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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Oktober 2010; 01:11
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Deren Heer/Kommentar:

> Die falsche Frage

Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee: In der Debatte wird die Frage
nicht gestellt, ob eine militaerische Verteidigung ueberhaupt
notwendig ist.


Die Struktur des Bundesheeres steht zur Diskussion. Die meisten
Militaerexperten sind der Meinung, dass es nicht mehr so weitergehen
kann und das Heer dringend reformbeduerftig ist. Der Bericht der
Bundesheerreformkommission, welcher den Leitfaden fuer die
Umstrukturierung der Armee darstellt, ist bereits zehn Jahre alt, der
damalige Vorsitzende der Kommission, der ehemalige Wiener
Buergermeister Zilk, sprach sich vor einem Jahrzehnt bereits fuer eine
Berufsheeroption aus, nicht ohne zu Bedenken zu geben, dass eine
Berufsarmee die Kosten fuer das Heer ansteigen lassen wuerde. Was ist
passiert? Es sieht so aus, als waere zwar auf einem Papier eine
Berufsarmeeoption beschlossen worden, aber die Armee hat die
erforderlichen Schritte so zaeh umgesetzt, dass die Diskussion jetzt
neu zu fuehren ist.

Eigentlich war es eine ausgemachte Sache, dass sich das Heer zu einem
Berufsheer umgestalten laesst, die aktuelle Debatte gibt uns einen
Hinweis darauf, dass Papier geduldig ist und es einer neuerlichen
Diskussion bedarf, sich zu ueberlegen, in welcher Ausformung sich die
Armee in Zukunft befinden soll. Eigentlich muesste uns die Tatsache
frohlocken lassen, dass sich die Militaers selber nicht auskennen und
sich damit beschaeftigen muessen, welche Ziele sie verfolgen und dabei
voellig unterschiedlicher Meinung sind. Traurig ist nur, dass das
Bundesheer in der Zwischenzeit dennoch funktioniert,
Stellungsbescheide und Einberufungsbefehle ausstellt, Berufssoldaten
ausbildet, sich an Auslandseinsaetzen beteiligt, bereit ist, sich an
den Schlachtgruppen der EU-Armee zu beteiligen, auch mal unter
NATO-Kommando kaempft und dass sich Leute zu Soldaten degradieren
lassen, ohne zu wissen, woher diese Armee ueberhaupt noch ihre
Existenzberechtigung phantasiert.

Die Miltiaers haben Bedenken, die sie seit zehn Jahren nicht mehr
haben duerften, weil sie sich schon mit einem Berufsheer angefreundet
hatten. Es sieht aber so aus, als haetten die Anhaenger der Miliz das
Reformpapier nie ernst genommen. Oder war es so unbedeutsam, dass es
nicht der Rede wert war, darueber zu diskutieren? Die Spaltungen
liegen auf der Hand: Die Vertreter der Miliz wollen ein Volksheer, in
dessen Rahmen alle fuer tauglich befundenen Maenner ihren
verpflichtenden Dienst zu leisten haben, diese Fraktion ist der
Meinung, ein Berufsheer wuerde auch gegen "die eigenen Leute"
schiessen, ein Trauma vorwiegend der SPOe, lieb gemeint, aber naiv.

Die Unhaltbarkeit dieser Argumentation zeigt sich darin, dass die
Gewerkschaft in Hainburg DemonstrantInnen verpruegelt hat, sich zur
Polizei jede und jeder freiwillig melden kann, auch um Jugendlichen
ohne Befehl in den Ruecken zu schiessen, um zeitweise Vergnuegen daran
zu finden, Wasserwerfer einzusetzen -- und zwar gegen die sogenannten
"eigenen Leute". Ob jemand bereit ist auf seinen Nachbarn zu
schiessen, ist keine Frage der Freiwilligkeit. Es ist eine Frage des
Befehlsgehorsams, dieser wird trainiert durch Einuebung in
Uniformierung und Unterdrueckung jeglicher individuellen
Denkfaehigkeit.

Bedenklich erscheint den Milizvertretern auch, dass bereits jeder
dritte taugliche junge Mann lieber Zuvieldienst machen moechte, es
wird um das Rekrutierungspotential fuer eine Berufsarmee gefuerchtet,
insbesonders da die Strategie, Frauen zum Heer zuzulassen, um den
Mangel an wehrfaehigen Maennern auszugleichen, bislang nicht
erfolgreich ist. Die Anzahl der Frauen, die das Bundesheer attraktiv
finden, haelt sich sehr in Grenzen. Der Aprilscherz scheint ein Scherz
zu bleiben (es war ja bekanntlich ein Erster April der es Frauen
ermoeglicht hatte, sich beim Heer um eine Ausbildung anzustellen).

