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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. Januar 2010; 02:32
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Bosnien/Kommentar:

> Imperialismus in Rotweissrot

Am 4.12.2009 uebernahm in Sarajevo der Generalmajor Bair des
Oesterreichischen Bundesheeres in Anwesenheit von Minister Darabos
fuer ein Jahr das Kommando ueber die 2.000 Soldaten der EUFOR
Bosnien-Herzegowina. "Erstmals hat ein Offizier aus Oesterreich die
militaerische Fuehrung einer Friedensmission der EU inne", freut sich
das Kriegsministerium. Darabos erklaerte: "Heute ist ein grosser Tag
fuer Oesterreich. Die Bestellung zeigt, welchen Stellenwert das
Bundesheer in Europa hat. Es kommt nicht von ungefaehr, wenn einem
Land eine derartige Verantwortung uebertragen wird." Oesterreich
wuerde, so Darabos, seine Militaerpraesenz "zumindest bis zu den
Wahlen im Oktober des kommenden Jahres aufrechterhalten". Das
oesterreichische Kontingent umfasst derzeit etwa 100 Soldaten. Es kann
jederzeit auf bis zu 190 aufgestockt werden. In einem Interview mit
"News" hatte Darabos verlauten lassen: "Waehrend sich andere Staaten
wegen Afghanistan aus der Region zurueckziehen, verstaerkt Oesterreich
sein Engagement sogar." Darabos "warnte zugleich vor einem zu
schnellen Rueckzug aus der Region".

Die Masse der 2.000 Soldaten der EUFOR Bosnien-Herzegowina stellen
(Stand Oktober 2009) Spanien und Italien mit je 300 Soldaten, die
Tuerkei mit 250, dann Polen und Ungarn, waehrend die grossen
Imperialisten zwar die Faeden ziehen, aber das Geschaeft vor Ort in
diesem Fall anderen ueberlassen. Deutschland hat 130 Soldaten vor Ort,
Frankreich nur mehr 4 (alles andere wurde nach Afghanistan abgezogen)
und England 9.

Das ist aber nicht alles. Die Homepage der EUFOR Bosnien-Herzegowina
stellt - offenkundig demonstrativ und fett gedruckt - zusaetzlich
klar: "Die EUFOR kann jederzeit durch KFOR-Einheiten oder Over the
Horizon Forces verstaerkt werden." KFOR - das kennt man, das sind die
imperialistischen Besatzungstruppen im Kosovo, insgesamt 12.700
Soldaten, darunter 450 Oesterreicher. Aber was sind die "OTHF", von
denen man in der Oeffentlichkeit noch nie etwas gehoert hat? Da NATO
und EU jederzeit "unerwartete Eskalationen" befuerchten muessen,
wurde - siehe z.B. die Bundesheer-Zeitschrift "Truppendienst" 1/2008 -
beschlossen, "ausserhalb des Einsatzraumes" Reservetruppen
bereitzuhalten, die aber bereits vollstaendig fuer den Balkan
ausgebildet, vorbereitet und ausgeruestet sein muessen. Es geht um
drei Bataillone, je eines aus Deutschland, England und Italien, die
"im Ernstfall" in einer bzw. zwei Wochen vor Ort sein muessen. Diese
drei Bataillone sind "shared forces", d.h. sie koennen alternativ
unter NATO-Kommando im Kosovo oder unter EUFOR-Kommando in
Bosnien-Herzegowina eingesetzt werden.

Nun trat Deutschland 2006 an Oesterreich heran, sich mit einem
Kompanieaequivalent (170 Soldaten) am deutschen Bataillon zu
beteiligen. Gesagt, getan. Es wurde zunaechst die
3.Panzergrenadierbrigade als "Leitverband" vorgesehen, dazu kommen
Sprengstoff- und Militaerpolizeieinheiten. Zur speziellen Ausbildung
fuer diesen Einsatz wurden die Einheiten im November 2007 nach
Deutschland verlegt und dem Kommando des deutschen Jaegerregiments 1
in Schwarzenborn unterstellt. Die Reservebataillone bleiben uebrigens
in der deutschen, englischen und italienischen Befehlstruktur,
unterstuenden also im Einsatzfall nicht "unserem" Generalmajor Bair.
Wie wichtig diese Sache dem oesterreichischen Imperialismus ist,
bringt der "Truppendienst" so zum Ausdruck: "(Damit)... hat das
Oesterreichische Bundesheer die Mitverantwortung fuer die
anspruchsvolle Aufgabe im Rahmen operativer Reservekraefte der NATO-
und der EU-Missionen im Kosovo (Anm.: Also auch im Kosovo und unter
direktem formellen NATO-Kommando?) sowie in Bosnien-Herzegowina
uebernommen. ... (Das ist) gleichzeitig die Basis fuer anstehende
EU-Battle-Group-Beteiligungen Oesterreichs." Offenbar wird bewusst
verdunkelt, wer wann auf politischer Ebene das alles beschlossen hat.
Im "Truppendienst" wird nur kryptisch vermerkt: "Da der Westbalkan
einen Schwerpunkt der oesterreichischen Aussen- und Sicherheitspolitik
darstellt, wurde Zustimmung signalisiert." Von wem? Wofuer? Ansonsten
wird beflissen auf den Regierungs- bzw. Parlamentsbeschluss aus Juni
2007 verwiesen, der sich aber, zumindest in ausdruecklicher Form, nur
auf den EUFOR- bzw. KFOR-Einsatz bezieht. Aber irgendwie wird's schon
geregelt sein bzw. werden. Interessant ist nur, dass die ganze
"OTHF"-Geschichte offensichtlich im Dunkeln gehalten werden soll.
Immerhin kontrastieren eine zeitweilige faktische "Eingliederung" von
Truppenteilen in die deutsche Bundeswehr und ihre formelle
Unterstellung unter ein NATO-Kommando erheblich mit dem Bild, das man
normalerweise als oesterreichische Militaerpolitik auftischt.)

Der EUFOR-Oberbefehl ist der bereits zweite wichtige Posten
Oesterreichs in Bosnien-Herzegowina, denn der oesterreichische
Diplomat Valentin Inzko ist schon "Hoher Repraesentant" der EU in
Bosnien-Herzegowina, damit wichtigste politische Figur in der
Okkupation Bosnien-Herzegowinas. Ganz richtig sagte Darabos: "Das ist
ein starkes Signal und zeigt, dass uns der Westbalkan wirklich am
Herzen liegt." Das kann man wohl sagen! Oesterreich stellt damit den
politischen und militaerischen Statthalter des Imperialismus in
Bosnien-Herzegowina.

