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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2008; 17:24
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Psychotherapie:

> Opferschutz gibt es nicht

In einem Offenen Brief beklagt eine Gruppe von PsychotherapeutInnen
den Mangel eines echten Interessse der Politik an Hilfe fuer Gewaltopfer
jenseits der Schlagzeilen.
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Missbrauchte und geschundene Kinder werden aus Kisten und Kellern
befreit und PolitikerInnen aller Lager werden nicht muede, Opfern
familiaerer/ sexueller Gewalt Unterstuetzung zu garantieren.

Die Realitaet sieht leider anders aus:

1. Die Uebernahme der Kosten fuer Psychotherapie kann beim
Bundessozialamt beantragt werden.

2. Der Antrag wird innerhalb von SECHS Monaten bearbeitet, da das
Bundessozialamt ueber zu wenig Personal verfuegt.

3. Dem Antrag sind BEWEISE beizulegen. Ist der Taeter/die Taeterin
einschlaegig verurteilt worden (auf das Delikt muss eine
Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten stehen), so ist es dennoch
wahrscheinlich, dass der Antrag abgelehnt wird, wenn die Verurteilung
wegen sexuellen Missbrauchs einer anderen Person, nicht aber der
Antragstellerin, erfolgte.

4. Manche PsychotherapeutInnen lehnen wegen der ungewissen
Finanzierung PatientInnen ab, deren Therapien ueber das
Bundessozialamt bezahlt werden muessten, weil Psychotherapie unter
solchen Umstaenden nicht verantwortbar ist.

5. Werden die Kosten vom Bundessozialamt uebernommen, so gibt es eine
Zusage fuer zumeist 30 Stunden (Einheiten). Das entspricht einem ¾
Jahr Therapie bei einer Stunde pro Woche oder fuenf Monaten bei zwei
Stunden pro Woche.

6. Der Weisse Ring springt u.U. mit der Vorfinanzierung von ca.13
Therapiestunden ein.

Oft erinnern PatientInnen erst im Laufe eines langen Therapieprozesses
den Missbrauch in frueher Kindheit. Der ist dann freilich meist schon
laengst verjaehrt.

Eine weitere Schwierigkeit, was die geforderte Aktenkundigkeit
anbelangt ist: Vor allem bei Inzest-Familien handelt es sich meist um
"Festungen des Schweigens", - und zwar unabhaengig vom Missbrauch und
auch schon vor dessen Beginn. Der Inzest stabilisiert dieses
schwierige Familiensystem und Unabhaengigkeit wird geahndet.

Gelingt es nicht, diese Dynamik in dieser Generation zu durchbrechen,
so kommt es sehr sehr oft zu Wiederholungen in der naechsten
Generation.

Missstaende verzeichnen wir ebenfalls auf der Seite der Taeter oder
potenziellen Taeter:

Maenner, die sich wegen paedophiler Impulse in Therapie begeben
moechten, bekommen die Therapie erst dann finanziert, wenn sie bereits
verurteilt wurden.

Ein mittelloser Mann mit paedophilen Impulsen muesste also erst
straffaellig werden, um eine Therapie bezahlt zu bekommen. Ist das
wirklich unser Ziel? (Er muesste Selbstanzeige erstatten. Die
Konsequenzen waeren neben der gesellschaftlichen Aechtung des Mannes:
eine Bewaehrungsstrafe mit der Auflage, sich in psychotherapeutische
Behandlung zu begeben. )

Tatsache ist: Eine enorm grosse Zahl von Personen leidet an den Folgen
von Inzest, sexueller und familiaerer Gewalt. Inzest und (sexuelle)
Gewalt in der Familie fuehren zu unvorstellbar grossem Leid.

Die Symptome sind: Misstrauen, Gefuehlstaubheit oder Uebererregung,
flash-backs (das "Wiederdurchleben" der traumatischen Situation, als
wuerde sie gerade erlebt), Albtraeume, Schlafstoerung,
selbstverletzendes Verhalten, Suizidgefahr, Sexualisierung aller
Sozialkontakte oder Vermeidung von Sexualitaet, Angstzustaende,
Arbeits oder-Lernstoerung, Schuldgefuehle und Scham. Sprachlosigkeit
zaehlt zu den Folgen des Seelenmordes. Deshalb ist der geschuetzte
Rahmen der Psychotherapie oft die einzige und erste Chance ueber
Gewalterfahrung zu reden und diese zu verarbeiten. Nicht anders ist es
fuer potenzielle Taeter, die sich mit ihren Neigungen
auseinandersetzen wollen.

Sprachlosigkeit und Schuldgefuehle zaehlen zu den Folgen dieses
Seelenmordes. Den eigenen Vater, Onkel, Grossvater, die Mutter oder
den Bruder anzuzeigen erfordert mehr Mut, als diese Menschen
aufbringen koennen.

Fuer uns PsychotherapeutInnen ist der Umgang mit PatientInnen, die in
ihrer Kindheit sexuellen Verbrechen zum Opfer gefallen sind, leider
Alltag .

Therapien mit Missbrauchopfern sind ein zeitlich langer, muehevoller,
aber wichtiger und lohnender Prozess.

Therapien mit Gewaltopfern brauchen Zeit, Geduld und dauerhafte
finanzielle Unterstuetzung. Dazu gibt es keine Alternative, wenn ein
Opfer genesen soll, wieder voll integriert sein soll und sich unsere
Gesellschaft zum Opferschutz bekennt.

Die vorhandenen Kontingentstunden zur Finanzierung von "Psychotherapie
auf Krankenschein" reichen bei weitem nicht aus.

*Yasmin Randall, Dr.Katharina Guttenbrunner, Dr. Ursula Duval,
Ing.Franz Groeller, Dr. Heinrich Wallnoefer, Mag.Wolfgang Oswald,
Sibylle Steidl, Dr. Norbert Chimani, Dr. Susanne Frei, Dr. Hanns
Zykan, Mag.a Michaela Neufeldt-Schoeller, Mag.a Ruth Boesch-Paulitsch,
Ursula Zumtobel, Mag.Stefan Hofbauer, Elgard Schinko, Edith Breuss,
Mag.a Ingrid Flaig, Mag.a Martina Nowotny, Dr. Karl Heinz Ladenhauf,
Doris Friedl, Mag.a Agnes Salomon, Prof.Dr.iur. Rotraud Perner,
Univ.Doz.Dr. Harry Merl, Caroline Raich-Wimmer, Dr. Elisabeth
Brunner-Karré, Dr. Sabina Lindenbauer, B.Petra Steurer-Paschinger, Dr.
Klaus Schulte, Eveline Paula Leitl, Johannes Gutmann, Hilde Heindl,
Dr. Barbara Dollenz, Mag. Johann Steiner, Bettina Reinisch, Dr. Helmut
Jelem, Mag.Alexander Sadilek, Doris Friedl, Claudia Wielander*

 

 

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