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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. Jaenner 2010; 01:43
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Recht:

> Alles Terror oder was?

Stellungnahme zum Terrorismuspraeventionsgesetz
von *amnesty international*

Amnesty International anerkennt die Notwendigkeit, das StGB gemaess
dem EU-Rahmenbeschluss des Rates zur Verhinderung von Terrorismus
anzupassen. Wie schon in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des
Strafrechtsaenderungsgesetzes 2002 drueckt Amnesty International ihre
Besorgnis darueber aus, dass die als "terroristische Straftaten"
definierten Tatbestaende ueber die Vorgaben des Rahmenbeschlusses
hinausgehen.

Laut den Erlaeuterungsblatt zum aktuellen Entwurf soll die Novelle
dazu dienen, dass bestimmte Vorbereitungshandlungen und
Organisationshandlungen und auch jede "Ausbildung" zu terroristischen
Zwecken unter Strafe gestellt werden. Die weiten und unbestimmten
Formulierungen im Entwurf bergen jedoch - wie schon bei der Aenderung
des § 278 StGB anlaesslich des Strafrechtsaenderungsgesetzes 2002 -
die Gefahr, dass ueber die urspruengliche Intention hinausgehend,
Terrorismus und organisierte Kriminalitaet zu bekaempfen, jegliche
zivilgesellschaftliche Bewegung, die von staatlicher Seite als
unerwuenscht angesehen wird, unterdrueckt und verfolgt werden kann.

Z 14 der Praeambel des Rahmenbeschlusses (1) weist jedoch
ausdruecklich darauf hin, dass die oeffentliche Debatte ueber sensible
politische Themen nicht durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses
unterdrueckt werden soll:

"(14) Bei der oeffentlichen Aufforderung zur Begehung einer
terroristischen Straftat sowie der Anwerbung und Ausbildung fuer
terroristische Zwecke handelt es sich um vorsaetzliche Straftaten.
Dieser Rahmenbeschluss darf daher nicht dahin gehend ausgelegt werden,
dass er darauf abzielt, die Verbreitung von Informationen fuer
Wissenschafts-, Forschungs- oder Berichtszwecke zu beschraenken oder
zu behindern. Die Aeusserung radikaler, polemischer oder kontroverser
Ansichten in der oeffentlichen Debatte ueber sensible politische
Themen einschliesslich Terrorismus faellt nicht in den
Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses und wird insbesondere nicht
von der Definition der oeffentlichen Aufforderung zur Begehung einer
terroristischen Straftat erfasst."

Wie der EGMR in seinem Urteil vom 15.2.2005 Steel and Morris vs UK (2)
festgestellt hat, muessen auch kleine und informelle Gruppen (engl.
campaign groups) in der Lage sein, ihre Aktivitaeten effektiv
auszuueben. Es muss ein starkes oeffentliches Interesse daran
bestehen, es solchen Gruppen und Einzelpersonen ausserhalb des
Mainstreams zu ermoeglichen, zur oeffentlichen Debatte dadurch
beizutragen, dass sie Informationen und Ideen ueber Angelegenheiten
von allgemeinem Interesse, wie Gesundheit und Umwelt, verbreiten. Die
Bestimmungen des vorliegenden Entwurfs, gemeinsam mit dem bereits
mehrfach von Amnesty International kritisierten § 278a bietet nur
unzureichend Schutz gegen die Einschraenkung dieses Rechts und
gefaehrdet somit die Meinungsaeusserungsfreiheit gem. Art. 10 EMRK.

Insbesondere die Einfuegung des Tatbestandes des § 278c Abs 1 Z 9a
"Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheissung mit
Strafe bedrohter Handlungen (§ 282)", als terroristische Straftat
erscheint daher ueberschiessend. Dadurch besteht die Gefahr, dass Akte
blossen zivilen Ungehorsams aufgrund der einerseits ueberschiessenden
und andererseits ungenauen Definitionen im vorliegenden Entwurf als
terroristische Straftaten bewertet werden bzw. die Organisatoren
ploetzlich mit dem Vorwurf, einer terroristischen Vereinigung
anzugehoeren, konfrontiert und deshalb massiv strafrechtlich verfolgt
werden.

