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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Juni 2010; 22:56
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Buecher/Geschichte:

> Zwischen Selbstentleibung und Rechtfertigung

Walter Baier:
Das kurze Jahrhundert
Kommunismus in Oesterreich
KPOe 1918 bis 2008
Edition Steinbauer, 2009, 304 Seiten,
ISBN: 978-3-902494-39-9. EUR 22,50

Ich habe dieses Buch jetzt schon seit einem dreiviertel Jahr zuhause.
Aber es braucht eben seine Zeit, sich mit so einem Buch
auseinanderzusetzen -- zum einen, weil jeweils Aktuelles wichtiger
erscheint als Geschichte, zum Anderen: Wie wird man der KPOe gerecht?;
eine Frage, die sowohl der Rezensent als auch der Buchautor nicht
leicht nehmen koennen.

Dialektik ist hier gefragt. Da gibt es zum einen die grossartige
Tradition einer Partei, die glaubhaft fuer die Gleichheit aller
Menschen, fuer den Internationalismus und gegen den Faschismus
gekaempft hat und andererseits die grausamsten Verbrechen sowjetischer
Regierungen geleugnet oder verteidigt hat. Hier haetten wir These und
Antithese, aber wie kann eine Synthese aussehen? -- noch dazu, wo der
Kampf fuer den Kommunismus und die Verteidigung des Stalinismus die
laengste Zeit von den Parteimitgliedern als ein und dasselbe angesehen
worden sind? Diese Fragestellung zieht sich durch das gesamte Buch,
ohne jemals explizit ausgesprochen zu werden.

Eine zweite Krux, die aber wohl nur der Rezensent sieht, ist der
Untertitel des Buches. Hier wird illustriert, dass die KPOe resp. ihr
frueherer Vorsitzender die wichtigste Lektion immer noch nicht gelernt
hat, naemlich dass der Alleinvertretungsanspruch fuer den "Kommunismus
in Oesterreich" unzulaessig ist. Moeglicherweise hat die Partei ueber
weite Strecken ihrer Existenz den Grossteil der sich hierzulande in
einem weiten Sinne als kommunistisch verstehenden Menschen in sich
versammelt, aber es gab sowohl vor als auch nach der Gruendung der
KPOe starke linke Bewegungen, die in deutlicher Distanz zum
Marxismus-Leninismus orthodoxer Praegung standen -- seien es
beispielsweise die kommunistisch-anarchistischen Traditionen seit Ende
des 19.Jahrhundert (in denen sich der Rezensent sieht), sei es der
Eurokommunismus, in dessen Zusammenhang man jene Zeitschrift sehen
kann, in dem diese Rezension erscheint. Immerhin ist die akin als
Blatt einer 1969 von der KPOe ausgeschlossenen Gruppe entstanden und
es war auch dieses Blatt, in dem sich die KPOe fuer ihre damalige
Politik entschuldigte -- und zwar in der Person des Autors des zu
besprechenden Buches. Auch das macht dem Rezensenten seine Arbeit
nicht leichter.

Ein dritter Widerspruch ist der, den die gesamte Linke immer schon
hatte, naemlich der zwischen der materialistisch-dialektischen
Weltanschauung und saekularem Glaubensbekenntnis. Baier: "[...] die
kommunistische Idee des 20.Jahrhunderts [...] appellierte [...] an die
ganze Person, wurde Ideal, das heisst, sie vermochte dem Tun
derjenigen, die sich ihr verschrieben, einen hoeheren Sinn verleihen.
Im Zeichen ihres strengen Rationalismus liess sich leben, leiden,
erforderlichenfalls auch sterben. Paradoxerweise bediente der
Kommunismus damit gerade jenes menschliche Beduerfnis nach
Transzendenz, das er weltanschaulich bekaempfte."

Womit wir nun endlich nach langer Vorrede beim Inhalt des Buches
waeren. In bestimmter Hinsicht hat Baier es tatsaechlich ernsthaft
versucht, die Widerspruechlichkeiten der Partei moeglichst ehrlich zu
untersuchen -- konnte aber natuerlich nicht aus seiner Haut als
ehemaliger Vorsitzender, der seiner Partei auch immer noch
treugeblieben ist, heraus. Insofern ist das Attribut "schonungslos"
klarerweise nicht angebracht.

