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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Maerz 2009; 17:33
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Recht und Gesetz/USA/Glosse:

> Duennes Eis

Kalifornische Homosexuellengruppen und die Buergerrechtsorganisation
ACLU wollen das Ergebnis der Abstimmung ueber die beruechtigte
"Proposition 8" nicht akzeptieren. "Prop 8" war eine Initiative zur
Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe, ueber die im
Hollywood-Staat gleichzeitig mit den US-Praesidenten-
und -Parlamentswahlen abgestimmt worden war, und die leider
erfolgreich war.

Nun wandern ACLU und Co. vor das kalifornische Hoechstgericht. Die
Argumentation: Das Recht auf homosexuelle Eheschliessung ist ein
Bestandteil eines nicht-diskriminierenden Rechts auf Ehe und Familie
und dessen Abschaffung verletze den Gleichheitsgrundsatz und den
Schutz vor Diskrimierung.

Dass der Klage rechtgegeben wird, ist dabei eher unwahrscheinlich.
Dass die Klage berechtigt ist, ist dem Verfasser diesr Zeilen aber
natuerlich klar -- wenn ich auch nichts von der amtlichen Beglaubigung
sexueller Beziehungen halte, so muss doch das Recht darauf unabhaengig
von der geschlechtlichen Orientierung existieren.

Aber: Hier wird wieder einmal die prinzipielle Frage von
Volkssouveraenitaet, Rechtsstaat und Menschenrechten gestellt. Darf
ein Gericht einfach so einen Volksentscheid aufheben?

Der oesterreichische Verfassungerichtshof hat einmal in einem Urteil
in einer Nebenbemerkung angedeutet, dass es rechtsstaatliche
Prinzipien geben koennte, die nicht einmal durch ein
Verfassungsplebiszit aufgehoben werden koennten. Der VfGH hat diese
Frage damals nicht eindeutig beantwortet, da sie nicht zum
Verhandlungsgegenstand gehoerte -- ein Glueck fuer den Gerichtshof,
den die Antwort, wie immer sie auch ausgefallen waere, haette
seinerseits selbst rechtsstaatliche Prinzipien in Frage gestellt:
Entweder die Volkssouveraenitaet oder Rechtsgrundsaetze wie eben
beispielsweise die Menschenrechte. Hier zu sagen, dies waere eine
Frage der Abwaegung dieser Prinzipien, waere eine faule Ausrede, denn
eine Beschaedigung sowohl des einen wie auch des anderen ist auf alle
Faelle immer auch eine betraechtliche Beschaedigung der
buergerlich-demokratischen Verfasstheit der herrschenden politischen
Systeme und des Selbstverstaendnisses des Staates.

In der jetzigen Causa kann sich das Kalifornische Hoechstgericht wohl
noch mit der Behauptung, hier werde voellig korrekt ungleiches
ungleich behandelt, da ja nunmal zentrales Ziel der Ehe die
Kinderproduktion waere. Selbst wenn das Hoechstgericht mit Liberalen
durchsetzt waere -- was es wohl nicht ist --, wird es sich so vor der
Anmassung, einen Volksentscheid aufheben zu muessen, wahrscheinlich
genau mit diesen Argumenten zu retten wissen.

Doch die Frage bleibt: Darf ein Gericht das Recht vor dem Volk
schuetzen? Als Linker kann ich natuerlich argumentieren, dass das
Volk, in einem Bundesstaat, wo die Todesstrafe unbestritten ist,
natuerlich keine entsprechende Information von seinen Medien bekommt,
wozu Menschenrechte nuetze sind. Und als Anarchist kann ich sagen,
dass eine Diktatur der Mehrheit keine Demokratie sein kann. Wuerde in
Oesterreich per Volksentscheid beispielsweise wieder die Todesstrafe
eingefuehrt, waeren mir dann wahrscheinlich sogar das Hoechstgericht
als Mittel dagegen recht. Doch kann ich als Linker und Anarchist guten
Gewissens die buergerliche Rechtssprechung anrufen?

Die kalifornischen Homosexuellenlobbies duerfen das -- sie vertreten
ganz klar die Interessen einer bestimmten Gruppe und duerfen jedes
opportun erscheinende Mittel nutzen. Aber darf eine
Buergerrechtsorganisation wie die ACLU -- auch wenn sie sachlich
tausendmal im Recht ist -- ein Gericht auffordern, demokratische
Partizipationsrechte einfach so zu kippen? Ich schaetze die ACLU und
waere froh, wenn es hierzulande aehnliches gaebe -- aber hier beginnt
das Eis verdammt duenn zu werden...
*Bernhard Redl*



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