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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. April 2010; 23:36
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Linke/Debatten:

> Warum wieder eine parlamentarische Traditionspartei?

*Bernhard Dorfer* ("Superlinke") antwortet
Karl Fischbacher (akin 9/10, akin-pd 30.3.2010)


Servus Karl! Auch ich kenne einige gewerkschaftlich aktive Linke wie
dich, die jedoch saemtlich nicht gerade zum Kern des
Industrieproletariats gehoeren und auch nie Nur-Gewerkschafter waren
oder sind. Das scheint mir kein blosser Zufall und auch nicht Folge
nie ganz ablegbarer sozialer und bildungschauvinistischer Scheuklappen
zu sein, sondern spiegelt meines Erachtens eine Realitaet, die zur
Kenntnis zu nehmen ist, so sehr mensch sie auch bedauern mag.

Ich teile auch deine Ansicht, dass die gesellschaftliche Dimension,
Relevanz einer jeden Linken sich letztlich auch daran bemisst, ob es
ihr gelingt, im Milieu der Betriebs- und Gewerkschaftslinken Einfluss
zu nehmen, zum Orientierungspunkt zu werden und schliesslich auch Fuss
zu fassen. Aber muss das automatisch schon heissen, dass der Prozess
einer linken Organisierung mit ihr zu beginnen und von ihr auszugehen
hat?

Unsere Situation heute unterscheidet sich doch erheblich etwa von der
nach dem Ersten Weltkrieg, als es in Deutschland, Oesterreich, Ungarn
und Italien eine breite revolutionaere Betriebsraete- und
Raetebewegung gegeben hat. Damals waere dein Vorschlag genau richtig
gewesen und ich haette ihn hundertprozentig unterstuetzt, doch heute
erscheint er mir doch sehr "ideologisch", das heisst von einer
abstrakt-allgemeinen Weltanschauung abgeleitet und nicht von der
konkreten Analyse der konkreten Situation. Dein Vorschlag einer
oesterreichweiten, linken BetriebsaktivistInnenversammlung als Start-
und Ankerpunkt einer antikapitalistischen Organsierung ueberrascht
umso mehr, als du ja selbst ein durchaus ungeschminktes Bild der
gegebenen Situation zeichnest:

"Die Parole 'Eure Krise bezahlen wir nicht' haette vom OeGB zum
Hauptargument und zur Handlungsanleitung werden muessen! Anfangs war
sie sogar auf OeGB-Demos auf Transparenten zu lesen gewesen. Heute ist
Foglars OeGB voll gegen die 35-Stundenwoche ... Und die Hauptparole
'die Krise nicht bezahlen' wandelte sich 2010 zum 'Fair teilen' ...
Wir braeuchten einen OeGB [Warum muss es ausgerechnet ein OeGB sein? -
Anm. d. Verf.], der Unruhe in die innenpolitischen Verhaeltnisse
bringt! ... Dazu war und ist der OeGB politisch und strukturell
unfaehig!"

Und dann sprichst du noch von ganzen ArbeiterInnen- und
Betriebsraetinnenschichten, die vom OeGB (und wohl auch von der SPOe)
furchtbar enttaeuscht wurden, eine andere Meinung gehabt haetten ...
Die hauen jetzt wohl in der grossen Mehrzahl den Hut drauf und wenden
sich von "der Politik" ueberhaupt ab, "weil es eh nichts nutzt", der
eine oder die andere lassen sich womoeglich von der rabiaten
Sozialdemagogie der FPOe-Rassisten gegen die Bonzen, die es sich
richten, einfangen und guenstigenfalls ein paar beginnen sich mehr als
zoegerlich von der SPOe, dem OeGB abzuwenden und nach links Ausschau
zu halten, wo es noch nichts gibt. Und just die sollen jetzt
vorangehen?

Wir von der "Superlinken" (Ich weiss schon, der Name! Ich weiss auch,
dass du uns nicht gar so super findest; ich uebrigens auch nicht. Aber
wuenschen wuerden wir uns doch wohl alle eine super Linke, und wir
koennen versuchen, uns dem anzunaehern und unsere Vorstellungen im
Prozess der Annaeherung ein wenig zu synchronisieren.) gehen von der
Linken aus, wie wir sie in Oesterreich nun einmal vorfinden, mit all
ihren generationellen, geschlechtlichen, wurzeloesterreichischen,
milieu- und verhaltensmaessigen Handicaps und Disparitaeten, die wir
ueberwinden muessen, wenn wir eine Linke mit gesellschaftlicher
Dimension werden wollen. Und genau das haben wir uns in unserem ersten
Manifest auch zum Ziel gesetzt, fuer das bis dato zirka 85 Leute
oeffentlich eintreten. Einige mehr warten freundlich zurueckgelehnt
ab, was da wohl noch kommen mag.

Befluegelt hat mich bei meinem Engagement fuer diesen linken
Organisierungsversuch der Eindruck, dass es heute deutlich mehr Leute
gibt, die so etwas wollen, und damit zugleich auch einen
gesellschaftlichen Raum, in dem sich ein solches Projekt entfalten
koennte. Auch du erwaehnst ja die einschlaegigen Umfragen und Artikel
in buergerlichen Zeitungen, deren bornierte Gesichtspunkte (Wahl- und
Staatsfixierung) wir ja nicht unbedingt uebernehmen und so auch noch
verstaerken sollten.