Widersprueche von Anfang an

Allerdings sieht Baier sehr klar, wenn es um die Bruechigkeit des
Projekts KPOe geht. Denn schon ihre Gruendung zeugte von all den
Widerspruechen, die sie bis heute begleiten. Laut Baier war sie
weniger eine Partei zur Schaffung eines kommunistischen
Gesellschaftssystems in Oesterreich, sondern ein Projekt, das im
November 1918 entstanden war aus Enttaeuschung ueber die
kriegsfreundliche Sozialdemokratie und zur Unterstuetzung der jungen
Sowjetunion sowie der von dort geplanten Schaffung der Dritten
Internationale. Die Sicht auf die Sozialdemokratie als groessten Feind
und die blinde Liebe zur KPdSU wurden damit schon damals festgelegt.
Mit der KPOe konkurrierte damals die Foederation Revolutionaere
Sozialisten (Internationale)" (FRSI). Baier zitiert deren Mentor
Julius Dickmann: "Die Foederation [...] will werden, die
Kommunistische Partei wurde gemacht; die erste schafft einen Rahmen
und ueberlaesst es dem Willen der Masse, wie sie sich in diesem Rahmen
zu bewegen hat, die zweite gruendet zuerst eine Parteizentrale und
zwingt die Masse, ihre alleinrevolutionaeren Prinzipien
herunterzuwuergen".

Dennoch vereinigte sich im Mai 1919 die FRSI gemeinsam mit kleineren
Gruppen mit der KPOe. Baier: "Das Ergebnis war keine Partei ,aus einem
Guss´, sondern eine buntscheckige Vereinigung sehr unterschiedlicher
Gruppen und Persoenlichkeiten, deren Uebereinstimmung im Willen
bestand, eine sozialistische Revolution nach russischem Vorbild
durchzufuehren". Die Buntscheckigkeit ueberlebte allerdings nicht
lange, denn gerade dieses Vorbild sorgte oft genug dafuer, dass die
Partei im Laufe ihrer Geschichte immer wieder auf Linie gebracht
wurde, sei es durch Weisungen aus Moskau, durch Intervention von
Bruderparteien oder durch eigene Genossen -- eine Entwicklung, auf die
Baier in diesem Buch nicht muede wird, immer wieder an den
entsprechenden Stationen der Parteigeschichte hinzuweisen.

Nun gab es aber so etwas wie eine einigermassen geschlossene
Kommunistische Partei -- und die konnte sich nun ihrem Lieblingsfeind,
den Sozialdemokraten, widmen. Diese erwiderten die Abneigungl aus
ganzem Herzen und es kam 1933/34 nicht zu einem Buendnis, das vor den
Februarkaempfen einen Generalstreik haette ermoeglichen koennen. Und
so stand auch die Sozialdemokratie dann auch alleine da. Baier: "Die
KPOe hatte in die Februarkaempfe nur begrenzt eingreifen koennen.
Diese waren in erster Linie von sozialdemokratischen ArbeiterInnen und
Schutzbuendlern gefuehrt worden." Und die hatten das auch ohne
Unterstuetzung ihrer Fuehrung getan. Es folgte die Illegalitaet beider
Parteien. Die Sozialdemokratie versuchte zum Teil aus dem Ausland die
Partei weiter zu fuehren. Viele Parteimitglieder wechselten aber zur
KPOe und andere gruendeten die "Revolutionaeren Sozialisten" (RS).
Jetzt, in der Illegalitaet, versuchten KPOe und RS erneut, eine
Einheitsfront zu bilden -- doch die Widersprueche blieben zu stark.
Einzig der Staendestaat schaffte es, eine kurzfristige Allianz der
beiden Parteien zu erreichen, als in einem Hochverratsprozess 25 RSler
(darunter Bruno Kreisky) mit den beiden KPOe-Spitzen Franz Honner und
Friedl Fuernberg gemeinsam auf der Anklagebank sassen. Aber das wars
dann auch schon. Und Baier gibt da einen Grossteil der Schuld seiner
eigenen Partei: "Bestanden die RS auf Autonomie gegenueber ihrer
Internationalen, so hatte sich die KPOe den Beschluessen der Komintern
vollkommen unterzuordnen." Mit den Moskauer Prozessen, die die KPOe
fuer angebracht zu halten hatte, war klar, dass Welten zwischen RS und
KPOe lagen.

