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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Dezember 2010; 02:33
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EU:

> Saatgut-Vielfalt in Gefahr?

EU-Erhaltungssortenrichtlinie: Aus fuer Pflanzentauschmaerkte im Jahr
der Biodiversitaet?

Im Juni 2008 hat die EU-Kommission die Richtlinie 2008/62/EG erlassen.
Sie regelt die Zulassung von Landsorten und seltenen Sorten, die von
genetischer Erosion bedroht sind und bis jetzt noch nicht registriert
waren sowie das "Inverkehrbringen" dieser Sorten. Bei einer
Informationsveranstaltung des Lebensministeriums wurden nun die
Durchfuehrungsbestimmungen fuer Oesterreich vorgestellt. Die
anwesenden ErhalterInnen von seltenen und bedrohten Sorten reagierten
entsetzt: "Unsere schlimmsten Befuerchtungen wurden uebertroffen", so
Florian Walter, Bergbauer in Poels und Erhalter zahlreicher Sorten.
"Dies ist das Aus fuer die so beliebten Pflanzentauschmaerkte! Das
muehsam aufgebaute Netzwerk von ErhalterInnen in Oesterreich wird mit
diesen Regelungen in Frage gestellt."

Bisher waren Erhaltungssorten freie Sorten, die genutzt, vermehrt und
weitergegeben werden durften. Nach Inkrafttreten der
Umsetzungsbestimmungen koennen diese Sorten in einem - im Vergleich
zum regulaeren Zulassungsverfahren - vereinfachten und billigeren
Verfahren zugelassen werden. Bis jetzt gab es diese Moeglichkeit
nicht. Sobald jedoch eine Sorte als Erhaltungssorte zugelassen ist,
darf sie nur mehr von den jeweiligen Zulassungsinhabern vermehrt und
verkauft werden. Die Sorte, die bisher allen frei zu Verfuegung stand,
wird somit privatisiert.

Genau dieser Punkt loest Empoerung auf Seiten der ErhalterInnen aus.
"Diese traditionellen und seltenen Sorten werden seit Jahren von
zahlreichen Bauern und Baeuerinnen sowie GaertnerInnen vermehrt,
betreut und zuechterisch verbessert. Nun sollen wir sie nicht mehr
verkaufen, ja nicht einmal mehr tauschen duerfen! Fuer uns
ErhalterInnen bedeutet das ein staendiges Leben in Ungewissheit, ob
nicht morgen auch die geschaetzte und gehuetete Lieblingssorte
privatisiert ist und nicht mehr weitergegeben werden darf. Wer wird
sich dann noch die Muehe machen Sorten zu erhalten und weiter zu
entwickeln?" so Walter entruestet.

Derzeit befinden sich in Oesterreich fast 70 Gemuesesorten im
Zulassungsverfahren, darunter so bekannte und beliebte Sorten wie die
Tomaten "Green Zebra" und "Auriga" oder der Paprika "Roter
Augsburger". EU-weit sind bereits 100 Sorten zugelassen. Sobald ein
EU-Mitgliedsland eine Region als "Ursprungsregion" einer gewissen
Sorte anerkennt, darf diese nur mehr in dieser Region angebaut werden.
Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten sind
damit vorprogrammiert. Zusaetzlich gelten strenge
Mengenbeschraenkungen.

"Die EU-Kommission hat vorgegeben, durch die
Erhaltungssortenrichtlinie die Bewahrung und Weiterentwicklung von
traditionellen und seltenen Sorten erleichtern zu wollen. Das
Gegenteil ist der Fall! Die Richtlinie und insbesondere auch ihre
Umsetzung in Oesterreich machen die Arbeit der ErhalterInnen zunichte.
Im Internationalen UN-Vertrag ueber Pflanzengenetische Ressourcen fuer
Ernaehrung und Landwirtschaft (ITPGR-FA) ist das baeuerliche Recht,
Samen aus eigener Ernte zu gewinnen, zu tauschen und zu vermarkten,
festgeschrieben. Dieser Vertrag wurde von der EU und allen
Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Durch die Erhaltungssortenrichtlinie
wird dieses Recht verletzt", aergert sich Heike Schiebeck,
Vorstandsmitglied der OeBV-Via Campesina Austria, der
Oesterreichischen Berg- und KleinbaeuerInnenvereinigung.

"Die Umsetzung der Saatgutrichtlinie legalisiert die Biopiraterie:
Pflanzensorten, die ueber Jahrhunderte von unzaehligen Generationen
von Baeuerinnen und Bauern gezuechtet wurden, sollen nun zum Eigentum
einzelner Zulassungsinhaber werden. Seltene Sorten, die zynisch als
"Liebhabersorte ohne oekonomischen Nutzen" bezeichnet werden, sind
durch das teure Zulassungsverfahren und die restriktiven
Anbaubestimmungen vom Aussterben bedroht. Im schlimmsten Fall werden
dutzende oder hunderte traditioneller Saatgutsorten so binnen weniger
Jahre durch Europas Agrarbuerokratie ausgerottet", befuerchtet Michael
Johann, Obmann der Gruenen Baeuerinnen und Bauern.

Das ErhalterInnennetzwerk, die OeBV-Via Campesina Austria und die
Gruenen Baeuerinnen und Bauern fordern die politisch Verantwortlichen
in Oesterreich auf, die Durchfuehrungsbestimmungen der
Erhaltungsrichtlinie einer gruendlichen Ueberarbeitung zu unterziehen.
Insbesondere die Regelungen, die sich auf den Verkauf, die Weitergabe
und den Tausch von Saatgut beziehen, muessen so abgeaendert werden,
dass die Arbeit der zahlreichen ErhalterInnen nicht bedroht wird.
(OeBV-Via Campesina Austria)

Link: http://www.viacampesina.at



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