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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Oktober 2009; 16:22
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Moderne Zeiten:

> Von Identitaetsschnuefflern und -erschaffern

Die oesterreichischen Big Brother Awards sind wieder ausgelobt. Die
Gewinner der "Preise, die niemand haben will" (Selbstdefinition)
werden am 25.10. in einer Gala im Wiener Rabenhof Theater
bekanntgegeben und gewuerdigt. Doch leider kann halt nicht jeder der
Nominierten diesen Preis gewinnen, denn verdient haetten sie ihn ja
wohl alle. Um sie wenigstens ein bisschen ins Rampenlicht treten zu
lassen, hier ein Rundblick ueber die ehrenwerten Damen und Herren.
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In der Kategorie "Business und Finanzen" ist Clemens Steiner,
Geschaeftsfuehrer von Tiger Lacke nominiert. Fuer ihn sollte es
vielleicht einen Extrapreis fuer die gewagteste Ausrede geben: "Im
Sinne des Erhalts der Zufriedenheit der Belegschaft" und um
"Verbesserungen fruehzeitig durch geeignete Massnahmen einleiten zu
koennen" habe die Geschaeftsfuehrung des Welser Unternehmens Tiger
Coatings "regelmaessig die Kommunikation mit den betreffenden
Mitarbeitern gesucht". Soll heissen: Die Mitarbeiter wurden ohne ihr
Wissen videoueberwacht und bisweilen wurden auch ihre e-Mails
mitgelesen. Grund dafuer: Das Verschwinden von Lackkontingenten. Das
allerdings stellte sich nachtraeglich als Fehler der Buchhaltung
heraus.

Auch die Betreiber des Zentralen Informationssystems des
Versicherungsverbandes Oesterreichs (ZIS) haben einen gsunden Schmaeh.
Denn dies ist nichts anderes als eine "Schwarze Liste" unerwuenschter
Kunden. Ein aktueller Fall, der vor die Datenschutzkommission kam,
hatte zum Ergebnis, dass medizinische Diagnosedaten ohne Zustimmung
durch den Versicherungsnehmer von einem Institut an eine andere
Versicherung uebermittelt wurden. Die lehnte daraufhin den Betroffenen
als Kunden ab.

Aber das ist natuerlich alles ganz legal, denn die
Versicherungsvertraege enthalten schliesslich Klauseln, die der
Versicherung das gestatten. Die Datensaetze umfassen Name,
Geburtsdatum, Adresse sowie sogenannte "Versicherungsfalldaten", was
auch immer unter letzteren zu verstehen ist.

Weiteres nominiert wurden in dieser Kategorie OeBB-Chef Peter Klugar
(fuer das Ueberwachen von Fahrgaesten -- per Videokamera in
Nahverkehrszuegen -- und MitarbeiterInnen durch systematische
Erfassung ihrer Krankenakten und andere schoene Dinge) sowie Irmgard
Balint vom Industriezentrum NOe-Sued fuer das illegale Betreiben einer
aus 27 Kameras bestehenden Ueberwachungsanlage, die 24 Stunden pro Tag
den gesamten Verkehr auf den dortigen oeffentlichen Strassen
aufzeichnete.
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In der Kategorie "Politik" staut es sich naturgemaess und Favoritin
ist wieder einmal unsere Innenministerin -- schliesslich hatte noch
jeder und jede in diesem Amt seit Bestehen dieses Preises gute
Chancen, geehrt zu werdem. Maria Fekter koennte im speziellen diesen
Preis fuer ihre Vorstoesse in Richtung der polizeieigenen Handy-Ortung
erhalten. Denn schon jetzt ist es problemlos moeglich, per Anforderung
an die Mobilfunkbetreiber die Peilung der vielbemuehten vermissten
Tourengeher zu bekommen -- aber diese Mobiltechniker sind halt doch
Zivilisten und denen ist nicht zu trauen, da ist es doch viel besser
die Polizei macht das selber. Es faellt dann auch nicht so auf, wenn
die Skitourengeher ihr Verhalten radikal aendern und vor allem in den
urbanen Ballungsraeumen verloren gehen.

Aber auch die SPOe Brigittenau ist gut im Rennen um den wenig
begehrten Preis -- im 20.Wiener Gemeindebezirk (und wahrscheinlich
nicht nur dort) fuehren SPOe-Beisitzer bei Wahlen neben der
offiziellen Waehlerliste noch eigene, naemlich solche mit
SPOe-Mitglieder. Schliesslich will man ja wissen, welcher Genosse zu
faul war zu waehlen oder vielleicht ganz bewusst zuhausegeblieben ist.

Selbst die Gruenen kommen nicht ganz ungeschoren davon. So sind die
oberoesterreichischen Landtagsabgeordeten Hirz, Wageneder und Schwarz
nominiert, weil sie angesichts des Themas "Kampf gegen
Kinderpornographie" mit allen 25 Abgeordneten der OeVP und einem der
SPOe namentlich eine Resolution unterzeichneten, die von der
Bundesregierung die dringende Einfuehrung von Internet-Sperren
forderte.

Ansonsten stehen noch auf der Liste Wissenschaftsminister Johannes
Hahn fuer sein Faible fuer Wahlcomputer bei den OeH-Wahlen und Jacques
Barrot, Kommissar fuer Justiz, Freiheit und Sicherheit, dem es so
wichtig war, dafuer zu sorgen, dass der Zugriff auf SWIFT-Finanzdaten
von den europaeischen "Terrorfahndern" einfach und unbuerokratisch
moeglich wird.
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Im Bereich "Behoerden und Verwaltung" kommt man hingegen nicht an
Guenter Schmid, Gymnasialdirektor der Sir-Karl-Popper Schule, einem
Gymnasium fuer Hochbegabte, vorbei. Der wollte alle Schulgaenge
videoueberwacht haben, weil akute "Lebensgefahr fuer die Schueler"
bestuende -- schliesslich war schon mal ein Schweizerkracher in einer
Klomuschel explodiert. Auch fand er nichts dabei, zwecks
Alkoholkontrolle der Schueler deren Spinde vom Hausmeister
aufschliessen und teilweise sogar aufbrechen zu lassen. Eines der
wichtigsten Buecher Poppers hiess: "Die offene Gesellschaft und ihre
Feinde" -- Schmid duerfte da etwas missverstanden haben.

"Befanden Sie sich waehrend der letzten fuenf Jahre oder sind Sie
derzeit in psychiatrischer Behandlung? Nehmen Sie regelmaessig
Alkohol, Medikamente oder Drogen?" Wer als Arbeitslose/r einen Kurs im
Berufsfoerderungsinstitut Oberoesterreich [BFI] besuchen will, muss
vorher einen Fragebogen ausfuellen, in dem solche Fragen gestellt
werden. Diese sogenannte Sozial-Anamnese sei im Interesse der
Kursteilnehmer, sagte Gerald Roithmeier, Regionalleiter des BFI, auf
Anfrage. Die Schulungsprogramme zielten darauf ab, die Arbeitslosen
fuer offene Stellen zu qualifizieren und daher werde auch die
"Belastungssituation des Arbeitslosen eruiert". Das war natuerlich
auch einen Nominierung wert.

Wiener Wohnen schaffte es auch heuer wieder auf die Liste -- war es
letztes Jahr die Videoueberwachung von Mistkuebeln im Gemeindebau
kommt heuer der Kampf gegen den grassierenden Waschkuechenmissbrauch
hinzu. Gegen die Schwarz- und Falschwaescher haelt man eine zentrale
Wiener Waschkucheldatenbank bereit mit Registrierung und ueber
Funkchips und UMTS ferngesteuerte Tueren und Waschmaschinen, die
bereits vor dem Waschschluss um 20 Uhr den Start von Programmen
verweigern, die zu lange dauern wuerden.

Weiters nominiert: Das Finanzministerium, das Spendenabsetzbarkeit and
die Sozialversicherungsnummer koppelt sowie selbstverstaendlich die
SoKo Pelztier der Polizei, die mangels echter Terroristen einen
Aufwand zur Tierrechtlerueberwachung an den Tag legte, wo das FBI
blass wuerde. Und dann ist da noch Karin Spacek, Wiener
Landessanitaetsdirektorin und Leiterin MA15: In einem als "dringend"
titulierten Schreiben forderte dir MA15 im April alle Wiener
Schulaerzte dazu auf, saemtliche Gesundheitsblaetter und
Elternfrageboegen der 4. und 8. Schulstufen vollstaendig ausgefuellt
mit Dienstpost in Kopie an den Schulaerztlichen Dienst (MA15) zu
uebermitteln. Die Daten wuerden fuer eine Studie benoetigt. Die
Unterlagen hatten neben Namen und Adressen auch eine Reihe von hoechst
persoenlichen Angaben zum Gesundheitszustand (physisch und psychisch)
und zur sozialen Lebenslage der Familien zum Inhalt. Betroffen waren
insgesamt 24.000 Schueler/innen und deren Eltern. Die wurden allesamt
nicht ueber die Weitergabe ihrer persoenlichen Daten informiert, die
sie in gutem Glauben, sie seien nur fuer den Schularzt bestimmt,
hergegeben hatten. Die Aerztekammer wies die Schulaerzteschaft
daraufhin an, diese Daten nicht weiterzugeben, da es dafuer keine
Rechtsgrundlage gebe. Die zustaendige Magistratsabteilung behauptete
bis zum Schluss, dass man das Recht haette, diese Daten zu sammeln und
auszuwerten. Begruendet wurde dies unter anderem mit Verweis auf
Gesetze und Verordnungen, die in der Zeit des Nationalsozialismus
erlassen wurden wie zum Beispiel die Durchfuehrungsverordnungen zum
Gesundheitswesen.
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Den Preis fuer "Kommunikation und Marketing" bekommt vielleicht Mark
Zuckerberg, CEO von Facebook. Denn der Weg in die
Ueberwachungsgesellschaft ist nicht mit guten Vorsaetzen gepflastert,
sondern mit Bequemlichkeit asphaltiert. Das soziale Netzwerk
Facebook -- mit seiner Datensammlung inclusive Namen, Photo,
Geburtsdatum, Schulbesuch etcetera schon mal nicht unbedenklich --
laedt den neuen Benutzer nach der Anmeldung gleich einmal ein, eines
der wichtigsten Sicherheitsprinzipien der Informationsgesellschaft
ueber Bord zu werfen: Niemals ein Passwort an Dritte weiterzugeben.
Denn der einfachste Weg, Freundinnen und Freunde auf Facebook zu
finden, sei die Eingabe von E-Mail-Adresse und Benutzerpasswort eines
bestehenden, privaten E-Mail-Accounts, also die gesamten Zugangsdaten.
Die zugehoerige Data-Mining-Applikation Friend-Finder rundet das Bild
eines Geschaeftsmodells ab, das sowohl in den Methoden als auch in der
Dreistigkeit des Vorgehens mit jedem Phishing-Kriminellen mithalten
kann.

Auch Google kommt nicht davon -- der firmeneigene Browser Chrome
uebermittelt schon dann Daten an die Suchmaschine, wenn man erst beim
Eintippen des Suchbegriffs ist -- und nicht erst nach dem Druecken der
Enter-Taste.

Die Oesterreichische Post AG ist Stammkunde bei den BBA-Nominierungen.
Diesmal steht sie auf der Liste fuer ein spezielles Service an
Verlage: "Die Post analysiert Namen und Adressen ehemaliger Abonnenten
Ihres Verlages. Dabei werden Kriterien wie Kaufkraft, Bildung,
Einkommen und Wohnumfeld unter die Lupe genommen." Man weiss ja bei
der Post zum Beispiel, was der betreffende Kunde sonst noch abonniert
hat und seit wann. Dazu muessen noch jede Menge weitere Daten kommen,
sonst liesse sich eine "Profilbeschreibung Ihres typischen Kuendigers"
oder "ein nach Alter und Geschlecht aufgestelltes Histogramm" wohl
kaum erstellen.

Und auch Amazon ist mit von der Partie: Denn wie Updates auch
funktionieren koennen, hat der Online-Einzelhaendler seinen Kunden
heuer demonstriert. Nachdem die Rechteinhaber den Verkaufsstopp zweier
E-Books verlangt hatten, wurden die beiden Titel aus dem
Online-Angebot entfernt. Bereits bezahlte elektronische Buecher wurden
von den Kindle-Lesegeraeten der Kunden rund um den Globus einfach
geloescht. Bei den geloeschten Titeln handelte es sich ausgerechnet um
George Orwells dystopische Romane "Farm der Tiere" und "1984". In
letzterem lassen Zensoren systematisch Informationen verschwinden, die
den Ueberwachungsstaat des "Grossen Bruders" in Frage stellen.

Last but not least: Russell E. List-Perry, Geschaeftsfuehrung von
123people.at. Der Service bezeichnet sich als Personensuchmaschine, im
Suchfeld gibt man denn auch Vorname und Nachname ein. Da werden
"personenbezogene Informationen", die aus Bildern, Videos,
E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Extrakten aus verschiedenen, im
Web bereits vorhandenen Profilen bestehen, aggregiert. Nur kann es
auch passieren, dass da Ergebnisse von gefaehrlicher Beliebigkeit
ausgespuckt werden -- gerade bei Leuten, die vorsichtig sind mit ihren
Angaben im Netz und wo daher die Datenlage eher gering ist. Personen
werden willkuerlich Parteien zugeordnet und Bilder falschen Personen,
Personen werden verwechselt oder ueberhaupt neu erschaffen, indem
Daten von mehreren Individuen zu einem Datensatz zusammengezogen
werden.
(Big Brother Awards/akin)

Die Liste inclusive ausfuehrlicherer Beschreibungen sowie Linklisten
zu den einzelnen Kandidaten findet sich unter
http://www.bigbrotherawards.at/2009/Nominierungen

Big Brother Awards Gala: Theater Rabenhof (A-1030 Wien, Rabengasse 3,
ca. 200m von der U-Bahnstation Kardinal-Nagl-Platz der Linie U3), So.
25. Oktober 2009, Beginn: 20:00 [Einlass: 19:00].
Der Eintritt ist frei.



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