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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Dezember 2009; 20:28
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Brasilien:

> Kriminalisierung der MST statt Agrarreform

Agrarlobby setzt Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen den
Landlosenbewegung durch.

Nach langwierigen Parteistreitigkeiten ist in Brasilien der
Parlamentarische Untersuchungsausschuss (CPI) zur Landlosenbewegung
MST am Mittwoch (9.Dezember) offiziell eingesetzt worden. Der
Regierungskoalition unter Fuehrung der Arbeiterpartei PT gelang es,
die wichtigsten Posten zu besetzen und so die Kontrolle ueber die
Ausschussarbeit zu uebernehmen. Allerdings sind auch eine Vielzahl
Hardliner von der sogenannten Agrarierfraktion in dem Gremium
vertreten.

Es ist bereits der dritte Untersuchungsausschuss innerhalb von vier
Jahren, den der Agrarierfluegel im Parlament gegen die
Landlosenbewegung anstrengt. Stets geht es darum, den Aktivitaeten der
Bauern und Baeuerinnen Steine in den Weg zu legen und ihren Kampf fuer
eine Agrarreform zu diskreditieren. "Wir leiden unter einer
Verfolgung, die sich gegen die Agrarreform, den Kampf der Menschen
fuer ihre Rechte und gegen die Demokratie in Brasilien richtet." Mit
diesen Worten rechtfertigte Joao Paulo Rodrigues, Fuehrungsmitglied
des MST, eine Klage, die Anfang November bei der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) in Genf eingereicht wurde. Wenig spaeter
wandten sich die Landlosen, die die groesste soziale Bewegung
Brasiliens und weltweit Vorbild im Kampf um Agrarreform und gerechte
Landverteilung sind, an die Interamerikanische
Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten OAS.

Dieses Mal hatte die Kriminalisierungskampagne mit dem Vorwurf
begonnen, dem MST nahe stehende NGOs wuerden oeffentliche Gelder
veruntreuen. Eine Reportage, die Anfang September in der Zeitschrift
Veja erschienen war, sprach auch von Steuerhinterziehung bei
auslaendischen Spenden. Sogar die Agrarreformbehoerde INCRA soll an
Unregelmaessigkeiten beteiligt gewesen sein.

Rolf Hackbart, Praesident des INCRA, wies diese Vorwuerfe weit von
sich. Am 17. November erklaerte er vor der Presse, dass alle
Abrechnungen bezueglich der Verwendung von Bundesgeldern korrekt und
veroeffentlicht seien.

Mit diesen Vorwuerfen allein gelang es der Agrarierfraktion nicht,
genuegend ParlamentarierInnen auf ihre Seite zu ziehen. So startete
die Presse eine weitere Offensive: Ueberall waren Bilder von
MST-AktivistInnen zu sehen, die eine Orangenplantage besetzen und
Zitrusbaeume faellen. Die Empoerung war gross und wurde weiter
geschuert, waehrend der Hintergrund der Aktion konsequent verschwiegen
wurde. Der Orangensaftproduzent Culturale hatte, wie schon oefter
vorher, das betreffende Land illegal erworben Jetzt kamen genug
Stimmen zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses zustande.

Das Tauziehen um die Landlosenbewegung hat allerdings noch einen ganz
konkreten Hintergrund. Im August hatte Praesident Lula angekuendigt,
den Produktivitaetssindex zu aktualisieren. Dieser Index gibt Auskunft
darueber, inwiefern ein Agrarbetrieb sein Land produktiv
bewirtschaftet. Wird er angesichts grosser Laendereien und geringer
Produktivitaet pro Hektar als unproduktiv eingestuft, koennen Teile
des Landbesitzes enteignet und im Rahmen der Agrarreform an Landlose
vermittelt werden.

Laut Verfassung muss dieser Produktivitaetsindex alle fuenf Jahre
angepasst werden. Doch in der Praxis geschah dies zuletzt 1980. Dabei
ist die durchschnittliche Produktivitaet in den vergangenen 30 Jahren
um jaehrlich drei bis sechs Prozent angestiegen. Bei einer Anpassung
des Index wuerden laut Schaetzungen der Landpastorale CPT 400.000 bzw.
zehn Prozent der Besitztuemer als unproduktiv eingestuft werden. Hinzu
kaeme eine hoehere Steuerlast, denn auch diese richtet sich nach der
Produktivitaet in der jeweiligen Region. Die Agrarlobby versucht mit
allen Mitteln, dies zu verhindern. Und auch die Kriminalisierung
derjenigen, die vom Einhalten der Rechtsgrundsaetze profitieren
wuerden, ist ein wirksames Mittel, von diesem Missstand abzulenken.
(Andreas Behn, NPL / Poonal)


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