Beispielsweise koennte dadurch die juengst erfolgte Audimax-Besetzung
die Elemente einer terroristischen Straftat erfuellen: Wenn Lehrende
am Zugang gehindert werden, koennte dies eine Noetigung nach § 105
StGB darstellen. Der mittlerweile uebliche Aufruf ueber Facebook oder
andere Internetforen, daran teilzunehmen, wuerde somit den Tatbestand
des § 278c Abs 1 Z 9a "Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen
und Gutheissung mit Strafe bedrohter Handlungen" erfuellen, da eine
solche Besetzung ueblicherweise eine schwere oder laengere Zeit
anhaltende Stoerung des oeffentlichen Lebens bedeutet und darauf
abzielt, oeffentliche Stellen zu einer Handlung, Duldung oder
Unterlassung zu noetigen. Somit laege eine terroristische Straftat vor
und die Organisatoren der Besetzung waeren folglich Mitglieder einer
terroristischen Vereinigung iSd § 278b.

Auch die Besetzung der Hainburger Au im Jahre 1984 haette saemtliche
Elemente einer terroristischen Straftat erfuellt. Noetigung oder
gefaehrliche Drohung lag vor, es wurde von den Organisatoren dazu
aufgerufen, an der Au-Besetzung teilzunehmen. Das oeffentliche Leben
wurde gestoert, die Bundesregierung wurde (und dies letztendlich
erfolgreich) zur Unterlassung des Baus eines Kraftwerks in der
Hainburger Au genoetigt. Diese Besetzung wurde damals sogar von der
Oesterreichischen Hochschuelerschaft unterstuetzt, welche dadurch als
terroristische Vereinigung iSd § 278b anzusehen gewesen waere.

In diesem Zusammenhang weist Amnesty International auch nochmals
darauf hin, dass das bereits derzeit geltende Erfordernis, dass eine
"schwere Stoerung des oeffentlichen Lebens oder [...] Schaedigung des
Wirtschaftslebens" vorliegt (auf Grundlage des Rahmenbeschlusses 2002)
ueber das im Rahmenbeschluss (3) geforderte "die politischen,
verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen
eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu
destabilisieren oder zu zerstoeren" weit hinausgeht.

Amnesty International hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass
der Terminus "organisierte Kriminalitaet" durch eine
Bereicherungsabsicht gepraegt ist und schwerstwiegende Verbrechen
bezeichnet, fuer die die Absicht der Gewinnmaximierung
charakteristisch ist (z.B. Rauschgifthandel und -schmuggel,
Waffenhandel und - schmuggel, Menschenhandel etc.). Die fehlende
Beschraenkung auf diese Bereicherungsabsicht im Text des § 278a StGB
fuehrt zu der problematischen Situation, dass zivilgesellschaftlich
agierende Organisationen im Rahmen ihrer Arbeit und Aktionen
ploetzlich unter den Tatbestand "kriminelle Organisationen" fallen,
also eine Bestimmung auf sie angewendet wird, die zur Mafiabekaempfung
gedacht war und der jegliche "safeguards", wie sie in § 278c Abs 3
"Terroristische Vereinigung" bestehen (keine Strafverfolgung, wenn
fuer Demokratie oder Menscherechte eingetreten wird), fehlen. Amnesty
International weist diesbezueglich darauf hin, dass es aufgrund der
genannten Defizite in der Praxis zu Abgrenzungsproblemen der
Tatbestaende "Kriminelle Organisation" bzw. "Terroristische
Vereinigung" kommt. Die Verfolgbarkeit kontroversieller oder extremer
zivilgesellschaftlicher Betaetigung unter dem "mafioesen" Delikt der
kriminellen Organisation statt unter dem mit den o.a. safeguards
ausgestatteten "politischen" Delikt der terroristischen Vereinigung
oeffnet so eine missbrauchsanfaellige Systemluecke.

Art. 3 des Rahmenbeschlusses (4) sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten
bei Umsetzung des Rahmenbeschlusses sicherstellen, dass die
strafrechtliche Ahndung in einem angemessenen Verhaeltnis zu den
rechtmaessigen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen
Zielen steht und jede Form der Willkuer und Diskriminierung
ausschliesst. Angesichts der ueberschiessenden Ausweitung der
terroristischen Begleit-Straftatbestaende (Ausbildung, Gutheissung,
Medienarbeit etc.), sowie der dort wiederum teils unbestimmten
Formulierungen widerspricht der vorliegende Entwurf diesem
Angemessenheitsgebot und bietet allfaelliger Willkuer einen grossen
Spielraum.