Den Berufsheerbefuerwortern geht es in der Debatte aber auch nicht
besser. Sie muessen sich mit dem Widerstand aus der Miliz
auseinandersetzen und mit der Erkenntnis, dass sie auch nicht wissen,
woher jetzt die wichtigen Bedrohungen kommen sollen, die einen
dermassen hohen finanziellen Einsatz rechtfertigen koennten.

Einerseits koennen sie mit dem Geloebnis-Satzerl der Grundwehrdiener,
das Vaterland verteidigen zu muessen, nichts mehr anfangen, weil sie
schon wissen, dass es da weit und breit nix mehr zu verteidigen gibt,
andererseits fehlen ihnen aber die alternativen Bedrohungsszenarien.
Da muessen dann Peinlichkeiten herhalten wie: das oesterreichische
Bundesheer bekaempft die Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, oder: es bekaempft den internationalen
Terrorismus, oder: Cyber-Kriminalitaet und Cyberwar (das ist jetzt
kein Scherz, das koennt ihr nachschauen, das haben die ganz wichtigen
Militaerexperten oeffentlich, ohne sich zu genieren, in einer Club-2
Diskussion neulich so geaeussert, echt). Es wurden bislang keine
Bedrohungsszenarien erfunden, fuer die ein eventueller
Eurofighter-Einsatz guenstig waere. Da stellt sich die Frage, ob das
damit zusammenhaengen koennte, dass die Eurofighter nur tagsueber und
nur bei Schoenwetter (sprich: kein Regen, kein Nebel, kein Schnee)
fliegen koennen.

Die Erfordernis ein Bundesheer fuer den Katastrophenschutz
aufrechtzuerhalten ist eine inzwischen muessige Debatte, selbst der
letzte aus der Stahlhelmfraktion hat erkannt, dass dazu wirklich
niemand sechs Monate lang lernen muss, auf andere Menschen zu
schiessen. Bleibt noch zu bedenken, dass der Zuvieldienst dem Staat
sehr viel Geld erspart, um sinnvolle soziale Dienste anzubieten.

Dazu gibt es auch nicht viel zu sagen, ausser: jeder Mensch, der auf
Unterstuetzung angewiesen ist, um sein Leben und seine Lebensqualitaet
aufrechtzuerhalten, hat das Recht, angemessen versorgt zu werden. Die
Debatte um die Kosten des Zuvieldienstes, die steigenden Kosten im
Sozialbereich, sollte ein Berufsheer installiert werden, ist in keiner
Weise im Kontext mit dem Heer zu fuehren. Im Sozialbereich wurden
Stellen geschaffen, als sich die Armee damit abfinden musste, dass es
viele Menschen gibt, die sich ihrer Hierarchie und ihrem Gedankengut,
Konflikte mit Waffen austragen zu wollen, nicht mehr unterordnen.
Gegen die Interessen der Armee konnten sich diese Menschen
durchsetzen. Fuer das Sozialsystem wurden sie zu billigen
Zulieferanten, die nicht selten den Schikanen ihrer vorgesetzten
Stellen und den Schikanen eines Zivildienstgesetztes ausgeliefert
wurden und werden, welches in seinen Strafbestimmungen dem Wehrrecht
gleicht.

Die Armee hatte das Interesse signalisiert, sich an der sogenannten
verstaerkten militaerischen Zusammenarbeit im Kontext der EU-Armee zu
beteiligen. Die einzige Kriegsoption, die diesem Heer offen steht, ist
die Beteiligung an der EU-Armee, diese wird sang- und klanglos
vorangetrieben. Eine oeffentlich gefuehrte Debatte darueber gibt es
nicht,

Eine Debatte darueber, ob wir ueberhaupt ein Bundesheer brauchen gibt
es auch nicht. Sie waere dringlich notwendig. Wer glaubt denn
ernsthaft, dass es Sinn machen koennte, Menschen entweder im
Grundwehrdienst fuer sechs Monate oder als Soldaten fuer ihre
Verweildauer im Bundesheer dazu auszubilden, andere Menschen mit einer
Waffe zu toeten, auf Befehl. Ohne den anderen zu kennen. Konflikte
lassen sich durch Gewalt nicht loesen. Menschen, die auf Befehl
toeten, wurden dazu zugerichtet. Dabei haben sie ihre Menschlichkeit
eingebuesst. Muehsam und alptraumbehaftet erkaempfen sie ihr
Mensch-Sein wieder zurueck, etwa wenn es ihnen gelingt zu desertieren.
Ich persoenlich fuehle mich nicht geschuetzt durch eine Armee, durch
Menschen, die zielgenau auf mich schiessen koennen. Wer heute ueber
Wehrpflicht und Berufsheer diskutiert, koennte auch mitdenken, dass es
eine weitere Option gibt: Bundesheer abschaffen.
*Rosi Krenn*



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