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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 4. November 2009; 01:28
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Demokratie/Glosse:

> Die guten alten Zeiten

In schoener Regelmaessigkeit gibt es Vorstoesse von den beiden
ehemaligen Grossparteien zu einem Mehrheitswahlrecht oder einem
"mehrheitsfoerdernden Wahlrecht". Meistens grummelt irgendwer aus der
OeVP etwas darueber, manchmal ist es auch die SPOe: Alfred Gusenbauer
hatte zu schwarzbunten Zeiten eine solche Forderung erhoben, war dann
aber dafuer von den meisten Kommentatoren und wohl auch SP-intern
derart dafuer gepruegelt worden, dass er diese Forderung ganz schnell
wieder vergass -- wohl auch deswegen, weil dieser Speach allzu sehr
danach roch, dass der SP-Chef einfach mal wieder mit einer Innovation
in die Schlagzeilen kommen wollte.

Von seiten der OeVP wird eine solche Aenderung der Spielregeln aber
schon seit Jahren verfolgt. Und seit der Wiederinstallation der nun
nicht mehr ganz so grossen Koalition finden sich auch immer mehr
Kommentatoren, die sich mit der Idee anfreunden koennen. Da wird dann
gern der Vergleich mit den USA oder Grossbritannien gezogen. Einmal
abgesehen davon, dass mir nie jemand vernuenftig hat erklaeren
koennen, wieso es demokratischer sein soll, wenn das Volk durch eine
Ausduennung der Parteienlandschaft besser repraesentiert sein soll --
und darum geht es ja angeblich in einer Demokratie --, hinkt zumindest
der Vergleich mit den USA ganz gewaltig, denn dort findet
Gewaltentrennung viel eher statt, weil die beiden Kammern des
Parlaments und der Praesident getrennt gewaehlt werden. Der Praesident
braucht keine Mehrheit in der Legislative, um regieren zu koennen. Und
die Abgeordnete seiner Parteien haengen nicht nur von ihm ab, sondern
vor allem von ihren Wahlkreisen -- und so kann der Praesident zwar
durch sein Veto Gesetzesbeschluesse verhindern, hat aber umgekehrt
keine Handhabe, einfach so Beschluesse zu diktieren. Die OeVP hingegen
stellt sich ein Mehrheitswahlrecht vor, wo die Abgeordneten der
Mehrheit weiterhin brav der Regierung hinterherdackeln -- mit einem
Mehrheitswahlrecht kaemen wir leicht zu einer Einparteiendiktatur auf
Zeit. Und diese Zeit kann dann ganz schoen lang werden -- schliesslich
soll ein Mehrheitswahlrecht ja stabilere Regierungen bringen und
solche amtieren meistens die volle Wahlperiode. Und die wurde ja erst
kuerzlich ohne viel Federlesens verlaengert.

Aber das ist ja gar nicht die wichtigste Intention. Fakt ist, dass
OeVP und SPOe in den letzten 20 Jahren massiv verloren haben. In den
guten alten Zeiten hatte niemand am Verhaeltniswahlrecht gekratzt. Vor
1966 koalierten die beiden Parteien immer und teilten sich den Staat
bruederlich unter sich auf -- der OeVP, die zeitweilig sogar die
Absolute hatte, war das Regieren ohne echte Opposition so lieb, dass
sie die SPOe immer auch an die Futtertroege liess. Dann kamen bis 1983
Mehrheitsregierungen. 1986, mit dem Aufstieg Joerg Haiders und dem
Auftreten der Gruenen, waren aber Einparteienregierungen nicht mehr
moeglich.

