren. Was aber keine Schande ist, sondern umso mehr zeigt, wie
wichtig es ist, dass das Unrecht, das passiert, aufgezeigt wird.

Das Freunde Schuetzen Haus fordert eine generelle Loesung fuer alle
Faelle von langjaehrig hier lebenden, in Oesterreich gut integrierten
Menschen - ohne Spiele.

Mir ist es zu wenig, auch wenn ich andere Vertreter nachvollziehen
kann, die anders entscheiden, nur wieder eine Luecke im Gesetz
anzuwenden und auf den Ausgang zu warten.

Weiters ist - eben durch die Medienpraesenz - auch belegbar, das ich
mich im Fall P. niemals als Retterin aufgespielt habe, sondern
eindringlich festhielt, dass es alleine die - im Sinne der
Verhaeltnismaessigkeit - richtige Entscheidung der Fremdenpolizei war,
die vor allem den volljaehrigen Sohn vor einer Abschiebung an diesem
Abend bewahrt hat. Er haette durchaus - und viele Kollegen werden dies
bestaetigen - an diesem Abend noch von der Fremdenpolizei mitgenommen
und abgeschoben werden koennen, ebenso wie auch die Mutter durchaus
noch haette im Spital festgenommen und einer amtsaerztlichen
Untersuchung zur Tauglichkeit der Abschiebung haette unterzogen werden
koennen.

Dr. Jelinek hat (Chefin d.- Fremdenpolizei Anm.) - in meiner Zeit als
Beraterin - erstmalig sofort dem juengeren Sohn Magomed versichert,
dass die Abschiebung vorerst gestoppt werde und weder Sohn noch Mutter
vom Spitalsbett weg fest genommen wuerden.

Da bis heute Grundsaetze, wie das Verhaeltnismaessigkeitsprinzip, von
den Behoerden nicht umgesetzt werden, sehe ich es als
Selbstverstaendlichkeit an, diesen - unueblichen - Schritt der
Fremdenpolizei als positiv zu werten.

Mein Team und ich haben dieses Haus unter anderem ins Leben gerufen,
um oeffentlich zu machen, wie es den betroffenen Menschen geht, und um
die Diskrepanz zwischen der "trockenen behoerdlichen
Berichterstattung" und der Realitaet zu dokumentieren.

Staendig wird von "konstruierter" psychischer Erkrankung oder
Suizidgefaehrdung gesprochen, und auch hier muss zumindest
aufgezeichnet werden, was vor Ort passiert ist, um Angriffe widerlegen
zu koennen.

Ja, es wurde der Einsatz der Sanitaeter aus Dokumentationsgruenden -
nicht wegen reisserischer Inszenierung - aufgezeichnet.

Ich wurde erst heute, nach Lesen der Vorwuerfe von Dr. Genner, von
Herrn P. ueber seinen Kontakt mit Asyl in Not informiert und darueber
aufgeklaert.

Ich kann mich nur auf seine Herrn Ps Aussage berufen: Zum angefuehrten
Telefonat mit Frau Maga. Rudersthaller meinte er nur, dies habe so
stattgefunden, er wollte sie einfach "abwimmeln" (ich wusste davon bis
heute nichts).

Zu den Vorwuerfen, wir wuerden unsere Familien nicht "frei" leben
lassen, kann ich nur den Kopf schuetteln - und ich bitte jeden, sich
selbst ein Bild zu machen.

Abschliessend moechte ich festhalten, dass ich den Umgangston, die
Vorgehensweise und die Vorwuerfe fuer unfassbar halte.

Die Art und Weise, solch schwerwiegenden und unrecherchierten
Vorwuerfe ueber Presseaussendungen zu kommunizieren, ist fuer mich
nicht nachvollziehbar.

Ich hoffe, dass alle, die wir in derselben Sache uns auf
unterschiedlichste Weise aber doch mit ganzem Herzen engagieren, es
schaffen, endlich miteinander an einem Strang zu ziehen.

So unterschiedlich alle Organisationen auch sind, so klein und gross
wir auch einzeln sein moegen, es ist vor allem wichtig, endlich die
Vorurteile sein zu lassen und stattdessen die Dinge, die uns
unterscheiden und verschieden handeln lassen, als Plus anzunehmen und
geeint und abgesprochen fuer die Sache - die uns alle wohl verbindet -
einzutreten. ###



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