Amnesty International betont daher neuerlich, dass die Verkettung
vergleichsweise geringfuegiger Delikte mit international strafbaren
terroristischen Aktivitaeten unverhaeltnismaessig erscheint und
umgehend einer Abaenderung bedarf. ###

Fussnoten:
1) RAHMENBESCHLUSS 2008/919/JI DES RATES vom 28. November 2008 zur
Aenderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekaempfung
2) In den 80-er Jahren startete die Umweltschutzgruppe "London
Greenpeace" eine Kampagne gegen McDonalds, an der sich auch die beiden
Bf. beteiligten. 1986 wurde ein Flugblatt gedruckt und verteilt, auf
dem schwere Kritik an der Fastfood-Kette geuebt wurde.
3) RAHMENBESCHLUSS 2002/475/JI DES RATES vom 13. Juni 2002 zur
Terrorismusbekaempfung
4) RAHMENBESCHLUSS 2008/919/JI DES RATES vom 28. November 2008 zur
Aenderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekaempfung

Quelle:
http://www.amnesty.at/informiert_sein/terrorismuspraeventionsgesetz_2010

*

Kasten:

> Sonstige Paragraphen

Keine Erwaehnung in der amnesty-Kritik finden leider die neuen
Bestimmungen "Ausbildung fuer terroristische Zwecke" (§278e) und
"Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat" (§278f). Beide
stellen darauf ab, die Weitergabe von Informationen, die bei einer
Begehung einer "terroristischen Straftat" hilfreich sein koennten, zu
kriminalisieren. Nachdem aber, wie oben erwaehnt, auch "Aufforderung
zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheissung mit Strafe
bedrohter Handlungen" unter der Voraussetzung, dass der Aufruf
wirklich gesellschaftlich etwas bewirkt, der pure Terror werden
sollen, koennte auch schon ein Medienworkshop, eine Online-Erklaerung
der Funktionsweise von Indymedia und selbst der Aufruf auf unserer
eigenen Homepage: "Schreibt fuer die akin!" diesen Tatbestand
erfuellen.

Dabei muss es nicht einmal zu einem Urteil kommen, um fuer die
Obrigkeit einen Zweck zu erfuellen. Zum einen sind polizeiliche
Ermittlungsmassnahmen und das gerichtliche Verfahren fuer die
Betroffenen meistens schon genug Strafe, zum anderen kann die Polizei
damit Daten abfragen, an die sie sonst nicht herankaeme. Wie
praktisch, wenn dann die ebenfalls gerade diskutierten gesetzlichen
Bestimmungen ueber die Vorratsdatenspeicherung zur Hand sind.

Auch nicht ganz uebergangen werden sollte der neue §282a, der da
lautet: "Wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen
Medium oder wer sonst oeffentlich auf eine Weise, dass es vielen
Menschen zugaenglich wird, zu einer terroristischen Straftat (§278c)
auffordert, ist ... mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu
bestrafen." Der Sinn dieser Bestimmung erscheint auf den ersten Blick
unklar -- schliesslich muesste dieser Tatbestand doch schon von §282
abgedeckt sein, der ja ganz allgemein den Aufruf zu strafbaren
Handlungen kriminalisiert. Doch die Legisten im Justizministerium
haben sich schon etwas dabei gedacht, denn der Teufel liegt in der
Wortwahl beueglich der Quantitaet an Zuhoerern: "Der wesentliche
Unterschied zwischen der qualifizierten Oeffentlichkeit im Sinne des
bestehenden §282 StGB (breite Oeffentlichkeit) und der nunmehr
vorgeschlagenen (viele Menschen) besteht darin, dass es im Falle des
§282 StGB rund 150 Personen sein muessen, waehrend nach dem §282a StGB
bei terroristischen Straftaten nunmehr rund 30 Personen genuegen
sollen."

Das dient natuerlich nur der Verfolgung der Hassprediger, die in einer
kleinen Moschee (Hassprediger sind ja bekanntermassen immer Muslime,
aber das darf man in das Gesetz nicht hineinschreiben) ihre Parolen
ausgeben. Allerdings sollte man vorsichtig sein und immer vorher die
Leute abzaehlen, bevor man beispielsweise auf einer groesseren Party
sich dazu hinreissen laesst, zu sagen, was man mit der Regierung
machen wuerde, wenn man sie in die Finger bekaeme.

Aber wir uebertreiben ja alle nur. So ist das doch alles nicht
gemeint, versichern uns die Legisten. Ja und wir leben auch in einem
Land, wo Tierschuetzer nicht nach einem Mafiagraphen verfolgt werden
und meschuggene Hobbyfilmer auch nie zu einer terroristischen
Vereinigung gezaehlt werden.
*-br-*



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