**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. Oktober 2008; 18:06
**********************************************************

BRD/Justiz:

> Kein »Feindstrafrecht«, aber ...

Der 67. Deutsche Juristentag debattierte Ende September in Erfurt
ueber Spannungsfeld zwischen Rechtsstaat und effektiver
Strafverfolgung -- letztendlich aber auch ueber die Legitimitaet der
Folter.
*

»Es gibt kein prozessuales Feindstrafrecht«, betonte Prof. Gunter
Widmaier, der als Vorsitzender der Abteilung Strafrecht des
Juristentags ueber deren Debatten und Beschluesse berichtete. »Gerade
weil sich der Rechtsstaat mit rechtstaatlichen Mitteln verteidigt,
kann er sich kraftvoll und effektiv verteidigen«, sagte der
Rechtsanwalt.

Die Strafrechtler hatten sich 2008 ein brisantes Thema vorgenommen, es
aber womoeglich gerade deshalb in eine akademische Formulierung
verpackt: »Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote im
Spannungsfeld zwischen den Garantien des Rechtsstaates und der
effektiven Bekaempfung von Kriminalitaet und Terrorismus«. Im Kern
ging es darum, ob dem Staat letztlich jedes Mittel recht sein darf, ob
an den Prinzipien des Rechtsstaats und eines fairen Verfahrens
Abstriche gemacht werden duerfen.

Die Antworten fielen unterschiedlich aus, gerade hinsichtlich
des »Feindstrafrechts«, das die USA in ihrem erklaerten »Krieg gegen
den Terrorismus« praktizieren. Vize-Generalbundesanwalt Rainer
Griesbaum hatte in Erfurt gefordert, »im Einzelfall« auch im Ausland
unter Folter erzwungene Aussagen fuer weitere Ermittlungen zu
verwenden. Hingegen betonte Rechtsanwalt Dirk Lammer, fuer die
Verwertung auslaendischer Beweise komme nur die Anwendung der
deutschen Strafprozessordnung und ihrer Massstaebe in Betracht.
Ein »Wettlauf der Schaebigkeit« bei der Beweiserhebung und -verwertung
muesse vermieden werden.

Die Mehrheit der an der Abstimmung ueber die Empfehlungen
teilnehmenden knapp 80 Juristen ist de facto eher Griesbaum gefolgt:
Sie postulierte, dass auch Beweismittel, die einem Verwertungsverbot
unterliegen, einen Anfangsverdacht begruenden koennen und als
Ermittlungsansatz verwendet werden duerften. Auch Griesbaums Position,
bei »Fruechten vom verbotenen Baum« muesse abgewogen werden, ob sie
verwendet werden duerfen, fand eine klare Mehrheit.

Dabei sollen neben dem »Gewicht« des Verstosses gegen ein
rechtsstaatliches Verfahren und dem Mass an Pflichtwidrigkeit seitens
der Strafvollzugsbehoerde auch die Schwere des Schuldvorwurfs und »das
Interesse der Allgemeinheit« beruecksichtigt werden. Dies ist ein
Plaedoyer fuer subjektive »Gueterabwaegung«, zumal die Strafrechtler
zwar betonten, Recht und Praxis der Beweisverbote muessten
fortentwickelt und verbessert werden, eine Mehrheit dies aber nicht
als Aufgabe des Gesetzgebers, sondern allein der Rechtsprechung sah.

Bei den Voten ueber die Ziele solcher Bemuehungen entfielen 64 Stimmen
auf »verlaesslichere Vorhersehbarkeit der Anerkennung und der
Reichweite von Beweisverboten« und nur 42 auf »staerkere Beachtung der
verfassungsmaessigen Grundlagen des fairen Verfahrens«.

Deutscher Juristentag

Dem 1860 gegruendeten privaten Verein mit derzeit rund 7500
Mitgliedern geht der Nimbus voraus, nachhaltig auf Gesetzgebung und
Rechtsprechung Einfluss zu nehmen. Und in der Vergangenheit war das
haeufig der Fall. Das liegt vor allem daran, dass bei dem alle zwei
Jahre stattfindenden Juristentag prominente Rechtswissenschaftler
sowie Richter, Staats- und Rechtsanwaelte mit Politikern, Vertretern
der Wirtschaft, von Gewerkschaften und vielen anderen
Interesseverbaenden gruendlich ueber aktuelle Themen debattieren, zu
denen ein Gutachten vorliegt und Referenten Stellung nehmen.
(Claus Duemde in: Neues Deutschland, 27.9.08/bearb.)

Originaltext:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/136251.kein-feindstrafrecht-aber.html



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin