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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. April 2010; 19:25
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Israel/Palaestina:

> Anat Kam: Spionin oder Whistleblower?

Die dunkle Seite des Hochsicherheitsstaats Israel

In Israel wird um das Leben der 23 Jahre alten Anat Kam verhandelt.
Die Forderung des Staates ist, sie lebenslaenglich dafuer
einzusperren, dass sie dem israelischen Reporter Uri Blau von der
liberalen Tageszeitung Haaretz geheime Dokumente weitergegeben hat.
Sie ist angeklagt wegen Spionage.

Blau selbst verbirgt sich in London - ihn erwartet, wenn nicht ein
Mordkommando des Mossad, so zumindest die groessten Anstrengungen der
israelischen Sicherheitsdienste, ihn nach Israel zurueckzubringen.
Diese Geschichte laeuft seit dem vergangenen Dezember, als Anat Kam im
Zuge des Verfahrens unter Hausarrest gestellt wurde, aber kein Wort
ueber diese Angelegenheit drang bisher in Israel an die
Oeffentlichkeit. Erst nachdem Blogger im Ausland die Einschraenkungen
der Sicherheitsdienste nutzlos gemacht hatten (auf hebraeischen Seiten
auf Facebook war bereits die ganze Geschichte zu finden) waren diese
gezwungen, ihren Kurs zu aendern

Welche Verbrechen haben Kam und Blau begangen? Waehrend ihres
Militaerdienstes kopierte Anat Kam moeglicherweise hunderte von
Armeedokumenten, die systematische Verbrechen des israelischen
Oberkommandos in den okkupierten palaestinensischen Territorien
enthuellten, einschliesslich Befehlen, Gerichtsurteile zu ignorieren.
Sie arbeitete zu der Zeit im Buero von Brigadegeneral Yair Naveh, der
das Kommando ueber die Operationen in der West Bank fuehrt.

Uri Blaus Verbrechen besteht darin, dass er eine Serie von Artikeln
auf der Grundlage dieser Informationen veroeffentlichte, die hohe
israelische Offiziere sehr in Verlegenheit brachten, weil sie deren
Verachtung fuer den Rechtsstaat zeigen. Die Berichte zeigten, dass das
Oberkommando genehmigt hatte, bei den militaerischen Mordaktionen
("aussergerichtlichen Toetungen") in den okkupierten Gebieten
anwesende Palaestinenser abzuknallen; dass entgegen einer
Verpflichtung gegenueber dem Obersten Gerichtshof die Armee Befehle
erteilt hatte, gesuchte Palaestinenser umzubringen, auch wenn sie
sicher festgenommen werden haetten koennen; und dass das
Verteidigungsministerium in einem geheimen Bericht zugegebe hatte,
dass die grosse Mehrheit der Siedlungen in der West Bank sogar nach
israelischem Recht illegal ist (nach Internationalem Recht sind alle
illegal).

In einem demokratischen Land haette Anat Kam eine ehrenvolle
Verteidigung gegen die Anklage und wuerde eher als Whistleblower
(Aufdeckerin illegaler Aktivitaeten) behandelt denn als Spionin, und
Uri Blau wuerde Journalismuspreise bekommen, statt sich im Exil
verstecken zu muessen. Aber es gibt fast keine oeffentliche Sympathie
fuer Anat Kam oder gar Uri Blau. Die beiden werden bereits von
Politikern und in Chat- und Diskussionsforen als Verraeter bezeichnet,
die eingesperrt gehoeren, verschwinden oder hingerichtet werden
sollten fuer das Verbrechen der Gefaehrdung des Staates.

Ein Vergleich mit Mordechai Vanunu, dem ehemaligen Techniker in der
Dimona Atomfabrik, der Israels Atomwaffenarsenal aufgedeckt hatte,
liegt nahe. In Israel wird er bis heute allgemein abgelehnt, nachdem
er fast zwei Jahrzehnte in verschaerfter Haft verbracht hat. Er steht
noch immer unter Hausarrest und darf das Land nicht verlassen. Uri
Blau und Anat Uri Blau und Anat Kam haben jeden Grund anzunehmen, dass
ihnen ein aehnliches Schicksal bevorsteht. Yuval Diskin, der Chef des
Shin Bet, Israels Geheimpolizei, die die Untersuchung durchgefuehrt
hat, sagte gestern, sie waeren bisher "mit den Medien zu sensibel
umgegangen" bei der Verfolgung der Angelegenheit und dass Shin Bet
jetzt "die Handschuhe ablegen wird." Vielleicht erklaert das, warum
Anat Kams Wohnadresse noch immer sichtbar war auf der Anklageschrift,
die veroeffentlicht wurde, wodurch ihr Leben in Gefahr ist. Das zeigt,
dass die Warnungen, die wir von Shin Bet bezueglich seiner Taetigkeit
hatten, nicht aus der Luft gegriffen waren.

