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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. April 2010; 19:07
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Recht/Asyl:

> Frag doch den Entfuehrer!

Ein Fall fuer den Asylgerichtshof

"Herr Asylwerber, Ihre Aussage ist weder glaubhaft noch
nachvollziehbar! Sie werden nochmals an Ihre Wahrheits- und
Mitwirkungspflicht erinnert!"

Diese Wortfolge kommt ziemlich oft vor im Protokoll der Einvernahme
meines Klienten R. aus Dagestan. Er war schon einmal negativ
beschieden worden, dann in seine Heimat zurueckgekehrt und, neuerlich
verfolgt, wieder nach Oesterreich gefluechtet.

Das Bundesasylamt Innsbruck, erbost ueber seine Frechheit, schon
wieder einen Asylantrag zu stellen, hatte nur eines im Sinn:
Widersprueche zu konstruieren. R. wurde staendig unterbrochen und
fertig gemacht.

Bei der zehnten Frage zum Fluchtweg sagte R.: "Ich bin nicht hierher
gekommen um zu streiten. Warum fragt man mich nicht, warum ich wieder
nach Oesterreich gekommen bin?" Das Asylamt vermerkt: "Der Asylwerber
regt sich auf, warum er ueber seine Probleme nicht reden kann. (...)
Weiters wird er auf seine Mitwirkungspflicht aufmerksam gemacht"

Gleich darauf wieder: "Es ist weder glaubhaft noch nachvollziehbar,
dass Sie zu Ihrem Reiseweg keine Angaben machen koennen und ist
offensichtlich, dass Sie versuchen hier Ihren Reiseweg zu
verschleiern. Sie werden an dieser Stelle nochmals an Ihre Wahrheits-
und Mitwirkungspflicht erinnert."

R. versuchte noch ein paar Mal, zu erklaeren, warum er vom Reiseweg
nichts mitbekommen hatte. Vergebens: "Sie werden nochmals ...
Mitwirkungspflicht... Die falschen Angaben fuehren zur Ablehnung Ihres
Asylantrages."

R. hatte in Dagestan nahe der tschetschenischen Grenze gewohnt. Im
ersten Krieg hatte er die Tschetschenen unterstuetzt. Im zweiten nicht
mehr; es hatte ihm nicht gefallen, dass tschetschenische "Wahhabiten"
(islamische Fundamentalisten) in Dagestan einmarschiert waren, um dort
die Scharia einzufuehren.

Herr R. ist ein eigensinniger Mensch: er laesst sich nicht gerne unter
Druck setzen. Das legten ihm gleichermassen Asylamt und Wahhabiten zur
Last.

R.'s Frau entstammt einer wahhabitischen Sippe; ihr erster Mann war
ihr Cousin und ebenfalls Wahabit gewesen. Nach seinem Tod haette sie
die Zweitfrau eines seiner Brueder werden sollen. Stattdessen hatte
sie Herrn R. geheiratet. Die Brueder des verstorbenen Mannes brachen
R. die Nase und drohten, ihn umzubringen.

Daher fluechtete R. mit Frau und Kindern nach Oesterreich. Ihre
Asylantraege wurden vom Asylamt und vom UBAS als "unglaubwuerdig"
abgewiesen.

Sie kehrten daher nach Dagestan zurueck; R. zog aber aus
Sicherheitsgruenden nicht in die gemeinsame Wohnung, sondern zu einem
Freund und kam nur abends unter dem Schutz der Dunkelheit auf Besuch.
Trotzdem wurde er von Nachbarn erkannt und denunziert.

Eines Abends wurde R. am Rueckweg von einem solchen Besuch von vier
bewaffneten, maskierten Wahhabiten ueberfallen, mit einem Auto
weggebracht und in einen Keller gesperrt. Dort blieb er zwei Monate
bei Wasser und Brot. Er wurde oft misshandelt, zusammengeschlagen; die
Entfuehrer verlangten, er solle fuer sie arbeiten und Terroraktionen
ausfuehren. Er sagte weder ja noch nein, denn er wollte Zeit gewinnen.

Wer die Maenner genau waren, konnte R. dem Asylamt nicht mitteilen; er
hatte sie nicht danach gefragt. Was einmal mehr die Auffassungsgabe
der Beamtin ueberstieg:

"Wenn man entfuehrt wird, moechte man als erstes den Grund wissen!
Nicht nachvollziehbar, dass Sie nicht gefragt haben, wer diese Maenner
sind..."

Ohne Zweifel war die Beamtin schon oft in einer solchen Lage... R.,
resignierend: "Warum stellen Sie solche Fragen. Wenn man entfuehrt
wird, fragt man die Entfuehrer nicht, warum man entfuehrt wird und wer
diese Leute sind."