"Grundsaetzlich gehe ich davon aus, dass in Oesterreich eine
gesellschaftlich relevante Linke mit AktivistInnen aus den sozialen,
antipatriarchalischen und antirassistischen Initiativen,
BetriebsaktivistInnen und BetriebsraetInnen und Teilen der radikalen
Linken aufgebaut werden muss!", schreibst du. Das sehe ich wieder ganz
aehnlich wie du. Ich wuerde es sogar noch ein bisschen weiter fassen
und ganz explizit Elemente aus der Linken in der SPOe, die sich gerade
in einem Formierungsprozess befindet (SP-Linke), und in den Gruenen
einbeziehen wollen. Zumindest sollten sich produktive
Dialogbeziehungen zu diesen parteigebundenen Linken entwickeln lassen.

Darueber hinaus sind auch Formen gefragt, ueber die sich Menschen, die
nicht dem Bild eines/einer hochpolitisierten Aktivisten/Aktivistin
entsprechen wollen oder koennen, in ein solches Projekt einklinken
koennen. Zwar stimmt nach wie vor: Alles Private ist politisch! Doch
daraus ist nicht im Kurzschluss die totale Politisierung der Subjekte
abzuleiten, vor allem dann nicht, wenn man dabei die ueberkommene
repraesentative Politik und ihre Formen im Auge hat. Sehr wohl aber
gilt es, wo auch immer und so weit unter den gegebenen spezifischen
Bedingungen konkret moeglich den sozialen Aktivismus in Richtung
Autonomie, Selbstbestimmung und kollektive Selbtverwaltung der eigenen
Angelegenheiten, des eigen Alltagslebens zu foerdern und zu
unterstuetzen.

Auch das bleibt selbstverstaendlich reformistisch, das soll gar nicht
in Abrede gestellt werden. Es handelt sich dabei jedoch um ein
grundsaetzlich anderes Reformertum, als dasjenige der II. und III.
Internationale, das von verschiedenen Ausgangspunkten her und in
unterschiedlichen Formen stets auf die Staerkung der
gesellschaftlichen Stellung zentraler staatlicher und halbstaatlicher
Apparate zielte und meines Erachtens genau deswegen und keineswegs nur
aufgrund irgendwelcher Zufaelle oder gar bestimmter fuehrender
Personen historisch gescheitert ist.

Diese Erkenntnis gilt es in jeder neuen Form der Organisierung und
Aktivierung der Multituden zu bewahren und gerade auch gegenueber
jenen darauf zu beharren, die sich in voll berechtigter Enttaeuschung
von den traditionellen ehemaligen Parteien der Linken abwenden und
nach neuen Perspektiven suchen, sich darunter aber zunaechst nicht
viel mehr vorstellen koennen, als dasselbe mit besseren, "ehrlicheren"
und kaempferischeren Leuten erneut zu versuchen, also ohne noch ein
volles Bewusstsein fuer die strukturelle Problematik entwickelt zu
haben.

Angesichts der gegebenen Bedingungen kann es durchaus sein, dass in
der Praxis beim Versuch einer linken Organisierung in Oesterreich
nicht viel mehr herausschaut, als ein Abklatsch der "Linken" in
Deutschland oder eine dann eben oesterreichweite steirische
KPOe+Irgendwas, also eine Art Sozialdemokratie 2.0, die kein
grundlegend anderes Schicksal haben kann und wird, als deren
historische Vorlaeuferin. Ich will gar nicht sagen, dass das
ueberhaupt kein Fortschritt waere, aber es waere einer, der weit
hinter den Notwendigkeiten, aber auch Moeglichkeiten in der
gegenwaertigen Weltkrise des Kapitals zurueckbliebe.

Auf keinen Fall jedoch sollten weiterblickende Linke heute mit voller
Kraft auf eine Sozialdemokratie 2.0 zusteuern und sei es in Form der
Beschraenkung und einseitig ausschliesslichen Forcierung von Kampagnen
zur Arbeitszeitverkuerzung und Umverteilung, denn der politische Druck
in Richtung einer solchen Ausrichtung der Aktivitaeten ergibt sich
ohnehin wie "von selbst", also gewissermassen "automatisch".

Es braucht auch nicht unbedingt eine weitere Parlamentspartei auf
nationaler Ebene, um gesellschaftliche Forderungen in die Sphaere der
"offiziellen Politik" zu "uebersetzen", wenn es gelingt, in der
Gesellschaft genuegend sozialen Druck aufzubauen und linke Fluegel in
der SPOe und bei den Gruenen sich formieren, an Staerke und Profil
gewinnen. Die "Parteigeschaefte" und internen Querelen jeder weiteren
Partei, die sich auf die Ebene repraesentativ-parlamentarischer
Politik begibt, wuerden nur wieder irrsinnig viel Energien und Kraefte
abziehen, die ueberall anders weit dringender gebraucht werden.

Im Uebrigen bin ich felsenfest davon ueberzeugt, dass auch jede
Radikalisierung in der Gewerkschaft zentral auf Anstoesse aus dem
gesamtgesellschaftlichen Bereich angewiesen bleibt, nicht in den engen
Grenzen des nur-gewerkschaftlichen Aktivismus entstehen kann und sich
dort auch nicht halten wird koennen, ohne Einbettung in eine
Perspektive und Bewegung zur Umwaelzung der kaptialistischen
Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.
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Kontakt & Info:
bernhard_dorfer_at{AT}yahoo.de
http://superlinke.blog.at



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