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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Jaenner 2009; 19:08
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Glosse:

> Wird das Gas auf Dauer fliessen?

Aber ja, meinen Optimisten. GASPROM (und Russland) brauchen das Geld.
Die Ukraine (und Europa) brauchen das Gas. Jeder wird halt etwas
nachgeben muessen und die Beteiligten werden sich bald zusammenraufen.

Den Nachdenklicheren ist schon aufgefallen, mit welcher Haerte da
gueltige Vertraege gebrochen werden. Sie hoffen auf neue Lieferwege
und Lieferanten.

Die Vorausschauenden setzen auf eine besser ausgewogene Mischung der
Formen von Energie, vor allem auf erneuerbare Energieformen und auf
das Einsparen von Energie.

Viele Menschen glauben, mit einigen oekologischen Korrekturen kann im
wesentlichen weiter gewirtschaftet werden wie bisher. Immerhin geht
die offizielle Linie der EU im Rahmen der Lissabon-Strategie davon
aus. Die EU soll ein Wirtschaftsraum werden "der faehig ist, ein
dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplaetzen
und einem groesserem sozialen Zusammenhang zu erzielen".

Gestatten wir uns also eine kurze Rundschau, inwieweit die Entwicklung
mit den Absichten uebereinstimmt.

Die Energie ist eine entscheidende Grundlage unserer momentanen Form
von Zivilisation. Ohne Energie gelangen wir nicht an die notwendige
Masse von Rohstoffen und Lebensmitteln, koennen nicht ausreichend
produzieren und die Produkte verteilen. Ohne Energie koennen wir weder
unsere Industrieanlagen bauen, noch sie heizen oder kuehlen.

Der momentane Streit um die Gaslieferungen hat das schlagartig vor
Augen gefuehrt!

Weltweit sind Erdoel, Gas und Kohle die wichtigsten Quellen von
Energie. Sie stehen allerdings nicht unbeschraenkt zur Verfuegung. Was
allerdings noch viel wichtiger ist: schon zu unseren Lebzeiten wird
der Hoehepunkt der Foerderung ueberschritten. Danach beginnt die Zeit
der Knappheit. Deren Folgen sind beim Streit um den Gastransit gerade
zu sehen.

Der vierte grosse globale Energietraeger ist die Biomasse. Doch sie
allein kann uns nicht absichern. Wenn Oesterreich (das ja eines der
waldreichsten Laender Europas ist) ein einziger vollstaendiger
erntefaehiger Buchenwald waere, koennten wir trotzdem nur ein gutes
Viertel unseres Energiebedarfes damit decken. Und die Kontinente sind
weder vollstaendig von Wald bedeckt, noch kann man den gesamten
vorhandenen Wald abholzen- ausser man nimmt die totale Verwuestung der
Welt in Kauf.

Im Vergleich zu den fossilen Energietraegern spielen Atomenergie (die
Probleme der Knappheit von Uran und der ungeloesten Entsorgung sind
hier von Bedeutung) und Wasserkraft global kaum eine Rolle. Besonders
letzteres mag in Oesterreich erstaunen - doch auch wir importieren
bereits Strom.

Die Beitraege von Wind- und Sonnenenergie zum weltweiten
Energieverbrauch sind geradezu vernachlaessigbar.

Und so verlaeuft die globale Entwicklung im Moment: der
Energieverbrauch waechst um 1-2% pro Jahr, der Stromverbrauch um 2-3%.
Eine Wachstumsrate von 2% bedeutet eine Verdoppelung in 35 Jahren.

Also lautet die naechste Schlussfolgerung, dass wir das
Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch entkoppeln muessen. Das ist
aber weltweit bisher nirgends gelungen. Vor allem moechten Milliarden
Menschen auch gerne den Lebensstandard der entwickelten
Industriegesellschaften erreichen.

Eine Hoffnung, so meinen viele, besteht im Umstieg von der Industrie-
zur Dienstleistungsgesellschaft. Die ist in 19 hoch entwickelten
Laendern bereits Wirklichkeit, denn dort betraegt ihr Anteil bereits
ueber 70% des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Der Energiebedarf steigt
trotzdem an. Man braucht nur nach den USA zu schauen. Sie
erwirtschaften rund 80% des BIP im Dienstleistungssektor.

