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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2008; 16:46
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Bolivien:

> Rassistischer Separatismus

In Bolivien eskaliert der Konflikt zwischen der Regierung von
Praesident Evo Morales und separatistischen Gouverneuren der reichen
Tieflandregionen. Der US-Botschafter wurde von Morales beschuldigt, in
die Verschwoerung verwickelt zu sein und am 10. September zur persona
non grata erklaert. Aber die Spaltung der Bevoelkerung aeussert sich
auch in rassistischen Uebergriffen.
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Die aktuellen Ereignisse in Bolivien sind eine Fortsetzung von
Tendenzen, die sich bereits seit Monaten mit grosser Vehemenz
abzeichneten. Die oeffentlichen und medialen Diskurse in den
bolivianischen Staedten sind schon seit laengerem von hasserfuellten,
rassistischen, polarisierenden und zur Gewalt aufrufendem Charakter.
Diese Tendenz spiegelt sich auch im Denken und Fuehlen vieler Menschen
wider, deren Aussagen einem oft kalten Schauer ueber den Ruecken
jagen. Dinge wie: "Man haette diese Indios alle umbringen sollen, dann
waere jetzt alles leichter" oder "Wir muessen uns bewaffnen und unsere
Staedte gegen die Wilden vom Land verteidigen, sonst nehmen sie uns
alles weg", werden tagtaeglich, ohne auf Widerspruch zu stossen,
geaeussert und damit zu allgemeinen Ueberzeugungen. Der bis zur
Regierung von Evo Morales allgegenwaertige und strukturelle, fast
unsichtbar scheinende und "normale" Rassismus kommt nun immer staerker
zum Ausdruck, ist explizit und aggressiv. Die angeblich so
gesetzestreue, fortschrittliche und "zivilisierte", darueber hinaus
meist relativ weisse, Mittel- und Oberschicht zeigt nun andere Seiten.
Ihre Brutalitaet, ihre Menschenverachtung, ihre primitiven Ansichten
und inkohaerenten Diskurse sind teilweise so unglaublich, dass man
sich manchmal wuenscht, dass sie sich selbst ansehen und aufwachen
wuerden. Manchmal kann man nur fassungslos den Kopf schuetteln; zum
Beispiel wenn aufgebrachte Horden aus der Oberschicht mit
Schlagstoecken bewaffnet auf am Boden liegende indigene Frauen und
alte Menschen enthusiastisch einpruegeln und dabei sagen, sie waeren
die Verteidiger der Gesetze und der Ordnung.

Andersdenkende und KritikerInnen dieser gewalttraechtigen Tendenzen
wurden verfolgt, gejagt, gedemuetigt, verpruegelt, ihre Besitztuemer
zerstoert. In den Staedten des Tieflandes, aber auch in Sucre konnte
man in den letzten Monaten kaum offen seine Meinung kundtun; die
Kommunikationsmedien sind von maechtigen und konservativen Gruppen
beherrscht und dulden keine kritischen Stimmen. Auch nicht gegen die
rassistischen Uebergriffe und die gehaeuften
Menschenrechtsverletzungen. Diese werden von den Medien geduldet,
verteidigt, verzerrt dargestellt und darueber hinaus wird dazu
angestiftet. KritikerInnen werden als RegierungsanhaengerInnen
"beschimpft" und somit als parteiisch abgestempelt und stumm
geschaltet.

Die gewalttaetigen Uebergriffe organisierter Schlaegertrupps und der
"Verteidiger der Departamentos und ihrer Autonomien" sind eine
Fortsetzung und eine Eskalation von Tendenzen, die sich bereits seit
vielen Monaten und seit einigen Jahren abzeichneten. In Santa Cruz
wurden im September 2008 staatliche Einrichtungen angegriffen und
zerstoert, darunter das Agrarinstitut (ein Angriff auf die
vorgesehenen Landumverteilungen?) und die Polizeibehoerden (ein
Angriff auf die Regierung des Hochlandes, der "indios de mierda"?).
Staatliche und alternative Kommunikationsmedien in den
Tiefland-Departamentos wurden ebenfalls zerstoert. Die reichen Eliten
versuchen so, ihr Meinungs- und Wissensmonopol zu verteidigen.
Andersdenkende und kritische Stimmen sollen verstaerkt ausgeschaltet
werden, um die eigene Ideologie unter der Bevoelkerung zu verbreiten.
Die Bueros von Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen
wurden niedergebrannt, mit Bomben beworfen und ausgeraubt. Darunter
das national und international renommierte Institut fuer juridische
und soziale Studien CEJIS, das in den letzten Jahren bereits 15 Mal
zum Opfer von Angriffen in Santa Cruz wurde. Dessen Publikationen und
Veranstaltungen zu juridischen Themenbereichen, insbesondere zu
indigenen Rechten, waren der Tiefland-Elite schon lange ein Dorn im
Auge. Darueber hinaus wird versucht, in die Gebiete vorzudringen, in
denen sich die so genannten Collas (die meist indigenen internen
MigrantInnen aus dem Hochland) angesiedelt haben, um ihnen sowie deren
Einrichtungen Schaden zuzufuegen. Die Einwanderer aus dem Hochland
stellen fuer die Eliten aus dem Tiefland das Feindbild schlechthin
dar, sie werden - aehnlich wie bei den rechts-konservativen Diskursen
in der Europaeischen Union und in Oesterreich ueber die Zuwanderer -
metaphorisch als "Ueberschwemmung" bezeichnet und die "Ueberfremdung"
wird befuerchtet.