Damals war aber noch nicht einmal allzu bekannt, wie in die
Sowjetunion gefluechtete Schutzbuendler unter dem Stalinschen Terror
zu leiden hatten. Dass auch viele KPOeler unter diesen Opfern waren,
machte die Nibelungentreue der oesterreichischen Partei zur KPdSU auch
nicht wirklich besser.

"Du bist die Partei!"

In der Nazizeit schaffte es wieder der Druck der Diktatur, die
Obrigkeitsorientierung der Mitglieder aufzuweichen -- durch die
schlichte Tatsache, dass Kommunikationsversuche mit den eigenen
Parteioberen oder gar Moskau lebensgefaehrlich waren. So enthielt eine
der wenigen Anordnungen der Partei aus dem Ausland folgende
bemerkenswerte Passage: "Du bist die Partei! Je schwieriger die
Bedingungen des Kampfes werden, umso groesser wird die Rolle und die
Verantwortung jedes einzelnen Kommunisten, der nicht unbedingt auf
eine Verbindung von oben warten muss, wenn diese abgerissen wird,
sondern im eigenen Wirkungsbereich die Politik der Partei in der
Praxis durchsetzen muss." Diese Order hatte Erfolg: Vor allem in den
Ruestungsbetrieben in Simmering und Favoriten kam es zu
Sabotageaktionen, die den Wehrmachtsmotor wortwoertlich zum Stottern
brachte. Waehrend die Saurerwerke fuer schadhafte Autogetriebe
sorgten, uebertrieb man bei Brown-Boveri die deutsche Gruendlichkeit
so sehr, dass bis zu Kriegsende die dort zu fertigenden U-Boot-Motoren
nicht ausgeliefert werden konnten.

Nach der Nazizeit kehrten viele exilierte KPOe-Mitglieder zurueck. Und
hier, so Baier, entstand ein Zwiespalt in der Partei durch die
Hauptorte des Exils -- die "Londoner" und die "Moskauer" konnten
miteinander so gar nicht. Baier: "Die politischen Praegungen, die sie
in ihren jeweiligen Exillaendern erfuhren, waren kaum zu vergleichen.
Dabei kann es gar nicht um die Frage gehen, wer von ihnen ,klueger´
oder ,aufgeklaerter´ war. Der Unterschied zwischen ihnen ergab sich
daraus, dass sich die einen in einer, trotz kriegsbedingter
Beschraenkungen, liberalen politischen Kultur hatten bewaehren
muessen, waehrend die anderen gezwungen waren, die diffizile Kunst des
Ueberlebens unter den Bedingungen der stalinistischen Diktatur
einzuueben, was immer wieder auch in den eigenen Reihen Opfer
gefordert hatte." Das wohl wichtigste Bindeglied zwischen diesen
beiden Gruppen waere damals, so Baier, der Intellektuelle Ernst
Fischer gewesen, der mit seiner buergerlichen Erziehung seine liberale
Haltung im Moskauer Exil hatte beibehalten koennen.

Baier macht aber noch einen anderen Effekt fuer die beinharte
Moskautreue vieler Mitglieder verantwortlich -- den nach dem Krieg
massiv vorhandenen Antikommunismus, der dafuer sorgte, dass sich nun
viele Kommunisten als Exilanten im eigenen Land gefuehlt haben
duerften: "Dieses Gefuehl mag auch eine der psychologischen Ursachen
dafuer sein, dass sie den im Zeitalter des Kalten Kriegs
vorherrschenden kommunistischen Fundamentalismus, zumindest eine Zeit
lang unwidersprochen, annahmen."