Langsam aber sicher wird OeVP und SPOe klar, dass sie, um wieder
Grossparteien sein zu koennen, irgendwas tun muessen. Die FPOe wird
man so nicht los werden, aber die Chance auf Zweidrittelmehrheiten
waeren fuer SPOeVP dann wieder wahrscheinlich -- mit einer
Verfassungsmehrheit ist es ja doch lustiger zu regieren. Und das
Schoene fuer die OeVP daran: Oesterreich ist mehrheitlich rechts, ein
Mehrheitswahlrecht oder eben noch besser ein mehrheitsfoerderndes
Wahlrecht wuerde wohl wieder haeufiger OeVP-Kanzler ergeben -- das ist
auch schon der einzige Grund, warum die SPOe sich noch ziert...

Momentan ist ein solches Wahlrecht sowieso unwahrscheinlich. Die
Gruenen werden der Regierung sicher nicht zu einer Zweidrittelmehrheit
verhelfen und damit ihr eigenes Grab schaufeln. Ein Volkstribun wie
Strache, dem es vielleicht helfen koennte, poltert ganz wild gegen ein
Mehrheitswahlrecht, da er in seiner Rolle schlecht fuer
Entdemokratisierung auftreten kann. Und die Regionalpartei BZOe
koennte er damit auch nicht loswerden, denn ein Mehrheitswahlrecht
wuerde aufgrund der Dominanz in einem Bundesland diesem
Abspaltungspartikel sogar helfen. Ein mehrheitsfoerderndes Wahlrecht
koennte der FPOe vielleicht aber schmecken -- aber da kaeme es auf die
genaue Ausformulierung des Modells an. Und das BZOe selbst? Nun, auch
das ist noch strikt dagegen -- wohl weil die Diskussion eben derzeit
in Richtung Mehrheitsfoerderung geht. Aber bei einem Vorschlag fuer
ein echtes Mehrheitswahlrecht? Naja, da saehe die Sache schon anders
aus.

Weil wir doch so demokratisch sind

Dabei haben wir ja in Oesterreich schon ein mehrheitsfoerderndes
Wahlrecht -- die Huerden, eine neue Partei in die Parlamente zu
bekommen sind so hoch, dass man dafuer schon die massive Mithilfe von
eher fragwuerdigen Institutionen wie etwa der Kronenzeitung braucht.
Auch die meisten sonstigen politischen Parameter sind darauf
ausgerichtet, rotschwarze Mehrheiten zu bekommen. Immer wieder werden
von diesen beiden Parteien selbst, aber auch von der veroeffentlichten
Meinung Rot und Schwarz als die zentralen antagonistischen Kraefte
praesentiert -- man erinnere sich nur an Wahlslogans wie "Auf den
Kanzler kommt es an" oder gar an den Wahlkampf 2002, wo die
Wahlauguren ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Parteien prophezeiten
(um nachher zugeben zu muessen, dass sie das nur publiziert haben,
weil sich solche Prognosen besser verkaufen lassen). All dies ist
nicht gerade dazu angetan, das Wahlvolk nach Alternativen suchen zu
lassen.

Man muss es klar sagen: Die OeVP wird immer wieder mit solchen Ideen
kommen, bis sie sich irgendwann mal durchsetzt. Denn die FPOe wird von
ihr ja sowieso nur als voruebergehende Erscheinung betrachtet und mit
der SPOe ist sie ja ausser zu Kreiskys Zeiten immer noch
fertiggeworden.

Die Tendenz wird autoritaerer. Schon mit der Verlaengerung der
Wahlperiode musste man von einer Verschaerfung sprechen -- ein
Begriff, der zwar ueblicherweise eher im Strafrecht gebraucht wird,
aber unsere Demokratie war ja schon immer eine ziemlich autoritaere.

Der Grundgedanken der beiden Staatsparteien: Das Volk mag nimmer den
rotschwarzen Proporzstaat und entzieht diesem immer mehr die
Grundlage? Nunja, dann entziehen wir halt dem Volk die Grundlage
dafuer, uns zu demontieren. Und sagen dann, das es das ja so gewollt
haette, weil sonst haette es doch nicht jene Volksvertreter gewaehlt,
die ein solches neues Wahlrecht beschliessen koennen. Denn alles Recht
geht vom Volke aus.
*Bernhard Redl*



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