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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Mai 2010; 17:49
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Griechenland/Krise/Glosse:

> "Unser" Euro in der Krise wegen griechischer "Trickserei"?

Ist Griechenland trotz EU- und Euro-Mitgliedschaft pleite - oder
gerade deswegen?
Ein Kommentar aus Deuschland


"Machen die Griechen unseren Euro kaputt?" - mit dieser Frage hat
"Bild" kuerzlich die Schuldenprobleme eines kleinen Landes am Rande
der EU in grossen Lettern zum Schicksalsproblem der Nation und ganz
Europas ausgerufen. Und die dazugehoerige Wunschloesung wird in
Frageform gleich nachgereicht: "Koennen wir den Griechen den Euro
wegnehmen?" Antwort: "Geht leider nicht so einfach!", auch wenn Frau
Merkel zwischenzeitlich dafuer ist. Vom Bild-Leser ueber die
Grossoekonomen bis zur Bundeskanzlerin befinden jedenfalls alle, dass
die Griechen schwer ueber ihre Verhaeltnisse gelebt und sich die
Teilnahme an der Europaeischen Waehrungsunion erschwindelt haetten,
weshalb sie "unseren Euro" nicht verdienen.

Griechenland und seine Hoffnungen auf EU und Waehrungsunion

Wie kommt es, dass einem Land wie Griechenland, das noch vor wenigen
Jahren als eine wirtschaftliche Erfolgsstory galt, jetzt trotz
Zugehoerigkeit zu EU und mit dem Euro der Staatsbankrott droht?
Oekonomischer Zweck der EU nach innen war und ist es, europaweit
einheitliche, von einzelstaatlicher Regulierung moeglichst
unbeeintraechtigte Konkurrenzbedingungen fuer das Kapital
herzustellen. Unternehmen sollen sich mit ihrer Konkurrenzmacht auf
dem ganzen EU-Markt bewaehren, diesen fuer sich nutzen und damit
weltmarkttauglich werden. Und die EU-Staaten sollen von florierendem
Wirtschaftswachstum profitieren, das sich auf diese Weise vermehrt
einstellen soll. Schwaechere Mitgliedstaaten kriegen zur
Modernisierung ihrer Wirtschaft und Infrastruktur Subventionen, damit
auch sie sich zu einem rentablen Kapitalstandort im Binnenmarkt
herrichten koennen.

So hat sich in Griechenland in den naechsten Jahren folgerichtig das
entwickelt, was eben europaeisches Geschaeft ist: In- und
auslaendische Banken konnten ihre griechischen Geschaefte in der
gemeinsamen Waehrung abwickeln. Der Zugriff auf den Kredit der
Europaeischen Zentralbank weitete ihr Kreditvolumen kraeftig aus.
Europaeische Konzerne uebernahmen dank ihrer ueberlegenen
Kapitalgroesse und Produktivitaet griechische Unternehmen und deren
Marktanteile, verdraengten als Handelsketten mit ihren Supermaerkten
die kleinen griechischen Laeden und machten so das Land zu ihrem
Absatzmarkt. Das alles ist allerdings etwas anderes als der bluehende
Kapitalstandort, womoeglich die wichtige Basis fuer Geschaefte des
EU-Kapitals mit dem ganzen nahoestlichen Raum, wie es sich der
griechische Staat von seiner EU-Mitgliedschaft erhofft hatte.
Angesichts des ausbleibenden Konkurrenzerfolgs der griechischen
Oekonomie im EU-Binnenmarkt war es da nur logisch, dass die Regierung
sich den Euro als nationales Kreditgeld zunutze machte. Mit dieser
Zahlungskraft hat der griechische Staat unbeirrt das Programm von
Wirtschaftsfoerderung und Schaffung von Arbeitsplaetzen weiter
verfolgt, auch wenn das mehr und mehr eben nur darin bestand, was er
selbst mit seinem Haushalt in Gang bringen konnte. Gleichzeitig war
Griechenland aber vor allem immer ein verlaesslicher Nato-Partner,
auch wenn erhebliche Teile des Staatshaushalts fuer die stattlichen
Waffenkaeufe, vornehmlich in Deutschland, draufgingen.

Darueber, dass die Griechen es mit der staatlichen Buchhaltung nicht
so genau nahmen, wurde angesichts politischer Zuverlaessigkeit und
vorbildlicher Wachstumsraten gerne hinweggesehen. Auch das
Finanzkapital stoerte sich nicht an solcher "Trickserei" und kaufte
eifrig griechische Staatsanleihen, die auf Grund ihres erstklassigen
Ratings jederzeit bei der EZB hinterlegt werden konnten und daher als
gute Geldanlage galten.