Nachkriegsordnung

Daraus resultierten bald die naechsten Selbstschaedigungen.
Slowenische Genossen wurden vor den Kopf gestossen, als die KPOe
Moskau in der Verdammung von Titos Jugoslawien folgte, und juedische
Kommunisten wussten nicht wie ihnen geschah, wenn die KPOe die
teilweise sehr stark antisemitischen Politprozesse in den
"sozialistischen Staaten" fuer richtig hielt. Dazu kam aber auch der
Druck von aussen -- durch die Normalisierung der oesterreichischen
Verhaeltnisse. Der massgeblich von KPOe-Gewerkschaftern getragene
Oktoberstreik wurde zum Putschversuch umgedeutet, wodurch die KPOe als
Stoerfaktor aus der grosskoalitionaeren Idylle gedraengt werden
konnte. Mit dem Staatsvertrag verschwanden die sowjetischen
Besatzer -- und damit auch der Schutz vor antikommunistischen
Attacken. Als Mitglied der KPOe musste man damals oft genug
akzeptieren, dass man mit diesem Parteiausweis leicht gekuendigt
werden konnte.

Und dann das Jahr 1956. Im Februar haelt Chruschtschow seine beruehmte
Rede am 20.Parteitag der KPdSU. Mit der Abrechnung mit Stalin brach in
der Partei ein muehsam aufrechterhaltenes Tabu auf. Denn im Gegensatz
zu vielen anderen kommunistischen Parteien war fuer die KPOe, so
Baier, "der Stalinismus nie ein ideologisches Problem allein gewesen.
... Hunderte ihrer Mitglieder waren in der Sowjetunion in den
30er-Jahren umgekommen. Unter denen, die aus dem sowjetischen Exil
heimkehrten, befanden sich Taeter, Opfer und nicht wenige Menschen,
auf die beides zutraf." So nimmt es auch nicht Wunder, dass alle
Versuche der Parteifuehrung sich als vergeblich erwiesen, "die Debatte
ueber den 20.Parteitag einzugrenzen und die Aufmerksamkeit der Partei
wieder auf innenpolitische Fragen, und insbesondere auf die
bevorstehenden Nationalratswahlen, zu lenken." Die KPOe verlor bei der
Wahl im Mai ein Mandat und die Fuehrung resuemierte, dass vor allem
die Verluste in NOe vielleicht darauf zurueckzufuehren sein koennten,
dass man die KPOe zu sehr mit der Besatzungsmacht identifiziert
haette. Grosse Zerknirschung war angesagt und infolge dessen gestand
Parteivorsitzender Johann Koplenig im ZK-Plenum auch eine "besondere
Verantwortung" der fuehrenden KPOe-Genossen ein, so wie andere
kommunistische Parteien dem Stalin-Kult blind gefolgt zu sein.
Daraufhin duerfte doch tatsaechlich sowas wie ein offener
Diskussionsprozess in der Partei entstanden sein -- und dann kam der
Aufstand in Ungarn. Baier: "Die Stellungnahmen der KPOe pendelten
zwischen Anerkennung des legitimen Charakters der Massenproteste gegen
das stalinistische Regime und der Verurteilung des
gegenrevolutionaeren Charakters, den sie in der weiteren Entwicklung
angenommen hatten." Damit wurde zwar kurzfristig die Debatte innerhalb
der Partei weiter angefacht. Doch endete sie damit, dass die Hardliner
die ungarische Krise als Resultat der von Chruschtschow eingeleiteten
ideologischen Aufweichung interpretierten. Viele kritische Mitglieder
traten in dieser Phase aus. Und damit war wieder einmal Ende der
Debatte.

Es dauerte, bis wieder innerparteiliche Proteste gegen den
autoritaeren Stil der Fuehrung aufloderten. Am 18. KPOe-Parteitag 1961
gab es einige zaghafte Debatten, aber erst 1965 brachte es Ernst
Fischer mit einem Artikel im Parteiorgan "Weg und Ziel" so wirklich
auf den Punkt: "Der Marxismus vermag lebendige Philosophie und
Wissenschaft nur zu bleiben, wenn er sich mit der Wirklichkeit
entwickelt, wenn er die neuen wissenschaftlichen Entdeckungen,
Theorien und Methoden ohne Vorurteil ueberprueft und neue Tatsachen
nicht zurueckweist, weil sie alten Zitaten widersprechen."