Also muss vor allem die Energie geschickter und sparsamer genutzt
werden - die Effizienz gesteigert werden. Alle Bemuehungen in diese
Richtung haben insgesamt folgendes Resultat erbracht: Die Rate, mit
der die Effizienz gesteigert wird, waechst halb so schnell wie die
Rate des steigenden Energieverbrauches. Damit der Energieverbrauch
konstant bleibt muss also die Effizienzrate verdoppelt werden. Das
faellt umso schwerer, weil sich in den letzten Jahren der Anstieg der
Rate der Effizienz verlangsamt hat.

Hinter diesem Zusammenhang der zahlenmaessigen Entwicklung von
entscheidenden Kennziffern stehen inhaltliche Probleme der
Verwirklichung von Energieeffizienz. Auch neue Technologien brauchen
natuerlich Energie zu ihrer Herstellung und Entsorgung. Sie sind
ausserdem noch zu wenig ausgereift. Und man muss sich die Neuerungen
sowohl als Staat wie als Betrieb und Privatperson auch finanziell
leisten koennen.

Die Fortschrittsglaeubigen setzen darauf, dass die Menschheit zu
gegebener Zeit noch immer neue Energiequellen und Methoden ihrer
Verwendung entdeckt hat. Doch fuer verantwortungsvoll Denkende ist die
Hoffnung kein Ersatz fuer Handlungen gemaess der aktuellen Realitaet.

Das gilt umso mehr, als wir jetzt mit dem Klimawandel konfrontiert
sind. Laut einer neuen Studie von Mitarbeitern der US-Universitaet
Stanford und Washington (veroeffentlicht im Magazin SCIENCE) koennte
Ende des Jahrhunderts die Haelfte der Erdbevoelkerung mit einer
Wahrscheinlichkeit von ueber 90% von Hungersnoeten bedroht sein.

Der Klimawandel verengt das Feld der Hoffnungen auf zukuenftige
Entdeckungen neuer und effizienterer Formen der Energiegewinnung. Wir
muessen jetzt eine ausreichende Umgestaltung in unserer Verwendung von
Energie in Gang setzen!

Doch halt - ist nicht Oesterreich wieder einmal ein Vorreiter? Die
burgenlaendische Gemeinde Guessing hat nach einem Grundsatzbeschluss
im Jahr 1990 jetzt die Energieautarkie verwirklicht. Heute erzeugt
Guessing mehr Strom und Waerme auf der Basis erneuerbarer Energie, als
es selbst benoetigt. Genaues Hinschauen zeigt, das "Wunder" von
Guessing beruht wesentlich auf einem Waldanteil des Bezirks von 40%
und hohen Foerderungen. Es kann nicht ohne weiteres ueberall
implantiert werden. Man braucht nur an die grossen Metropolen des
Planeten zu denken.

Eine vom deutschen Solarenergie- Foerderungsverein (SFV) beauftragte
Studie kommt fuer Deutschland zu folgendem Ergebnis: Eine
Vollversorgung mit erneuerbaren Energietraegern geht sich aus - wenn
der gesamte Energiebedarf um 40% absinkt.

Vom heutigen Wissensstand ausgehend kann man vorhersagen, dass wir in
den naechsten Jahrzehnten eine wahre Revolution in der Produktion
unseres materiellen Lebens in Gang setzen muessen.

In dem Zusammenhang stellt sich die Frage: Koennen wir uns auf Dauer
die kapitalistische Produktionsweise noch leisten?

Ein bemerkenswert informatives Buch geht dieser Frage nach: "Die
Grenzen des Kapitalismus"(www.ueberreuter.at).

Auf jeden Fall wird der Weg in Richtung einer ausreichend oekologisch
gepraegten Wirtschaftsweise eine hohe finanzielle Umverteilung
erfordern. Auch darauf wirft die aktuelle Gaskrise ein bezeichnendes
Schlaglicht. In Oesterreich koennen sich laut Statistik Austria 31.300
Menschen das Warmhalten der Wohnung nicht leisten. In Ungarn erfrieren
jeden Winter bis zu 400 Menschen - 80% davon in ihren Wohnungen.

Daher kann nicht die Steigerung eines fragwuerdigen Massenkonsums das
Ziel einer Umverteilung sein, sondern der Umbau der Produktionsweise
und der Produktionsverhaeltnisse sowie die soziale Abfederung der
Lebensbedingungen.
*Hans Kohlmaier, www.umverteilung.at (gek.)*


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