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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Jaenner 2009; 19:07
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Glosse:

> Was lernen wir aus 500 Jahren Kapitalismus?

Es ist alles nicht so schlimm, wie alle tun. Es ist viel schlimmer.
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Der Zusammenbruch der Finanzmaerkte seit August 2007 war nur der
Anfang. Die Vernichtung von spekulativem Kapital in Billionenhoehe auf
dem ganzen Globus bildet nur die Staubwolken einer ungleich tieferen
Krise des globalen Kapitalismus, die hinter der scheinheiligen
Aufregung ueber Gier, Zockerei und Spekulation allmaehlich zum
Vorschein kommt. Noch lenken die scheinbar raetselhaften und
unglaublichen Phaenomene auf den Spielwiesen einer unbekannten Welt
der Hochfinanz von der dahinter stehenden Dramatik der globalen
Strukturkrise ab. Geradezu mit Erleichterung stuerzen sich Medien und
Politik auf jeden neuen Fall von offensichtlichem Finanzschwindel und
versuchen damit der Bevoelkerung zu suggerieren, ein paar Uebeltaeter
seien Schuld an der Misere und muessten nur bestraft werden. Zugleich
stehen die Staaten dieser Welt mit ihren wirkungslosen Bemuehungen um
eine Beherrschung der Krise immer hilfloser da und ihre Legitimation
als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor zerbroeckelt. Historisch sind
das die Situationen, in denen es den Menschen in den Sinn kommen kann,
die Dinge gleich selber in die Hand zu nehmen und nicht mehr den
Herrschenden zu ueberlassen.

Was heute zusammenkommt und als Finanzkrise nur einen ersten Ausdruck
findet, sind drei Krisen auf einmal:

Das Ende eines Produktions- und Akkumulationsmodells, mit dem der
Kapitalismus nach seinem dramatischen Scheitern in der ersten Haelfte
des 20. Jahrhunderts, nach den Barbareien von Weltkriegen und
Faschismus, trotzdem noch ein mal einen historisch beispiellosen Boom
und eine globale Expansion erfuhr. In die Krise geriet dieses Modell
schon in den siebziger Jahren mit ruecklaeufigen
Produktivitaetszuwaechsen, einer sinkenden Profitrate und breiten
proletarischen Kaempfen gegen die Diktatur von Fliessband und
Akkordarbeit. Seit dieser Krise ist das Kapital immer staerker in die
Sphaere einer rein finanziellen und spekulativen Selbstverwertung
gefluechtet, was schliesslich zu der bizarren Konstellation an den
Finanzmaerkten gefuehrt hat, die jetzt zusammenbricht -- und das
Schlimmste auf dieser Ebene kommt erst noch, wie die juengsten Zahlen
zeigen.

Zweitens spitzt sich eine globale Krise der Naturressourcen zu, der
die Herrschenden genauso hilflos gegenueberstehen, weil die Basis
ihrer Macht eine vom Oel getriebene Produktions- und Transportmaschine
bildet, die sie nicht in Frage stellen koennen. Die Welle der
Lebensmittelunruhen, die sich seit Ende 2007 im globalen Massstab
ausbreitet, ist eine Reaktion auf den dramatischen Anstieg der
Nahrungspreise, der unmittelbar mit den Grenzen dieses
Akkumulationsmodells zusammenhaengt: dem wahnwitzigen Versuch, aus
Lebensmitteln einen alternativen Treibstoff zu produzieren und der
Benutzung von Nahrung als Spekulationsobjekt nach dem Platzen der
Immobilienblase.

Die dritte und akuteste Krise ist die politische Erosion des
Staatensystems unter Fuehrung der USA, das den Wiederaufstieg des
Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg ueberhaupt erst moeglich
gemacht hat. Die Kriege gegen den Irak und Afghanistan waren die
letzten Versuche der globalen Ordnungsmacht, mit militaerischen
Mitteln ihre Rolle als Garant des kapitalistischen Weltmarkts zu
verteidigen, die sie auf finanzieller, oekonomischer und politischer
Ebene schleichend verloren hatte. Und so wie das Scheitern der
militaerischen Stabilisierungspolitik im Irak und in Afghanistan
schlagartig den Niedergang des "Imperiums" beleuchteten, so
demonstriert die Finanzkrise das Ende eines auf dem Dollar beruhenden
Weltkapitalismus.

Seit seinem ersten Take-Off im 16. Jahrhundert hat sich der
Kapitalismus nicht gradlinig, sondern immer wieder unterbrochen von
tiefen, langen wirtschaftlichen und politischen Krisen entwickelt.
Aehnlich wie heute markierte jede dieser Krisen die Grenze eines
bestimmten Produktions- und Akkumulationsmodell, einer bestimmten Form
des Umgangs mit natuerlichen Ressourcen und das Auseinanderfallen
eines vormals stabilen Staatensystems als Ordnungsrahmen. In allen
bisherigen dieser Krise war der jahrzehntelang Uebergang zu einer
neuen Ordnung von Krieg, politischem Chaos und gesellschaftlicher
Barbarei begleitet. Ein genauerer Vergleich dieser Krisen zeigt aber
auch, dass sie nicht einfach eine Wiederholung des Immergleichen
waren, sondern dass die Faehigkeit, Kompetenz und Macht der einfachen
Menschen, auf den Verlauf und den Ausgang der Krisen Einfluss zu
nehmen zugenommen hat. Heute stehen wir vor einer aehnlichen
Situation: Vor dem Hintergrund einer langanhaltenden oekonomischen
Depression und eines auseinanderbrechenden Staatensystems waechst die
Gefahr, das Staatsmaenner als letzte Option ihrer Herrschaftssicherung
Kriege anzetteln und dass jeder einzelne militaerische Konflikt wie
der Angriff Israels auf Gaza oder der Gasstreit zwischen Russland und
der Ukraine in regionale oder globale Flaechenbraende eskalieren kann.
Auf der anderen Seite steht eine mittlerweile auf fast sieben
Milliarden Menschen angewachsene Weltbevoelkerung, die sich dies
vielleicht nicht mehr gefallen laesst, die sich nicht wieder in einen
Strudel von Nationalismus und Rassismus hineinziehen laesst, in deren
sozialen Kaempfen von China bis Argentinien eine Alternative zu der
historisch bekannten Logik von Krise, Krieg und Barbarei entstehen
koennte.
(Aussendung "Subversive Kantine")

"Unsere Optionen eines zusammenbrechenden Systems - Was lernen wir aus
500 Jahren Kapitalismus?", Vortrag von einem Genossen aus dem Umfeld
von Wildcat (Koeln) mit anschliessender Diskussion am Donnerstag,
29.1.2009 um 20 Uhr im EKH (1100 Wien, Wielandgasse 2 - 4), 2. Stock,
mit Volxkueche.



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