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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2008; 16:43
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Arbeit:

> "Jetzt schauen wir uns das einmal an"

Der internationale Siemens-Konzern hat angekuendigt, weltweit 16.750
KollegInnen zu entlassen, davon rund 5000 in Deutschland und rund 500
in Oesterreich - intern kursieren aber weit hoehere Zahlen. Laut der
Zeitschrift "Focus" kostet dieser Arbeitsplatzabbau den Konzern rund
800 Millionen Euro. Doch das strategische Ziel von Siemens ist, sich
fuer InvestorInnen attraktiver zu machen. Dazu ein Interview mit Isa
Sauerer (Name geaendert), Isa arbeitet in der Siemens AG in Wien

Frage: Isa, kannst Du uns zu Beginn etwas ueber den Siemens-Konzern
erzaehlen?

Gern! An sich ist der Konzern ja sehr bekannt, weltweit arbeiten bei
Siemens rund 430.000 Leute, in Oesterreich sind es ohne
LeiharbeiterInnen ca. 15.000, in der "Siemens Welt", also inclusive
beispielsweise der Voest Industrieanlagenbau, sind es rund 30.000.
Siemens hat uebrigens eine eigene Leiharbeitsfirma, bei der ca. 1000
KollegInnen angestellt sind, dazu kommen KollegInnen, die ueber andere
Leiharbeitsfirmen bei Siemens arbeiten.

Frage: Wie sieht es mit dem aktuellen Jobbaubbau aus?

Offiziell sollen in Oesterreich 500 KollegInnen gekuendigt werden.
Intern kursieren aber Zahlen von 1000 bis 3000. Das soll quer durch
alle Abteilungen gehen, ueberall wird eingespart. Oft werden auch fest
angestellte KollegInnen durch LeiharbeiterInnen ersetzt. Das ist
praktisch, denn die werden als "zugekaufte Dienstleistungen" unter
"Sachgueter" verbucht. Dadurch werden die Gemeinkosten wie Kantine
oder Betriebsarzt nur auf den virtuellen Personalstand aufgerechnet.
In der Buchhaltung schaut das dann so aus, als waeren
LeiharbeiterInnen billiger als die Stammbelegschaft - und je mehr
LeiharbeiterInnen es gibt, desto teurer scheint die Stammbelegschaft.

Ein weiteres grosses Thema ist die Auslagerung. Bei der Berechnung der
Projektkosten wird staendig versucht, "teure" oesterreichische oder
deutsche Arbeit durch "billigere" slowakische oder bulgarische
(Leih-)arbeiterInnen zu ersetzen. Am liebsten waere es der
Konzernleitung wohl, in Deutschland und Oesterreich nur die
Projektleitung zu haben und alle anderen ArbeiterInnen in einem
moeglichst billigen Drittland. Doch das funktioniert nur sehr bedingt
und so manche Verlagerung wird wieder rueckgaengig gemacht, was
natuerlich enorme Kosten und Know-how-Verluste bedeutet. Gleichzeitig
macht diese Situation klar, dass wir eine internationale Antwort und
Vernetzung mit den KollegInnen in diesen Laendern brauchen, damit wir
nicht gegeneinander ausgespielt werden koennen. Es wird aber auch in
Oesterreich selbst viel ausgelagert, etwa der Kopierbereich, der aber
fast nur fuer Siemens kopiert. Billiger ist das kaum, aber am Papier
schaut es gut aus.

Uns sagen sie, dass gekuendigt werden muss, weil keine Auftraege mehr
da seien, aber die Auftraege stiegen 2008, bezogen auf den
Vergleichszeitraum des Vorjahrs sogar um 26%. Die Auftragsbuecher sind
also voll. Auch die Gewinne steigen deutlich an: Laut
Geschaeftsbericht 2007 hatte die Firma 2007 eines der besten
operativen Ergebnisse der Geschichte, der Gewinn stieg um 20% auf
ueber 4 Milliarden Euro, der Gewinn pro Aktie um 21%. Waehrend die
Firma also Gewinne macht, gibt es eine Kuendigungswelle fuer die
ArbeiterInnen

Frage: Wie siehst Du die Rolle von Betriebsrat und Gewerkschaft?

