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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Maerz 2010; 21:41
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Polizei/Kommentar:

> Die Waffe macht den Tod

Es ist etwa 20 Jahre her. Damals wohnte ich am aeussersten Wiener
Stadtrand in einer recht einsamen Gegend. Auf meinem abendlichen
Nachhauseweg blieb ein Polizeiauto neben mir stehen, zwei Beamte
sprangen heraus und ich blickte ploetzlich in den Lauf einer Pistole.
Ich blieb ruhig und liess die Polizisten mich anhalten sowie meine
Kleidung und meine Tasche perlustrieren. Daraufhin liessen sie wortlos
von mir ab. Erst als ich fragte, was denn los sei, rief mir einer beim
Einsteigen in sein Gefaehrt noch zu, sie suchten einen Bankraeuber.

Haette ich damals ganz natuerlich mit einem Abwehr- oder Fluchtreflex
reagiert, koennte ich heute wohl diese Zeilen nicht mehr schreiben.
Wahrscheinlich waere ich einem bedauerlichen Irrtum zum Opfer gefallen
oder in Notwehr erschossen worden. Zeugen gab es ja keine. Auf alle
Faelle haette ich es zu verantworten gehabt, dass zwei Polizisten fuer
ihr Leben lang traumatisiert gewesen waeren.

Dass der letztjaehrige Fall von Krems ueberhaupt naeher untersucht
worden ist, ist wohl den Tatsachen zu verdanken, dass es sich beim
Opfer um einen 14jaehrigen gehandelt hat und da auch noch ein Zeuge
dabei gewesen war, der schwer verletzt ueberlebt hatte. Als dann noch
herauskam, dass der Bub von hinten aus kurzer Distanz erschossen
worden war, war ein Verfahren nicht mehr vermeidbar. Das Urteil war
aber auch absehbar: 8 Monate bedingt, damit der Polizist auch nur ja
weiterhin Dienst versehen kann -- genauso wie im Fall jener drei
Polizisten, die Marcus Omofuma mittels Sauerstoffentzugs vom Leben in
den Tod befoerdert hatten. Das letzte Mal war uebrigens wegen eines
toedlichen Schusses 2001 ein Polizist verurteilt worden -- der hatte
versehentlich einen Unbeteiligten getoetet, als er einem Raeuber
hinterherschoss. Er erhielt ebenfalls ein bedingtes Hafturteil
unterhalb eines Jahres, wodurch ihm ermoeglicht wurde, auch weiterhin
im Dienst zu bleiben.

Die Kollegin des Kremser Todesschuetzen von 2009 wurde indes
ueberhaupt nicht angeklagt -- weder wegen ihrer doch etwas seltsamen
Zeugenaussage betreffs ihres Kompagnons ("kein Anhaltspunkt, dass eine
falsche Zeugenaussage vorliegt" laut Staatsanwaltschaft) noch wegen
ihres Waffengebrauchs ("notwehrfaehige Situation"). Letztlich ist die
Begruendung, dass sie ohne schwarzen Punkt im Leumundszeugnis
davonkam, nur darin zu suchen, dass der andere Jugendliche, den sie
angeschossen hatte, erstens ueberlebt hat, zweitens fast schon als
erwachsen gelten konnte und drittens schon ein paar Vorstrafen
abgefangen hatte -- was zwar nichts mit der schweren Koerperverletzung
zu tun hatte, die erleiden musste, aber in Oesterreich nunmal fuer
eine Einstellung des Verfahrens reicht.

Ich stelle mir das umgekehrt vor in der eingangs beschriebenen selbst
erlebten Situation. Ich setze den Fall, ich waere damals auf der
einsamen Strasse bewaffnet gewesen, ganz legal mit Waffenpass und so,
und ich waere nicht Pazifist, sondern aus irgendwelchen Gruenden
ausgebildet an der Waffe. Ploetzlich springen mich zwei bewaffneten
Maenner ohne Vorwarnung an und ich erschiesse die beiden daraufhin.
Von vorne, nicht von hinten. Waere das dann auch eine "notwehrfaehige
Situation"? Oder zumindest "fahrlaessige Toetung" -- weil ich
"erschrocken" gewesen waere wie der Kremser Polizist? Nein, wohl
nicht.

Tatsache ist, dass nur sehr selten Polizisten durch Nichtpolizisten
getoetet werden, umgekehrt kommt das jedes Jahr mehrmals vor. Liegt
das daran, dass Polizisten einfach schneller ziehen -- wie einst Clint
Eastwood in der "Handvoll Dollar"-Trilogie? Oder doch eher daran, dass
sie halt gerne vorsorglich die Waffe in der Hand haben wie der
naemliche Schauspieler als "Dirty Harry"?

Es geht mir nicht darum, schiesswuetige Polizisten einsperren zu
lassen -- auch Polizisten werden durch den Haefn nicht bessere
Menschen. Und generalpraeventiv lassen sie sich mit der Haftandrohung
auch nicht von solchen Wahnsinnstaten abhalten.

Dennoch ist die rechtliche Situation zu hinterfragen. "Der
Waffengebrauch wird dem Beamten ja durch Fremdeinwirkung
aufgezwungen - das heisst, er agiert nicht, er muss reagieren",
zitiert die "Wiener Zeitung" verstaendnisvoll einen Vertreter der
oesterreichischen Sicherheitsakademie. Doch wann und wie haben die
Beamten zu "reagieren"? Warum wird nie in Frage gestellt, warum zum
Beispiel ein Polizist nur zum Zwecke der Festnahme einem auch nur
mutmasslichen Straftaeter nachschiessen darf oder vielleicht sogar
soll? Ja, das wird dann mit Nothilfe gerechtfertigt. Aber ist
beispielsweise der Schutz von Vermoegen wichtiger als das Leben eines
Menschen? Im Kapitalismus ist dem wohl so, aber muessen wir das
deswegen hinnehmen?

Und generell muessen wir auch fragen: Warum sind Polizisten ueberhaupt
mit Schusswaffen ausgestattet? Geht es nicht anders? Muessen sie die
Puffen wegen ihres Eigenschutzes unbedingt haben? Nun, knapp 200 Jahre
lang hatten die britischen Bobbies (von Spezialeinheiten einmal
abgesehen) keine Schusswaffen. Als man ihnen in den 1960ern dann nach
und nach solche zugestand, kam es zu so vielen toedlichen
Waffeneinsaetzen, dass man ihnen in den 1980ern die Schiesspruegel
wieder wegnahm. Heute sind Feuerwaffen bei der britischen Polizei nur
unter ganz besonderen Umstaenden erlaubt, lediglich 7% der Beamten
sind ueberhaupt im Gebrauch ausgebildet.

Die britische Polizei ist nicht dafuer bekannt, weniger brutal zu sein
als die Polizei oder sonstige "Sicherheitskraefte" anderswo. Aber
waere Florian P. in einer englischen Kleinstadt in einen Supermarkt
eingestiegen, wuerde er heute wahrscheinlich noch leben.
*Bernhard Redl*



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