Die aktuelle Krise

Wenn Griechenland jetzt der Verlust seiner Kreditwuerdigkeit droht,
dann hat das seine Ursachen denn auch weniger im Finanzgebaren des
griechischen Staates. Es ist vielmehr eine Folge des
Finanzkrisenmanagments der USA und der EU-Staaten, die ihr
Finanzgewerbe in der Finanzkrise mit astronomischen zusaetzlichen
Staatsschulden gerettet haben. In dieser allseitigen Ausweitung der
Staatsverschuldung zum Zwecke der Bankensanierung und in dem
unterschiedlich grossen Missverhaeltnis von Schuldenbergen und
Wachstum in den Euro-Laendern haben ironischerweise die genau damit
geretteten Banken und ihre Ratingagenturen das naechste grosse
Finanzrisiko entdeckt. Bei ihrer kritischen Neubewertung der
Kreditwuerdigkeit aller staatlichen Grossschuldner auch innerhalb der
Euro-Zone ist das Land mit dem momentan unguenstigsten
Schulden-Wachstum-Verhaeltnis ein Kandidat fuer den Fall staatlicher
Zahlungsunfaehigkeit. Und einige Hedgefonds sehen genau in dieser
Notlage, in die dieses Misstrauen den griechischen Staat bringt und
die ihn zu hoeheren Zinszahlungen fuer seine Staatsverschuldung
zwingt, eine schoene Gelegenheit. Sie wetten riesige Summen auf eine
moegliche Pleite Griechenlands - und verschaerfen damit nicht nur die
Lage fuer die Regierung in Athen, sondern zeigen, dass auch der Euro
ueberhaupt zum Objekt einer Spekulation gegen ihn werden kann.

Das verweist allerdings auf die widerspruechliche Konstruktion der
Europaeischen Waehrungsunion selbst. Grundlage des Euro als
gemeinsames Geld ist der Kredit der gesamten Euro-Zone. Aber die
Verschuldung der Euro-Staaten faellt in deren jeweilige
Souveraenitaet. Sie machen mit ihrem Staatshaushalt und ihren
Staatsschulden Standortpolitik, damit sich ihre Wirtschaft in der
Konkurrenz auf dem gesamteuropaeischen Binnenmarkt behauptet.

Darueber findet eine Sortierung des Kontinents in erfolgreiche und
erfolglose Kapitalstandorte statt. Denn indem jeder Euro-Staat
versucht, seinen Kapitalstandort moeglichst ertragreich auszubauen,
machen alle einander die Ertraege aus der Kapitalakkumulation in ihrem
grossen Gesamt-Euro-Land streitig, mit denen sie fuer ihre Schulden
und das Gemeinschaftsgeld einstehen muessen. Mit ihrer Konkurrenz
gegeneinander torpedieren die Staaten in der Waehrungsunion allerdings
auch die Voraussetzung, auf der ihr gemeinsames Kreditgeld beruht:
Jede Nation soll gleichrangig mit allen anderen und mit annaehernd
gleichem Verhaeltnis von Schulden und Wachstum fuer die Stabilitaet
dieses Geldes buergen. Also einerseits soll und will jede Nation mit
ihrer Staatsverschuldung Wachstum fuer sich und gegen alle anderen
Mitglieder der Eurozone schaffen. Und genau das soll die Spekulanten
in Banken und Boersen davon ueberzeugen, dass die gemeinsame Waehrung
Euro eine sichere und stabile Anlagewaehrung darstellt, in der man
sich gerne anlegt!

Die naechste Rettungsaktion

Auf der Basis dieses Widerspruchs geraet die Verteidigung des Euro
gegen die Anti-Euro-Spekulation selber zum Gegenstand der haertesten
Konkurrenz der EU-Staaten darum, wer dafuer die Kosten zu tragen hat.
Pech fuer Griechenland, dass es als Exempel herhalten soll: Alles,
womit Land und Leute in diesem Staat bislang ueberlebt haben, ist zu
opfern, um den Staatsschulden auf den internationalen Maerkten den
Schein zweifelsfreier Haltbarkeit zu verschaffen und dadurch Schaden
vom Euro, dem gemeinsamen Kreditgeld, abzuwenden.

Dass der Euro seine uneingeschraenkte Tauglichkeit als eine Waehrung
beweist, in der moeglichst viel Akkumulation des weltweiten
Finanzkapitals stattfindet, dafuer ist den Euro-Laendern kein Opfer
gross genug - und zwar Opfer derer, deren gesellschaftliche Aufgabe
ohnehin in nichts anderem besteht, als durch ihre Arbeit das in Euro
bilanzierte Kapital zu vermehren. Europaweit wird den Damen und Herren
Arbeitnehmern vorgerechnet, dass "ihr Euro" in ihren Haenden allemal
zu viel sei, dass ihre Loehne zu hoch, ihre Rentenansprueche zu teuer
seien, dass sie laenger zu arbeiten und den Guertel enger zu schnallen
haetten, weil ihr Konsum, also die Ausgaben fuer ihr taegliches Leben,
die Stabilitaet des Euro gefaehrde.