Modernisierungsversuche

Kurz danach wurde Franz Muhri zum neuen Parteivorsitzenden gewaehlt.
Er galt als Mann des Aufbruchs und der Modernisierung der Partei. Weit
kam er damit aber nicht, denn die Niederschlagung des Prager
Fruehlings warf die Partei wieder zurueck. Das Politbuero der KPOe
hatte sich an die Modernisierung in der Tschechoslowakei angelehnt und
das Aktionsprogramm der KPTsch auf Deutsch veroeffentlicht -- und
erhoffte sich selbst, auf dieser Welle des "Sozialismus mit
menschlichen Antlitz" mitschwimmen und in Oesterreich wieder punkten
zu koennen. So zoegerte auch das Politbuero beim Einmarsch der fuenf
"Bruderstaaten" keinen Moment: "Die KPOe gegen den Einmarsch" titelte
die Volksstimme. Zwei Tage spaeter kam das erste Zurueckrudern: "Ich
bin der Meinung, dass die fuenf Parteien und Laender in bester Absicht
gehandelt haben, den Sozialismus in der CSSR zu schuetzen", so Muhri.
Es waere halt eine "schwere Fehleinschaetzung" der Situation durch
diese Regierung gewesen. Ende 1968 folgte dann der voellige Kotau vor
Moskau, in dem die Parteispitze jenes Unterwerfungskommunique
bejubelte, das die sowjetische Fuehrung der gefangengenommenen
tschechoslowakischen Regierung abgepresst hatte. Es folgten ein
chaotischer Parteitag im Jaenner 1969, der Ausschluss Ernst Fischers
und massive Proteste von fuehrenden Genossen. Letztlich zogen etwa 15
Mitglieder aus dem ZK aus und die Spaltung war endgueltig vollzogen.*

Wie Baier beschreibt, was in der Folge kam, wuerde der Rezensent als
Weiterwurschteln beschreiben. Hie und da gab es kleine Erfolge, wie
den Einzug des KSV in die Bundes-OeH oder punktuell erfolgreiche
Betriebsratsarbeit durch den neu begruendeten GLB. Zum einen war zwar
Klassenkampf in den prosperierenden 70ern keine allzu zugkraeftige
Losung mehr, da sich die oekonomische Situation der werktaetigen
Massen in der Sozialpartnerschaft verbesserte, zum anderen konnte die
KPOe doch punkten, wenn die SPOe allzusehr die staatstragende und
alles befriedende Regierungspartei heraushaengen liess. Doch diese
kleinen Fortschritte wurden masslos ueberschaetzt. Und 1982, kurz nach
der Verhaengung des Kriegsrechts in Polen, verabschiedete die KPOe ihr
von Chefideologen Ernst Wimmer verfasstes Parteiprogramm. Und da wurde
dialektisch gekonnt alles wieder glattgebuegelt, wie Baier zitiert:
"Im Gegensatz zum Kapitalismus, dessen unversoehnliche Widersprueche
nur durch seine Beseitigung aufgehoben werden koennen, ist im
Sozialsmus die Loesung der Widersprueche nicht nur moeglich, sondern
die spezifische Entwicklungsform und wichtigste Triebkraft." Nunja,
denkt sich der Rezensent, der Satz ist wohl wahr, belegt aber auch,
dass im "real existierenden Sozialismus" real nicht viel Sozialismus
existiert haben duerfte.

Aber an der Realitaet kam selbst Hardliner Wimmer irgendwann einmal
nicht mehr ganz unbeeindruckt vorbei. War er doch im Politbuero fuer
die oft genug katastrophale Buendnispolitik der Partei zustaendig.
Wimmer konnte nicht mehr uebersehen, dass die neuen "Sozialen
Bewegungen" sich deutlich von der KPOe entfernt hatten. Er kam daher
1988 zu einer Feststellung, die Baier als "bemerkenswert"
qualifiziert: "Wenn wir heute da oder dort neue Problemfelder von
anderen zum Teil schon besetzt finden, liegt es nicht am
Marxismus-Leninismus. Es liegt vielmehr an einer nicht selten
lieblosen, schwerfaelligen, Risiken und strapazioes Neues scheuenden
Handhabung des Marxismus." Nach Ansicht des Rezensenten allerdings war
das gar nicht mal so bemerkenswert -- denn da war ja schon die
Gorbatschow-Aera angebrochen und die KPOe versuchte wieder einmal auf
einer Modernisierungswelle mitzuschwimmen. Da waren halt Offenheit und
Glasnost gefragt und Wimmer war da skurrilerweise schon wieder
moskautreu...