Wie Blau lebt Azmi Bishara, ehemals Anfuehrer einer fuehrenden
arabischen Partei in Israel, heute im Exil, nachdem ihn Shin Bet aufs
Korn genommen hatte. Er hatte fuer demokratische Reformen geworben,
die Israel zu einem "Staat aller seiner Buerger" statt zu einem
juedischen Staat machen sollten.

Waehrend er 2007 im Ausland war, gab Shin Bet bekannt, er wuerde nach
seiner Rueckkehr vor Gericht gestellt, weil er angeblich waehrend
Israels Ueberfall auf den Libanon 2006 Kontakte mit Hezbollah hatte.
Wenige Experten glauben, dass Bishara irgendwelche nuetzlichen
Informationen fuer Hezbollah haette haben koennen, aber die
Arbeitsweise von Shin Bet wurden spaeter von Diskin enthuellt. Es sei
Aufgabe des Shin Bet, sagte er, den Aktivitaeten von Gruppen oder
Individuen entgegenzuwirken, die den juedischen Charakter des Staates
bedrohten, "auch wenn solche Aktivitaeten vom Gesetz erlaubt sind."

Die Fuehrer von Israels massiver Sicherheitsindustrie wollen ihre
Privilegien in einem Hochsicherheitsstaat dadurch schuetzen, dass sie
die Zeugen ihrer Verbrechen zum Schweigen bringen und die einfachen
Buerger in Unwissenheit halten. Indem er seine Entscheidung, im Fall
von Anat Kam und Uri Blau "die Handschuhe abzulegen" rechtfertigte,
sagte Diskin: "Es ist der Traum jedes Staatsfeindes, diese Art von
Dokumenten in die Hand zu bekommen" - man beachte, dass es hier um
Dokumente geht, die belegen, dass die israelische Armee wiederholt die
Gesetze des Landes gebrochen hatte.

Die beiden Richter, die die Maulkorberlaesse ueberwachten, um jede
Diskussion dieses Falles in den Medien zu unterbinden, taten das auf
die Behauptung des Shin Bet hin, dass wesentliche nationale
Sicherheitsinteressen auf dem Spiel standen. Beide Richter sind
getreue Anhaenger der israelischen Sicherheitsindustrie.

Einat Ron wurde zur Zivilrichterin bestellt, nachdem sie Karriere als
Militaerjuristin gemacht und dort der Okkupation einen legalen
Anstrich verpasst hatte. 2003, als sie militaerische Chefanklaegerin
war, schlug sie der Armee verschiedene Methoden vor, die Toetung des
11 Jahre alten palaestinensischen Buben Khalil al-Mughrabi zu
vertuschen. Ihre Rolle kam nur ans Licht, weil ein geheimer Bericht
ueber den Tod des Buben irrtuemlich einem Brief der Armee an eine
israelische Menschenrechtsgruppe beigefuegt wurde.

Der andere Richter ist Ze´ev Hammer, der diese Woche endlich den
Maulkorberlass aufhob - aber nur nachdem die vormalige Richterin des
Obersten Gerichtshofs Dalia Dorner, jetzt Leiterin des israelischen
Presserats, diesen nachtraeglich mit Hohn ueberhaeufte. Sie
argumentierte, dass durch die Diskussion ausserhalb Israels die Welt
den Eindruck bekam, dass Israel sich ueber demokratische Normen
hinwegsetzte.

In seinem Artikel in Haaretz sagte Uri Blau, er sei gewarnt worden,
"dass wenn ich nach Israel zurueck komme, ich fuer immer zum Schweigen
gebracht werden koennte, und ich wuerde angeklagt wegen Verbrechen,
die mit Spionage in Zusammenhang stehen." Er folgerte daraus, dass
"das nicht nur ein Kampf um meine persoenliche Freiheit ist, sondern
einer um Israels Image."
(Jonathan Cook/Ue: antikrieg.com/gek.)

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2010_04_11_diedunkleseite.htm
Engl. Originaltext:
http://original.antiwar.com/cook/2010/04/09/the-dark-underbelly-
of-israels-security-state/



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