Begruendet wird der Militaereinsatz wie ueblich damit, dass "die
Menschen dieses Landes ein Anrecht darauf haben, in einem sicheren und
stabilen Umfeld leben und arbeiten zu koennen". Kein Wort darueber,
dass es sich in Wahrheit um eine Okkupation von Bosnien-Herzegowina
handelt. Im Gegenteil wird so getan, als ob die bosnische Regierung
ein souveraenes Gebilde waere, mit dem man verhandle etc. Die
"Oesterreichische Militaerische Zeitung" (5/2009) nimmt sich dagegen
kein Blatt vor den Mund. Sie spricht von einem "de facto bestehenden
Protektorat". Historische Vergleiche, die andere aus guten Gruenden
scheuen, gefallen ihr anscheinend. Sie setzt fort, dass der Hohe
Repraesentant, derzeit unser Herr Inzko, die Kompetenz von
Sondervollmachten habe. "Dazu gehoert v.a. seine Kompetenz,
bosnisch-herzegowinische Politiker sowie andere staatliche
Funktionstraeger ihrer Aemter zu entheben... Ausserdem ist er befugt,
Gesetze zu oktroyieren, wenn in wichtigen Materien die
bosnisch-herzegowinischen Entscheidungstraeger darueber keine Einigung
erzielen." Ende Juni 2009 "annullierte" Inzko z.B., nach einem
erfolglos verstrichenen Ultimatum, einen Beschluss des Parlamentes der
Republika Srpska, der sich auf die Kompetenzverteilung zwischen ihr
und dem "Gesamtstaat" bezog. Ein frueherer (slowakischer) Hoher
Repraesentant hatte 2008 einfach 93 Personen, die er fuer
"Kriegsverbrecher" hielt, die Reisedokumente abnehmen lassen. Da in
Bosnien-Herzegowina, nicht nur in der Republika Srpska, von vielen die
Beendigung des offenen Okkupationsstatuts bzw. seine Abschwaechung
gefordert wird, musste man die Sache in Imperialistenkreisen irgendwie
behandeln und stellte im Juni 2009 Bosnien-Herzegowina "fuenf Ziele
und zwei Bedingungen"; "ohne deren vollstaendige Umsetzung werde der
Hohe Repraesentant nicht durch den (Anm.: schwaecheren) EU Special
Representative ersetzt". Und es wurde gleich dazu gesagt, dass es "in
allen fuenf Bereichen ... schwere Versaeumnisse" gebe. Also wird's
doch nichts, jedenfalls nicht so rasch, mit der "Beendigung des
Protektorats", wie die OeMZ vermerkt.Waehrend seiner Balkanreise
(Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro) mischte sich auch Darabos
wieder unverhohlen in bosnisch-herzegowinische Angelegenheiten ein: Es
gehe darum, die Abspaltung der Republika Srpska und ihre Vereinigung
mit Serbien mit allen Mitteln zu verhindern. Waehrend naemlich die
Abspaltung des Kosovo und Montenegros von Serbien fuer "aus nationalen
Gruenden notwendig" und voelkerrechtlich ganz in Ordnung erklaert
wird, waere genau dasselbe bezueglich der Republika Srpska
schrecklich. Klar: Im einen Fall wurde das aus "westlicher Sicht"
unsichere Serbien geschwaecht, im zweiten Fall wuerde es gestaerkt.
Sogar die "Islamismus-Karte" wird gespielt: Rest-Bosnien sei nach so
einer Katastrophe "rein islamisch" und damit - noch mehr als heute eh
schon - "natuerliches Zielland muslimischer Terroristen und
Schurkenstaaten", "sozusagen ein islamistischer (!) Brueckenkopf
mitten in Europa", wie "News" den Gedanken messerscharf weiterspinnt.

In Montenegro wurde ebenfalls ueber weitere "Militaerhilfe"
Oesterreichs gesprochen, diesmal direkt, ohne "internationales
Mandat", das sonst immer als so wichtig ausgegeben wird. Es sind
oesterreichische Gebirgsjaeger in Montenegro stationiert und helfen
beim Aufbau einer montenegrinischen Alpintruppe.

Ohne die ganze Angelegenheit ueberschaetzen zu wollen, zeigt sich
doch, dass Oesterreich am Balkan auch auf militaerischem Gebiet
aeusserst umtriebig ist und immer mehr Flagge zeigt. Wo man sich, in
welchen Strukturen auch immer, profilieren kann, wird sofort
zugegriffen. So wie Darabos richtig darauf hinwies, dass ohne Militaer
dahinter (oder manchmal davor, je nachdem) der Herr
Sicherheitspolitiker Inzko eine lahme Ente waere, so brauchen
natuerlich auch die oekonomischen Interessen des oesterreichischen
Imperialismus in Bosnien-Herzegowina und auf dem Balkan eine
politische und militaerische "Untermauerung", wie sich der Herr
Minister auszudruecken pflegt.
(IA.RKP/gek.)



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