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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 24. November 2010; 03:44
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Asyl:

> Nachrichten aus Fekteristan

Absurde Polizeianhaltung

Naggis hatte sich zur freiwilligen Ausreise entschlossen. Er hat alle
noetigen Formalitaeten wie Heimreisezertifikat und die Anmeldung bei
der zustaendigen Stelle der Caritas erfuellt. Sein Flug war fuer
Dienstag frueh gebucht und er trug die Kopie seines
Heimreisezertifikates staendig bei sich fuer den Fall einer Kontrolle.

Als er am Vorabend seiner geplanten Abreise aus Oesterreich nach
Nigeria zu seiner Schlafstelle in der Robert Hamerlinggasse ging,
stoppte ein Polizeiauto neben ihm. Zwei Polizisten stiegen aus:
"Kontrolle!" Naggis zeigte seine Kopie des Heimreisezertifikates und
sagte, dass er morgen frueh nach Nigeria fliegen werde, alles sei
bereits durch die Rueckkehrhilfe organisiert.

Seine Worte wurden weder beachtet noch geglaubt, ihm wurde gesagt,
dass er das Land verlassen muesse, weil er sich illegal hier aufhalte.
Naggis versuchte noch einmal zu erklaeren, dass er morgen frueh
Oesterreich verlassen werde. Wieder wurde er nicht angehoert, sondern
im Polizeiauto zu einem Wachzimmer gebracht. Dort wurde er in eine
Zelle gesperrt und verpasste seinen Flug, da er um 5:00 frueh abgeholt
werden sollte um zum Flughafen zu fahren.

Der Mitarbeiter der Caritas kam umsonst um ihn abzuholen, weil Naggis
erst am Vormittag erlaubt wurde Zelle und Wachzimmer zu verlassen. Es
musste nun ein neuer Flugtermin gebucht werden, weil die Ausreise
polizeilich verhindert worden war.

Selbstmordversuche

Fluechtlinge sehen oft keinen anderen Ausweg mehr als den Hungerstreik
oder den Selbstmord. Die meisten sterben, mir sind einige wenige
bekannt die ueberlebt haben. Von den Verstorbenen wissen wir wenig.
Ich erinnere an Geoffrey, der 2006 mehr als 50 Tage in der Schubhaft
in Hungerstreik war und mit 43 kg Koerpergewicht auf die Strasse
gestellt wurde. Er ist zusammengebrochen und in ein Krankenhaus
eingeliefert worden, Geblieben ist ihm ein Herzfehler und ein schweres
psychisches Trauma. Andere haben versucht sich das Leben zu nehmen
durch tiefe Schnittwunden mit scharfen Gegenstaenden oder durch
Erhaengen.Niemand der Ueberlebenden hatte die Absicht ihre Entlassung
zu erpressen. Sie wollten nicht mehr leben, weil sie nicht angehoert
wurden, weil sie ihr Lebensumfeld vermissten, weil sie nicht wussten,
wie sie weiterleben sollten. Der Druck wurde fuer sie unertraeglich,
weil jeden Moment die Tuer aufgeschlossen werden kann und sie in den
Prozess der Abschiebung geschickt werden.

Aber auch ausserhalb der Schubhaft nehmen sich Fluechtlinge oft das
Leben ohne dass wir etwas von ihrem Tod und dessen Ursachen erfahren.
Doch von einem Selbstmord haben wir erfahren:

Samuel Teferie, in Aethiopien geboren, fluechtete und kam als
14jaehriger nach Oesterreich, wurde als minderjaehriger Fluechtling in
die Landesbetreuung in Graz aufgenommen. Er hat das Angebot genuetzt,
Deutsch gelernt und die Handelsschule besucht, in seiner Freizeit bei
einem Verein Fussball gespielt. Der naechste logische Schritt waere
gewesen, dass er einen legalen Aufenthaltstitel erhaelt und so auch
eine Anstellung annehmen kann. Er hatte alle Kriterien des
Integrationsvertrages erfuellt.

Es kam jedoch anders! Als er volljaehrig war verlor er die Betreuung
als Minderjaehriger, sein Asylantrag wurde endgueltig negativ
entschieden und auch die finanzielle Unterstuetzung aus der
Grundversorgung und eine Wohnmoeglichkeit wurden ihm gestrichen.
Mittellos und ohne Wohnsitz kam er nach Wien, wurde von der Polizei
kontrolliert und kam im Juli 2009 in die Schubhaft. Dort habe ich ihn
gesehen: ein blasser, verstoerter junger Mann!

Seine hier lebenden Landsleute haben alles versucht und bei
Betreuungsstellen fuer ihn interveniert. Er erhielt trotzdem keine
Grundversorgung oder Krankenversicherung. Er lebte in einem Caritas
Heim im 15. Bezirk wo er ein Bett zum schlafen hatte, mehr nicht.

Anfang September versuchte er das erste Mal sich das Leben zu nehmen,
Er trank aufgeloestes Waschpulver und nahm dazu Tabletten ein, ein
Freund hat ihn gefunden und er kam ins Krankenhaus zur Erstversorgung.
Von dort wurde er in die Psychiatrie ins Otto Wagner Spital gebracht
und machte seinen zweiten Selbstmordversuch schon am naechsten Tag. Er
war bereits von der Schubhaft traumatisiert und sprang aus dem Fenster
des Zimmers im zweiten Stock, welches von aussen versperrt war und in
dem er allein war. Er kam mit dem Knochenbruechen davon und verbrachte
vier Wochen in einem Krankenhaus, in welchem seine Verletzungen
behandelt wurden. Sein Hilfeschrei blieb jedoch ungehoert,
Professionelle Hilfe hat ihn nicht erreicht!

Am Freitag den 08.10. wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, Freunde
haben ihn aufgenommen. Am Sonntag den 10.10. hat er die Wohnung
verlassen. Sofort haben ihn seine Freunde gesucht. Am Dienstag den
12.10. wurde eine Vermisstenanzeige in die Wege geleitet. Zu diesem
Zeitpunkt war er schon tot! Er ist ins Wasser gegangen und seine
Leiche wurde am 11.Oktober 2010 um bei Hainburg a.d. Donau entdeckt.

Sein Begraebnis fand am 2.11.2010 am Zentralfriedhof statt, er hat es
selbst bezahlt, weil noch eine Geldsumme von seiner Haftentschaedigung
zur Verfuegung stand.

Ein sinnloser Selbstmord, der verhindert werden haette koennen wenn
seine Hilfeschreie Gehoer gefunden haetten.
*Ursula Omoregie, Verein Schmetterling*

Kontakt:
http://www.schmertterling.org



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