Es folgte die kurze Aera von Susanne Sohn und Walter Silbermayr als
Vorsitzende der KPOe -- vom Jaenner 1990 bis zum Maerz 1991. Ihren
Rueckzug und Parteiaustritt begruendeten die beiden damit, dass die
Offenheit halt doch nur Chimaere gewesen waere, denn "eine
tiefgreifende Erneuerung mit dem Ziel eines Neubeginns in den
Strukturen der KPOe" sei einfach nicht moeglich.

Autobiographisches

Im Juni 1991 wird Walter Baier Bundessekretaer der KPOe, 1994
Bundesparteivorsitzender. Den Rest des Buches will der Rezensent aber
nicht besprechen oder besser: beschreiben. Denn spaetestens mit dieser
Phase haette auch Baier seine historische Beschreibung beenden sollen.
Es haette ihm klar sein muessen, dass der analytische Blick auf seine
Partei mit seinem Aufstieg in der Hierarchie und seinem immer
deutlicheren eigenen Erleben der Vorgaenge einfach nicht mehr
durchhaltbar sein konnte. Mit dem Einzug des Autors in die
Parteispitze wird das Buch immer mehr zur Autobiographie. Ja, er hat
sich auch hier sehr bemueht, quasi aus sich selbst auszusteigen, und
sein Handeln objektiv zu betrachten, aber der Autor ist halt auch kein
Uebermensch und so musste er scheitern. Die Auseinandersetzung um die
Novum oder der Streit mit der steirischen KP-Fuehrung, die Geschichten
um Parteitag und Gegenparteitag konnten von ihm nicht mehr "objektiv"
geschildert werden -- hier ist Baier einfach als Akteur zu nahe an der
Geschichte. Die Tatsache, dass in dem ganzen Buch die
Auseinandersetzung um das Ernst-Kirchweger-Haus nicht mit einer Silbe
erwaehnt wird, obwohl sie das Verhaeltnis zur oesterreichischen,
speziell zur Wiener Nicht-KP-Linken vor allem durch sein Handeln
nachhaltig getruebt hat und zum Leidwesen der KPOe in ihrer juengsten
Geschichte keineswegs eine quantité negligable darstellt, sagt alles
ueber diesen Teil des Buches.

Einiges muss wohl auch im restlichen Teil des Buches offenbleiben. Die
Frage beispielsweise, ob nicht etwa auch die oekonomische Verbindung
der KPOe mit der KPdSU und der SED eine wichtige Rolle in den
Entscheidungsfindungen der Partei gespielt hat, wird von Baier zwar
versteckt angedeutet, aber nie wirklich gestellt, geschweige denn
beantwortet. Das waere eine der Fragen, die wohl auch heute noch
politisch zu heikel sind.

Dennoch: Baier ist zu gratulieren zu seinem Mut, als ehemaliger
Vorsitzender dieses doch recht kritische Buch zu schreiben, und es ist
wohl eine der besten bislang erschienen Analysen der Geschichte der
KPOe. Vielleicht gerade deswegen, weil man hier genau weiss, aus
welcher gedanklichen Position heraus sie geschrieben wurde, was man
bei vielen anderen geschichtlichen Abhandlungen mit
Objektivitaetsanspruch nicht behaupten kann. Wer sich in Zukunft
wissenschaftlich mit dem Thema beschaeftigen moechte, wird daher um
dieses Buch kaum herumkommen.
*Bernhard Redl*

*

* Anmerkung der Redaktion: Muhris Wandlungen sind auch nachzulesen in
dem 1971 erschienen Broschuerchen "Worte des Vorsitzenden Muhri".
Abrufbar unter: http://81.223.23.186/akin/foej/foej2/1971/Muhri.pdf
oder: http://akin.mediaweb.at, dann auf Archiv/ "foej 1967-75"
klicken, weiter "foej2" und "1971" und schliesslich auf "Muhri.pdf"


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