Auf der anderen Seite haeufen sich die Stimmen jener, die dazu
aufrufen, bei den Vandalenakten nicht laenger zuzuschauen und
durchzugreifen. Gruppen von internen MigrantInnen, laendliche
Gewerkschaften und andere Zusammenschluesse diskutieren derzeit ueber
moegliche Widerstandsformen gegen die Angriffe und trafen teilweise
den Beschluss, selbst aktiv zu werden. So wurde von MigrantInnen aus
dem Hochland bereits angekuendigt, dass diese eigenhaendig illegale
Grossgrundbesitze enteignen wollen, da die Regierung diese bisher
weitgehend unangetastet liess. Im Pando haben sich laendliche
Organisationen getroffen, um das weitere Vorgehen in Bezug auf die
kuerzlichen Angriffe zu besprechen und koordinieren. Dabei kam es am
11. September zu Konfrontationen zwischen VertreterInnen der
Praefekturen bzw. der urbanen "Zivilkomitees" und den der MAS
nahestehenden sozialen Organisationen. Mindestens acht Menschen kamen
dabei ums Leben und es gab mehrer Dutzende Verletzte, vor allem auf
der Seite der laendlich-indigenen Organisationen. Ueber den genauen
Ablauf der bewaffneten Auseinandersetzungen gibt es unterschiedliche
Versionen.

Die Regierung unter Evo Morales blieb bisher gegenueber den
gewalttaetigen Angriffen und den Gesetzesverletzungen durchwegs passiv
und hielt sich tendenziell aus den Konflikten heraus. Dadurch
verabsaeumte sie es allerdings auch, die angegriffene bolivianische
Bevoelkerung zu schuetzen und manchmal scheint es, als ob die sozialen
Bewegungen, anstelle von RegierungsvertreterInnen, an die Front
geschickt wuerden, um sich mit ihren Widersachern zu konfrontieren.
Was steckt hinter dieser Haltung der Regierung? Ist es ihre Ohnmacht
und ihr Wissen, dass die Justiz (und moeglicherweise die Polizei und
das Militaer) nicht hinter ihr steht? Ist es eine Strategie, sich bzw.
die eigene Basis solange in die Opferrolle zu begeben, bis sich die
Angreifer selbst delegitimieren? Oder gibt es bereits Plaene, haerter
durchzugreifen?

Auch andere Fragen bleiben offen, wie zum Beispiel: Was ist die Rolle
der USA bei den bolivianischen Konflikten? Deren Botschafter wurde von
der bolivianischen Regierung aus dem Land verwiesen, da ihm
vorgeworfen wurde, die Opposition zu unterstuetzen und gegen die
Regierung zu arbeiten. Aehnliche Vorwuerfe wurden bereits gegenueber
der US-amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation US-AID laut. Aber
was steckt tatsaechlich hinter diesen Vorwuerfen und was ist das Ziel
der maechtigen Gruppen aus dem Tiefland Boliviens? Geht es darum, die
Regierung von Evo Morales zu schwaechen, um bessere
Ausgangsbedingungen fuer eigene Anliegen zu haben und Reformen zu
verhindern? Geht es darum, die Regierung zu stuerzen, und die
nationale politische Macht zu erlangen (danach schaut es derzeit eher
nicht aus, da die Projekte der Departamentos lediglich regionale
Interessen vertreten)? Oder geht es um eine Abspaltung der
Tiefland-Departamentos, in denen sich der Grossteil der
Erdgasressourcen Boliviens befindet?
(Almut Schilling-Vacaflor/DAZ)

http://www.dieanderezeitung.at



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