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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. August 2009; 15:35
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Glosse:

> Der buergerliche Rechtsstaat

Vor dem Gesetz sind alle gleich. Niemand steht ueber dem Gesetz.
Unwissenheit schuetzt nicht vor Strafe. Zwangsgewalt darf immer nur
mit dem gelindestmoeglichen Mittel ausgefuehrt werden. Es herrscht
Gewaltentrennung. Alles Recht geht vom Volke aus.

Das haben wir doch alle mal gelernt: Diese Grundsaetze seien wichtige
Saeulen von Rechtsstaat und Demokratie. Als gelernte Oesterreicher
wissen wir: Schnecken! Die da oben richten sich´s eh!

Dieser Sommer ist aber in den Medien wirklich ein Sittenbild
entstanden, so beispielhaft haben wir das schon lange nicht mehr
gesehen.

Was haetten wir denn da?

* Ein Landeshauptmann, vormals Landesrat, wird nicht strafrechtlich
verfolgt, weil er als Nichtjurist und ergebener Gefolgsmann seines
Herren nicht gewusst haette, dass er mittels eines skurrilen
Verwaltungsaktes eine Straftat begeht. Dass er auch weiterhin nicht
die Entscheide des Hoechstgerichts umsetzt und damit in seinem
strafbaren Verhalten verharrt, obwohl er es eigentlich jetzt schon
besser wissen muesste, ist ueberhaupt egal.

* Zwei Polizisten erschiessen einen 14-jaehrigen und verletzen einen
weiteren Jugendlichen schwer. Ihre Einvernahme wird wegen ihrer
Traumatisierung tagelang verzoegert, sie bleiben selbstverstaendlich
auf freiem Fuss und versehen mittlerweile wieder ihren Dienst. Der
angeschossene, gehunfaehige Jugendliche ist natuerlich ueberhaupt
nicht traumatisiert, wird noch am selben Tag einvernommen und in
Untersuchungshaft gesperrt -- wegen Tatbegehungsgefahr.

* Ein Richter nimmt massenweise Geschenke von einem Bauunternehmer an
und interveniert wegen dessen Rechtsproblemen bei Kollegen. Das gibt
er auch zu, kann aber darin kein strafbares Verhalten entdecken. Die
Staatsanwaltschaft genausowenig.

* Eine Polizeieinheit laesst einen Abgeordnete abhoeren -- ohne
jegliche rechtliche Deckung. Was zwei militaerische Geheimdienste
machen, laesst sich nur erahnen -- weil eben geheim und militaerisch
und so. Die Heeresbeamten, aufgefordert, Akten herauszugeben, lassen
sich zwei Monate Zeit, um dann den zustaendigen Untersuchungsausschuss
mit eher laeppischen Konvoluten abzuspeisen.

* Hoechste OeVP-Kreise wiederum schlagen vor, die baldige
Bundespraesidentenwahl einfach zu spritzen und Heinz Fischer vom
Parlament fuer eine zweite Amtszeit bestellen zu lassen. Man hoert die
Nachtigall nicht nur trappsen, sondern sogar trampeln, dass die OeVP
eine solche Art der Wahl wohl generell einfuehren will -- und das in
einem Land, das einmal einen Bundespraesidenten hatte, der genau wegen
dieser mangelnden Volkslegitimation nicht in der Lage war, einen
christlichsozialen Kanzler an der Ausschaltung von Parlament und
Verfassungsgerichthof zu hindern; einen Kanzler uebrigens, der nach
wie vor in der OeVP hoechste Verehrung erfaehrt.

* Das bisserl was hingegen, was in Oesterreich an
direkt-demokratischen Mitteln vorhanden ist, beschraenkt sich auf
Volksbegehren, die im Parlament regelmaessig Begraebnisse erster
Klasse erfahren. Wenn aber heikle Ansinnen vielleicht doch Staub
aufwirbeln koennten, legt man sie gerne zur Unterzeichnung in der
Urlaubszeit auf -- so wie auch heuer wieder im Falle des
Postraub-Volksbegehrens.

Wo leben wir eigentlich? Wie nennt sich dieses Land? Rechtsstaat?
Demokratische Republik?

Manchmal ist so ein Sommerloch eine richtige Wohltat. Denn dank diesem
kamen all diese Schweinerein nicht nur prominent in den
buergerlich-liberalen Medien vor -- vom Falter ueber den Standard bis
zum ORF -- sondern sie verblieben dort auch laengere Zeit. Sie waren
Thema und wurden in vielen Kommentaren behandelt.

Nur: Wen schert´s? Das war´s naemlich auch schon mit der Kontrolle --
denn die Karawane des Staates zieht weiter, moegen die Hunde auch noch
so bellen. Vorbei sind die Zeiten, als man noch glauben konnte, dass
wenigstens die aergsten Missstaende, einmal lautstark benannt,
tatsaechlich zumindest einer Linderung zugefuehrt wuerden. Doch heute
ist der diskrete Charme der Bourgeoisie viel staerker. SPOe- und
OeVP-Politiker, Spitzenbeamte und Grossindustrielle bestimmen und
einigen sich bei einem guten Glaserl Wein an einem Privatstrand am
Woerthersee oder vor dem Kaminfeuer. Der Grossteil der Bevoelkerung
schweigt dazu -- aus spiessbuergerlicher Zustimmung, Desinteresse oder
Resignation. Aber auch wenn das Volk einmal nicht schweigt, schert die
Obrigkeit das einen Dreck. Dieses Feudalregime, das josephinistisch zu
nennen ein Euphemismus waere, sitzt weiter fest im Sattel.

Wir brauchen eine Revolution. Und zwar zuerst einmal eine
buergerliche.
*Bernhard Redl*



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