Gewalt im Ramadan?

Eines Tages - am Ende des Fastenmonats Ramadan - oeffnete einer der
Entfuehrer die Luke, liess die Leiter herunter und kam in den Keller.
R. lag dort voellig entkraeftet am Boden; einige Ziegelsteine
benuetzte er als "Kopfpolster". Der Mann bueckte sich und schuettelte
ihn. Trotz seiner Schwaeche nuetzte R. die Gelegenheit, ergriff einen
Ziegelstein und schlug den Mann auf den Kopf, sodass er das
Bewusstsein verlor. Dann fluechtete er ueber die Leiter ins Freie.

Zunaechst fand er Zuflucht bei seiner Schwester (genauer: in der
Wohnung seiner Nichte, wo die Schwester gerade auf Besuch war - diese
Nuance wurde ihm dann vom Asylamt als "Widerspruch" ausgelegt). Dann
fluechtete er zum zweiten Mal nach Oesterreich.

"Herr Asylwerber, Ihre Aussagen stehen im krassen Widerspruch zu
einander. Zuerst reden Sie von Fastenmonat, wo die Suenden vergeben
werden. Nun behaupten sie, dass Sie einen dieser Maenner mit einem
Ziegelstein auf den Kopf geschlagen haetten und dadurch gefluechtet
waeren. Sie werden nochmals an Ihre Wahrheits- und Mitwirkungspflicht
erinnert. Die falschen Aussagen fuehren zur Ablehnung Ihres
Asylantrages!"

Huebsch, dass das Asylamt sich solche Sorgen um den heiligen
Fastenmonat machte. Da kann man doch niemanden auf den Kopf
schlagen! - R., offenbar schon recht muede: "Ich kann einfach nur
sagen, dass der Mann mir Wasser zum Trinken geben wollte. Ich habe ihn
mit einem Ziegelstein geschlagen und dann bin ich gefluechtet."

So geht es weiter, viele Seiten lang. R., nach dem zwanzigsten
Vorhalt: "Offensichtlich habe ich alles umsonst gesagt. Die sieben
Brueder des verstorbenen Mannes meiner Frau sind Wahhabiten." - Darauf
die Asylbeamtin (in totaler Unkenntnis des Aktes - oder aus reiner
Bosheit?): "Nun haben Sie einen voellig neuen Grund!"

Vermerk: "Der Asylwerber wirkt waehrend der gesamten Einvernahme
ungeduldig. Er erhebt seine Stimme staendig. Er hoert auf die ihm
gestellten Fragen nicht und versucht immer wieder eine andere Antwort
zu geben."

Am Ende war Herrn R. wohl alles egal. Das Protokoll vermerkt seine
voellig resignierende Antwort: "Ja, ich habe gelogen."

Der Asylantrag wurde abgewiesen. Ich begleitete R. zur Verhandlung in
den Asylgerichtshof. Das ist auch immer ein Lotteriespiel, zu wem man
dort kommt. In diesem Fall: Christine Amann und Peter Chvosta. Das war
ein Glueck; bei anderen, die ich kenne, waere es anders ausgegangen.

Herr R. hatte nun endlich Gelegenheit, seine traurige Geschichte in
Ruhe zu erzaehlen. Von der Gefangenschaft im Keller, den physischen
und psychischen Foltern, bis zur Trennung von seiner Frau, die jetzt
wieder bei den wahhabitischen Bruedern lebt und ihnen (auf seinen Rat)
einreden musste, ihre kleine Tochter sei nicht von ihm.

Aus dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes: "Der Beschwerdefuehrer hat
persoenlich einen ueberaus glaubwuerdigen Eindruck vermittelt. (...) Das
Bundesasylamt hat (...) verschiedene Aussagen (...) gegenuebergestellt,
aus denen sich gar kein Widerspruch ableiten laesst. (...) Bei den vom
Bundesasylamt angefuehrten Widerspruechen (...) handelt es sich in
Wirklichkeit um einzelne, voellig aus dem Zusammenhang gerissene
Angaben des Beschwerdefuehrers."

So "ist beim zustaendigen Senat der Eindruck entstanden, dass das
Bundesasylamt von vornherein in antizipierender Weise von der
Unglaubwuerdigkeit der Angaben des Beschwerdefuehrers ausgegangen
ist."

Herr R. hat Asyl erhalten. Nach vielen verlorenen Jahren, die ihm von
oesterreichischen Behoerden gestohlen worden sind.
*Michael Genner, Asyl in Not*



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