Die dominierende Gewerkschaftsfraktion bei uns ist die die Fraktion
sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG). Sie tut nichts, zeigt
keine Kampfbereitschaft. Gerade Siemens hat ja eine sehr gute
Verbindung zur SPOe, mit Brigitte Ederer ist eine ehemalige
Spitzenfunktionaerin der SPOe Chefin des Konzerns. Da sind dann
Betriebsrat und Geschaeftsleitung sehr gut miteinander bekannt, alle
sind in der gleichen Partei.

Wir haben das Gefuehl, dass der Betriebsrat oft auch viel mehr ueber
den Stand der Entlassungen weiss, aber nichts raus laesst. Bei einer
Infoveranstaltung Anfang Juni in Wien, wo ca. 1000 KollegInnen waren,
war der Betriebsrat horrormaessig. Sie waren gemeinsam mit der
Geschaeftsleitung am Podium und haben eine Art
"Alles-wird-gut"-Stimmung verbreitet. Die Chefs meinten, wir sollen
uns keine Sorgen machen, es gaebe auch ein Leben nach Siemens.

Frage: Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Sehr schlecht, auch gegenueber den BetriebsraetInnen. Nach Meinung
vieler KollegInnen haben sie es sich gerichtet, gehoeren auch zu denen
da oben. Die Stimmung ist aber in unterschiedlichen Bereichen auch
ganz unterschiedlich. In Bereichen, wo es bisher keine grossen
Angriffe gab, ist eher Resignation zu spueren, in anderen, wo es schon
in der Vergangenheit Angriffe gab, hoere ich manchmal "Jetzt schauen
wir uns das einmal an" und es gibt eine gewisse Kampfbereitschaft. Die
Mehrheit meint aber wohl, man koenne nichts machen, weil keine/r
weiss, wie. Es gibt Wut und Frust, aber sie ist noch nicht
kanalisiert. Es scheint auch, dass die Firma Angst vor Sabotage
haette, bei der Kuendigungswelle vor drei Jahren wurden die
KollegInnen unmittelbar nach der Kuendigung aus dem Werk
"hinausbegleitet".

Teilweise versucht die Geschaeftsleitung zu sagen, dass "die
Deutschen" an den Entlassungen schuld waeren, aber das ist natuerlich
Unsinn. Die oesterreichische Geschaeftsleitung traegt die volle
Verantwortung.

Frage: Bei Siemens hat es ja kuerzlich international einen grossen
Schmiergeldskandal gegeben. Wie sehen denn das die KollegInnen?

Es gibt oft den Witz, dass bei uns ja die Knastbrueder an der Spitze
sitzen. Alle wissen, dass geschmiert wird. Wenn Du ein Kraftwerk um
eine Milliarde Euro hinstellst, bleibt schon genug Spielraum fuer
Schmiergeld. Es gibt jetzt immer wieder Rundmails, dass ja kein
Schmiergeld gezahlt werden soll, was ganz lustig ist, denn die
KollegInnen in den Abteilungen sind nicht die mit dem Koffergeld,
sondern jene, die die Mails verschicken. Das ist also eine ganz klare
Ablenkung und ein Zeichen nach aussen, dass etwas getan wird. Aber das
Schmiergeld ist kein Siemens-Problem, sondern ein
Kapitalismus-Problem, jeder Konzern arbeitet so.

Frage: Was glaubst Du, muesste jetzt passieren?

Bei der letzten Kuendigungswelle vor einigen Jahren gab es zumindest
eine Demonstration von einigen tausend KollegInnen. Das hat der
Betriebsrat natuerlich zum "Dampf ablassen" gebraucht, aber es war ein
Anfang. In diese Richtung sollte was passieren.

Frage: Wie siehst Du Dich selbst politisch?

Ich selbst sehe mich als Revolutionaerin. Mein Ziel ist, dass ein
Konzern wie Siemens irgendwann nicht mehr fuer den Profit produziert.
Er sollte stattdessen unter der Kontrolle der KollegInnen als
vergesellschaftetes nternehmen fuer die Interessen der Menschen
arbeiten und Dinge produzieren, die die Leute wirklich brauchen.
(gek.)

Quelle: http://www.sozialismus.net



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