**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Oktober 2010; 21:57
**********************************************************

Medien/Kommentar:

> Weniger Information und weniger Demokratie

Am 1.Oktober ist die Novelle zum ORF-Gesetz in Kraft getreten.


Bis 30.September war ORF.at die groesste Echtzeit-Diskussionsplattform
des deutschsprachigen Raums. Trotz aller organisierten Versuche von
Burschenschaftern und Neonazis, dieses Forum zu kapern oder zumindest
das Klima zu vergiften - es war ein wichtiges Sprachrohr fuer viele.
Eine Moeglichkeit, sich auszutauschen. Zu diskutieren, sich zu
informieren.

Ja, es war oft muehsam, diese Foren zu warten. Das weiss ich aus
eigener jahrelanger Erfahrung. Immer wenn die Rechten einsickerten,
und das taten sie immer, wo man irgendwie einen Zusammenhang mit
Auslaendern konstruieren konnte, und sei es in Form des Dufts einer
ungarischen Salami, musste man aufpassen. Die verletzten saemtliche
Mediengesetze in Bausch und Bogen, hetzten, diffamierten, verletzten
den Datenschutz usw. Oft genug schrammte es an der Grenze des
Verbotsgesetzes vorbei. Wobei nicht immer sicher war, auf welcher
Seite. Sie schrien nach Nation und Rasse. Und in den vergangenen
Jahren immer mehr nach Bumsti Strache.

Nur: Wie oft haben sich dort wundervolle Diskussionen ergeben, auch
und gerade zwischen Menschen aus verschiedenen politischen Lagern. Wie
oft wurden dort interessante Links ausgetauscht, wurde man aufmerksam
gemacht auf Seiten, die man nie alleine gefunden haette. Und wie
geschlossen war oft der demokratische Abwehrkampf gegen die braune
Brut. Ich denke da etwa an blackmistress oder reservebuddha.

So unangenehm die Nazis und oft genug schwarze Berufsposter oft
waren - es war es wert. Das war eben der Preis, den man fuer eine
Sphaere Demokratie zahlte. Zu meinen Zeiten als Redakteur habe ich das
geschaetzt und spaeter, als regelmaessiger User, ebenso.

Es war das anarchische, das weitgehend unregulierte, das unmittelbare,
das diesen Foren einen demokratischen Charakter gab, wie ihn selbst
etwa standard.at nie erreichte. Nicht umsonst wurde ORF.at zur
groessten Echtzeit-Diskussionsplattform des deutschsprachigen Raums.

Aktualitaet und Kompetenz unerwuenscht

Das ORF-Gesetz hat einen Kahlschlag angerichtet. Nicht nur in Sachen
Demokratie. Auch und folgerichtig wurde die Information
zurueckgestutzt, die ORF.at liefern darf.

Auf regionaler Ebene duerfen die Kanaele nur mehr 80 Nachrichten-Items
pro Woche produzieren. Wer auch immer sich eine solche Quote
ausgedacht hat, ist journalistisch irre und auch sonst ein Idiot. Wenn
auch ein korrupter, wie sich weiter unten zeigen wird. Dieser Zustand
bedeutet weniger aktuelle Informationen fuer die LandesbuergerInnen,
was dem Auftrag des ORF widerspricht und strukturell die jeweiligen
Landeshauptleute bevorzugen wird. Je weniger Nachrichten man online
stellen darf, desto eher wird der Druck da sein, dass es die
vermeintlich wichtigen sind.

Und die heissgeliebte Futurezone ist nicht mehr. Die musste der ORF an
den Kurier verkaufen. Die KollegInnen, die mir neueste Technik so
nahebrachten, dass ich sie auch verstand (zumindest sehr oft), duerfen
ihre Kompetenz nicht mehr anwenden. Das ist in etwa so ein grosser
journalistischer Irrsinn wie die Quote fuer die Bundeslaender-Kanaele.

Zeitungsherausgeber haben sich verkalkuliert

Und das alles auf Betreiben von Zeitungsherausgebern und der OeVP. Ein
Schelm, wer Boeses dabei denkt.

Nur: Die Zeitungen mit ihren meist zurecht nicht erfolgreichen
Webauftritten haben sich verkalkuliert. Dass ORF.at einige Herzstuecke
genommen wurden, wird ihre Webauftritte nicht verbessern. Wenn sie
erfolgreicher sein wollen, muessen sie mehr investieren - und ihren
OnlineredakteurInnen mehr Autonomie geben. So wie es etwa auf
standard.at passiert. Der einzige Webauftritt eines Mediums, der
irgendwie in die Naehe von ORF.at kommt. Und der die Beschneidung des
ORF-Angebots am allerwenigstens betrieben hat.

Die absichtliche Schwaechung von ORF.at reduziert insgesamt die
Online-Kompetenz oesterreichischer Medien. Das werden vor allem die zu
spueren bekommen, die, um ihre eigene Schwaeche zu kaschieren, die
Staerke des ORF.at reduzieren wollten. Die UserInnen werden eher auf
deutsche Seiten ausweichen als die ueberschaubaren Angebote dieser
Medien zurueckzugreifen. Man vergoennt es ihnen.
*Christoph Baumgarten. politwatch.at*

Siehe auch: akin 17/2010: No future im ORF
http://akin.mediaweb.at/2010/17/17future.htm



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin