**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Dezember 2010; 02:35
**********************************************************

Oesterreich/Religion/Recht:

> Das Ende des Islam-Monopols?

VfGH lehnt Alleinvertretungsanspruch der IGGiOe ab

Auf die Islamische Glaubensgemeinschaft in Oestereich (IGGiOe) kommt
ein Problem zu. Denn das Alleinvertretungsrecht fuer alle Muslime
wackelt. Der Grund: Der "Kulturverein von Aleviten in Wien" verlangt
als eigene gesetzliche Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden --
oder zumindest als "Bekenntnisgemeinschaft", einer Art Sparvariante
oder Vorstufe der gesetzlichen Anerkennung als Religion.

Was das die IGGiOe angeht? Nun, der Kulturverein vertritt die (auch
unter den Aleviten selbst) umstrittene Auffassung, die Aleviten waeren
Muslime. Diese wuerden allerdings nicht von der IGGiOe vertreten. Die
IGGiOe hingegen vertritt den Standpunkt, dass das Alevitentum eine
Glaubensrichtung sei, die mit den religioesen Praktiken der Sunniten
und Schiiten in keiner Weise etwas zu tun habe, sondern vielmehr eine
Glaubenslehre vertrete, die "der islamischen Glaubenstheologie
diametral entgegenstehe". Allein der Antrag auf Anerkennung als zweite
islamische Glaubensgemeinschaft sei daher "eine unzulaessige grobe
Einmischung in die inneren Angelegenheiten der IGGiOe".

Der Anlass fuer diese harsche Aussage war das Verfahren im Ministerin
fuer Unterricht, Kunst und Kultur zur Begutachtung des alevitischen
Antrags. Das Ministerium hatte naemlich die IGGiOe als "mitbeteiligte
Partei" um eine Stellungnahme gebeten. Nach dieser Stellungnahme
entschied das Ministerium den Antrag abschlaegig, mit der Begruendung,
dass es eben schon eine anerkannte islamische Glaubensgemeinschaft in
Oesterreich gebe.

"Nach hanefitischem Ritus"

Die Sache ist verzwickt. Das Islamgesetz von 1912 war geschaffen
worden, um die neu hinzugekommenen muslimisch-bosnischen Untertanen
auch mit einer gesetzlichen Religionsgemeinschaft zu bedenken.
Deswegen stand auch im Gesetz, die Gemeinschaft wuerde lediglich die
Glaeubigen "nach hanefitischem Ritus" vertreten. Erst 1987 wurde
dieser Passus aus dem Gesetz durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH)
getilgt -- seit damals besteht somit ein Vertretungsanspruch aller
Muslime durch die IGGiOe; allerdings, wie viele kritischen Stimmen
immer wieder betonen, ohne dass die Glaubensgemeinschaft andere
Muslime in ihre Entscheidungsprozesse miteinbezogen haette.

IGGiOe-Statement al Beweis

Der alevitische Kulturverein wandte sich nun aber ebenfalls an den
VfGH. Und zwar mit der Argumentation der IGGiOe selbst. Denn wenn die
IGGiOe dem Alevitentum die Anerkennung als islamisch verweigere, zeige
sie damit doch, dass die anerkannte Glaubensgemeinschaft die Aleviten
eben nicht vertrete und diese damit Anspruch auf eine eigene
Glaubensgemeinschaft haetten.

Weiters, so die Argumentation des Kulturvereins, wuerde der
Gleichheitsgrundsatz verletzt: Die ungleiche Behandlung der Anhaenger
des alevitischen Islam ergebe sich daraus, dass Christen unter den
verschiedenen Bekenntnisformen waehlen und dennoch Christ bleiben
koennten, waehrend der muslimische Alevit keine solche Moeglichkeit
habe.

Der Verfassungsgerichtshof bestritt in seinem jetzt ergangenen
Entscheid das Recht der religioesen Gruppierung auf Anerkennung als
Religionsgemeinschaft, da eine solche Anerkennung erst erfolgen
koenne, wenn vorher eine Bekenntnisgemeinschaft bestanden haette --
ohne diese Vorstufe sei eine volle Anerkennung als Religion nicht
machbar. Allerdings gab er der alevitischen Gruppe insofern Recht, als
dass nirgendswo rechtlich verankert sei, dass es in Oesterreich nur
ein einzige islamische Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft geben
duerfe. Damit, so der VfGH, werde zwar noch nicht das Anrecht auf
Anerkennung bestaetigt, da neu beantragende Religionsgruppierungen
nach dem geltenden Recht zur Anerkennung eine ganze Reihe von
Bedingungen zu erfuellen habe. Eine eventuelle neuerliche Ablehnung
durch das Ministerium duerfe aber nicht damit begruendet werden, dass
es schon die IGGiOe gebe.

Moegliche Folgen

Mit diesem Urteil wird der bislang als selbstverstaendlich angesehene
Alleinvertretungsanspruch der IGGiOe in Frage gestellt. Der Abgang der
Aleviten, die die Oberhaeupter der Glaubensgemeinschaft sowieso immer
nur genervt haben duerften, waere fuer die Islam-Monopolisten
organisatorisch nicht unbedingt ein Verlust. Allerdings koennte sich
das auch auf die Kontrolle ueber den islamischen Religionsunterricht
durch die IGGiOe auswirken -- oder diesen zumindest einschraenken.
Bislang waren Kinder aus alevitischen Familien meist ungefragt in den
sunnitisch gepraegten Unterricht gesteckt worden. Eine Anerkennung als
Bekenntnisgemeinschaft braechte den Aleviten zwar noch keinen eigenen
Unterricht (dieser ist weiterhin nur den anerkannten Religionen
vorbehalten), aber ihre Kinder wuerden nicht nur der sunnitischen
Doktrin entzogen, sondern an vielen Orten koennte der islamische
Religionsunterricht generell wegfallen, weil die dafuer erforderliche
Mindeszahl an als "muslimisch" definierten Kindern an der Schule nicht
mehr erreicht wuerde.

Auch die Definitionsmacht der IGGiOe gegenueber sowohl der
muslimischen als auch der nichtmuslimischen Oeffentlichkeit, was denn
nun in Glaubensfragen richtig sei und was nicht, bekaeme einen Knacks.

Und: Die Aleviten waren zwar bislang die am vehemmentesten auftretende
Gruppe, aber die Kritik an der IGGiOe, sie vertrete lediglich die
sunnitischen Muslime oder gar nur die Untergruppe der Hanafiten,
teilen viele islamische Gruppierungen. Werden die Aleviten anerkannt,
ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere Gruppen ebenfalls eigene
Bekenntnisgemeinschaften werden bilden wollen. Auch wenn die Hanafiten
die staerkste Gruppe der in Oesterreich lebenden Muslime sein
duerften, waere die Alleinherrschaft der in letzter Zeit vor allem
durch ihre recht autoritaere Form der Vertretung Schlagzeilen
machenden IGGiOe damit wohl Geschichte.
*Bernhard Redl*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin