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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. September 2009; 02:30
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Glosse:

> Wie schoen waere Griechenland ohne so manche Griechen

Die letzte Woche verbrachte ich mit meiner 13jaehrigen Tochter in
einem kleinen idyllischen Oertchen nahe der Stadt Rhodos. Nebst einer
kuscheligen, von einer kommunistisch orientierten Familie betriebenen
Pension, einem Supermarkt und einer Tankstelle praegten einige
Fischerhaeuschen das doerfliche Bild. In unserer Naehe befand sich ein
wunderschoener, naturbelassener Strand, dessen Weite es zuliess, dass
wir die Zeit am Meer unbehelligt fuer uns alleine verbringen konnten,
Es gab weit und breit keine deutschen TouristInnen, manchmal besuchten
uns nachmittags Griechen aus der Gegend, um etwas zu plaudern. Meine
Tochter hat sich in die Twylight-Buchserie verliebt und war damit
beschaeftigt, ueber 1000 Seiten zu lesen, so lasen wir gemeinsam und
erzaehlten uns gegenseitig manche Passagen aus unseren jeweiligen
Buechern. Schoen, nicht?

Und was hat so eine Story in der akin zu suchen? Gar nichts, haette
ich nicht ein grausliches Erlebnis gehabt, welches Fragen von
politischer Bedeutsamkeit aufwirft. Eines schoenen Nachmittags habe
ich ein bisschen gedoest und bin eingeschlafen. Als ich aufgewacht
bin, stand neben mit ein Mann, ein Grieche, der direkt neben mir vor
meinen Augen masturbierte. Er fragte noch hoehnisch: "Do you want
sex?" Noch nicht so ganz munter und reaktionsfaehig bat ich ihn, mich
alleine und in Ruhe zu lassen, was ihn nicht daran hinderte, direkt
vor mir seinen Orgasmus zu zelebrieren. Er sass bereits auf seinem
Motorrad, als ich es schaffte, aufzustehen. Als erstes war ich
unglaubend staunend, so quasi, das gibt's doch nicht, dann war ich
schockiert, dann fuehlte ich mich irgendwie schmutzig, vor allem
erniedrigt und gedemuetigt, kam mir vor wie der letzte Dreck, dann war
ich empoert und wurde unglaublich zornig und wuetend. Ich habe am
ganzen Koerper gezittert. Dieser Dreckskerl ist mir in einer Situation
begegnet, in der ich schutzlos und wehrlos gewesen bin. Der hat sich
mir genaehert, waehrend ich geschlafen habe, ein Akt personaler
Gewalt.

Dreckskerl. Ich kann mich immer noch nicht durchringen, mir diesen
Dreckskerl als Menschen zu denken, der, nehme ich die Menschenrechte
ernst, ein Anrecht auf Leben in Wuerde hat. Mein Menschenrechtsdenken
und meine pazifistische Orientierung sind einem Dilemma ausgesetzt.
Mein ganzer Koerper und meine ganzen Gefuehle straeuben sich gegen die
Vorstellung, diesem Dreckskerl mit Respekt begegnen zu wollen. Die
geniale Analyse von Gerda Lerner beschreibt, dass der erste Schritt
der Ungleichbehandlung, die Verweigerung des Respekts, die Abwertung
bestimmter Menschen und Menschengruppen darstellt, die unweigerlich in
Stigmatisierung muendet und letztlich zu Mord, Massenmord, Massaker
und Faschismus fuehren kann, die Wurzel der Unterdrueckung ist. Der
Pazifismus aber lehrt die Versoehnung. Ich bin zutiefst davon
ueberzeugt, dass eine Veraenderung der gesellschaftlichen
Verhaeltnisse nur durch Begegnung in gegenseitigem Respekt,
Anerkennung der Wuerde des/der Anderen, Gleichwertigkeit und
Gleichberechtigung moeglich ist. Ich bin aber nicht versoehnlich
gestimmt. Einer der beeindruckendsten Zeitzeugen, ein Ueberlebenden
des KZ Auschwitz hatte im Friedensbuero Salzburg formuliert, wuerde er
seinen Peinigern gegenuebertreten, wuerde er ihnen die Hand zur
Versoehnung von sich aus ausstrecken, da jedes auf Unterdrueckung
basierende Regime nur dadurch existieren kann, dass Menschen sich
gegenseitig missachten und verachten. Ich bin immer noch nicht
versoehnlich gestimmt. Ich bin wuetend und der Dreckskerl ist fuer
mich ein Dreckskerl. Das pazifistische Dilemma besteht darin, dass ich
eine Gewaltphantasie habe: Ich phantasiere, dem Dreckskerl zu
begegnen, um ihm eine richtig ordentliche Ohrfeige zu verpassen, und
zwar eine, die weh tut. Selbstverstaendlich wuerde ich nie Gewalt
gegen einen Menschen anwenden, aber die Vorstellung hat etwas
Erfreuliches.

Vielleicht hilft ein Gedanke von Gandhi weiter, der einst formuliert
hatte, dass wenn man jemanden besiegt hat, der Sieger darauf achten
sollte, den Besiegten nicht seiner Wuerde zu berauben. Der Standpunkt
des Siegers. Ich hab aber nicht gesiegt, ich hab verloren. Was fehlt,
ist die Antwort auf den Umkehrschluss. Was mache ich, wenn ich
verloren habe?

Wuetend bin ich vor allem auf mich selber. Nach so vielen Seminaren
und Trainings, in denen gewaltfreier Umgang mit Gewalt,
Auseinandersetzungen mit Begegnungen mit Gewalt reflektiert und
praktisch geuebt worden sind, war ich ausgerechnet mit einer
Gewaltsituation konfrontiert, der ich in voelliger
Reaktionsunfaehigkeit gegenuebergestanden bin, nicht gestanden, nein,
im Sand liegend. Es gibt genuegend Moeglichkeiten, sich gewaltfrei
einem Angriff zu verwehren, aber Sprachlosigkeit und ohnmaechtige Wut
entstehen dort, wo wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Haut zu
retten. Sprachlosigkeit in Kombination mit Wut laesst nonverbale
Kommunikation in Form von Gewalt entstehen. In dem Beispiel, welches
ich hier schildere, liegt die Entstehung der Gewalt in ihren
Ausgangspunkten, darin, dass mein Gewissen es nicht schafft, meinen
Koerper und mein Gefuehlsleben davon zu ueberzeugen, aus der
Bezeichnung Dreckskerl die Vorstellung Mensch auf gleicher Ebene zu
generieren.
*rosalia krenn*


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