In der Durchsetzung dieses Standpunkts hat sich Deutschland unter den
EU-Staaten bislang besonders hervorgetan: durch eine in der Euro-Zone
beispiellose Senkung der Lohnkosten, und nicht zuletzt durch einen
mittels der "Agenda 2010" durchgesetzten Niedriglohnsektor. Und die
deutschen Gewerkschaften haben dabei vorbildlich mitgemacht: Ihnen ist
kein Lohn zu niedrig, wenn es gilt, mit moeglichst rentablen
Arbeitsplaetzen dem deutschen Kapital internationale
Konkurrenzvorteile zu verschaffen.

Unter Verweis auf die so durchgesetzten Opfer des eigenen Volks fuer
die Kreditwuerdigkeit der Nation und die kapitalistische
Durchschlagskraft ihres Geldes verlangt nun Frau Merkel von der
griechischen Regierung die radikale und schnellstens durchzusetzende
Verarmung ihres Volkes - und zwar mit exemplarischer Haerte, damit den
anderen Pleitekandidaten der Euro-Zone (Portugal, Irland, Spanien,
Italien) gleich klar wird, dass auch fuer sie kein Weg vorbei fuehrt
an dem anstehenden europaweiten Volksverarmungsprogramm zwecks Rettung
des Euro als Geschaeftsmittel des Finanzkapitals.

Die sozialdemokratische Regierung Papandreou hat sich diesen
Forderungen unterworfen und sieht sie als nationale Bewaehrungsprobe.
Darin ist sie konsequent. Denn so, wie sie bisher die
EU-Mitgliedschaft als Erfolgschance fuer die Nation gesehen hat,
unterwirft sie sich auch jetzt der EU-Erpressung, dass nur ein
unbarmherziges Armutsprogramm Griechenland vor dem Bankrott und damit
dem totalen Zusammenbruch seiner Oekonomie retten koenne. So bemisst
sich eben jetzt der Erfolg der Nation.

Das muss sie allerdings noch dem griechischen Volk beibringen. Da
machen sich angesichts wiederholter Generalstreiks und Massenproteste
einige Journalisten Sorgen - und manche Linken Hoffnungen -, ob die
Griechen es womoeglich an "Einsicht" in die kapitalistischen
"Sachzwaenge" fehlen lassen. Dagegen hat die Regierung in Athen
klargestellt, dass sie sich wie jede moderne demokratische Staatsmacht
zwar von allen Interessen "erpressen" laesst, denen sie den Rang eines
Sachzwangs zugesteht - aber auf keinen Fall vom eigenen Volk.

Dabei haben die protestierenden Griechen gar nicht vor, der eigenen
Regierung die Geschaeftsgrundlage aufzukuendigen. Sie demonstrieren,
wie kaempferisch auch immer, letztlich fuer ihre Nation, die sich von
der EU und der Euro-Spekulation abhaengig gemacht hat. Zwischen der
Notlage des Landes und den Noeten, die die Regierenden ihrem Volk
vermehrt in Aussicht stellen, setzen sie ein ganz grosses
Gleichheitszeichen: Als Griechen sollen alle, Rentner, Tageloehner,
Kapitalisten und Regierung, gegen die auswaertigen Erpresser
zusammenstehen. So wird aus dem Volksprotest eine einzige patriotische
Bereitschaftserklaerung: Wenn es dem grossen Ganzen dient, ist man zu
jedem Opfer bereit - wenn nur alle gleichermassen Opfer bringen.

Dem deutschen Volk braucht man in der Hinsicht gar nichts gross
beizubringen. Den Wortfuehrern der demokratischen Oeffentlichkeit des
Landes in Presse, Funk und Fernsehen reichen ein paar Tiraden ueber
"mediterranen Schlendrian", und schon ergreift das Publikum Partei.
Fuer die Sache seiner Politiker und Wirtschaftsfuehrer - und gegen
"die Griechen", denen eine ordentliche Verelendung gerade recht
geschieht. Mit dieser Mischung aus Gehaessigkeit und Ignoranz haelt
ein braves Volk offenbar besser aus, was seine Chefs mit ihm so alles
anstellen, damit die Nation in der Konkurrenz ihren Spitzenplatz
behaelt.
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Quelle:
http://www.vonmarxlernen.de/index.php/oekonomie/
199-unser-euro-in-der-krise-wegen-griechischer-trickserei.html



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