**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. August 2008; 14:14
**********************************************************

Zeitgeschichte:

> Zum Jahrestag des 21. August 1968

Da das Entstehen der akin zwar nur mittelbar, aber nicht unwesentlich
mit dem Einmarsch in Prag 1968 und der Reaktion der hiesigen KP darauf
zusammenhaengt, veroeffentlichen wir die "Stellungnahme des
Bundesausschusses der KPOe vom 14. August 2008" zu den damaligen
Ereignissen:

*

In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten Truppen von fuenf
Warschauer-Pakt-Staaten in der damaligen CSSR ein. Damit wurde der
"Prager Fruehling" mit militaerischer Gewalt beendet. Der Versuch zur
Reform des Sozialismus durch Ueberwindung des
zentralistisch-autoritaeren, verbuerokratisierten von der Sowjetunion
auch in der Tschechoslowakei uebernommenen Modells war damit
gescheitert.

Die Verurteilung des Einmarsches durch das Zentralkomitee der KPOe am
22. August 1968 und seine Charakterisierung als "Bruch aller Normen
der Beziehungen zwischen kommunistischen Parteien" war richtig, ebenso
die Forderung der KPOe nach sofortigem Abzug aller Truppen. Die
spaetere Ruecknahme dieser Erklaerung war ein schwerer politischer
Fehler.

Nachhaltiger Schaden fuer kommunistische Bewegung, Wendepunkt fuer
Realsozialismus

Die Folgen des Einmarsches waren fuer die internationale
kommunistische Bewegung dramatisch: Der sozialistischen Idee und der
kommunistischen Bewegung wurde schwerer Schaden zugefuegt und die
notwendige gesellschaftliche Erneuerung des Realsozialismus nachhaltig
blockiert.

Die Fuehrungen der Sowjetunion und der ihr untergeordneten anderen
sozialistischen Staaten fuerchteten sowohl ein Auseinanderfallen des
Warschauer Vertrages, als auch die Beispielwirkung demokratischer
Umgestaltungen in ihren eigenen Laendern. Nach dem Konflikt mit
Jugoslawien 1948 und den Krisen 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn und
der mit dem Sturz Chruschtschows 1964 beendeten halbherzigen
Entstalinisierung im Gefolge des 20. Parteitages der KPdSU von 1956
war der "Prager Fruehling" von 1968 wahrscheinlich die letzte Chance
einer tiefgreifenden Erneuerung des Sozialismus.

Die spaeter folgenden Krisen in Polen 1971 und 1981 sowie politische
und zivilgesellschaftliche Passivitaet der Werktaetigen seit den 70er
Jahren zeigten immer deutlicher, dass keine Hegemonie sozialistischer
Kraefte mehr bestand. Das endgueltige Scheitern zwei Jahrzehnte
spaeter war zwar auch ein Resultat des kalten Krieges und der
Blockkonfrontation, entscheidend dafuer aber war letztlich das System
des buerokratisch und undemokratisch angelegten Realsozialismus
selbst.

Der Versuch, ohne tiefgreifende wirtschaftliche und politische
Reformen eine auf immer umfangreichere Kreditaufnahmen im Westen
gestuetzte sozialistische "Konsumgesellschaft" zu entwickeln,
scheiterte. Entgegen propagandistischen Behauptungen von einer
"Ueberlegenheit" des Sozialismus und der "allgemeinen Krise" des
Kapitalismus beherrschte eine unuebersehbare wirtschaftliche und
soziale Stagnation in der Sowjetunion und in den meisten
osteuropaeischen Laendern den Sozialismus bis zum Zusammenbruch. Statt
deren Reformpotential zu nuetzen, wurden alle KritikerInnen in die
Illegalitaet und in zivilgesellschaftliche Nischen gedraengt und
gerieten damit als DissidentInnen ueberwiegend in eine Frontstellung
gegen das herrschende politische System.

Ausgehend von der Grundannahme, dass die "Reformer" in der
Tschechoslowakei des Jahres 1968 massiv vom gesamten Westen
unterstuetzt wuerden, standen viele KommunistInnen den Reformen
misstrauisch gegenueber und sahen darin eine Gefahr fuer den
Sozialismus. Sie glaubten daher, sich nur auf die konservativen,
dogmatischen Kraefte stuetzen zu koennen.

Die westlichen Regierungen und Medien hatten mit der vom
Aktionsprogramm der KPC im April 1968 entwickelten Perspektive einer
zeitgemaessen, demokratischen Umgestaltung des Sozialismus natuerlich
nichts im Sinne und wollten jede gesellschaftspolitische Aenderung im
Sozialismus zur Wiederherstellung kapitalistischer Verhaeltnisse
ausnutzen.

Doch wie bereits 1956 in Ungarn zeigte sich auch 1968 in der
Tschechoslowakei, dass die stalinistischen Strukturen in Partei,
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die eigentlichen Ursachen der Krise
waren.

Zivilgesellschaftliche Sozialismuskonzeption

Beim "Prager Fruehling" von 1968 zeichneten sich durch den
einzigartigen Konsens zwischen Reformfuehrung und Zivilgesellschaft
zum ersten Mal seit 1917 die Konturen einer zivilgesellschaftlichen
Sozialismuskonzeption ab. Er haette die Chance geboten, aus einer
"Logik des Buergerkrieges" auszubrechen und die damit verbundene
Belagerungsmentalitaet, die sich in staendigen Akten sozialer
Disziplinierung und immer wieder reproduzierten Ritualen der Einheit
aeusserte, zu ueberwinden und damit zu einer schoepferische
Entwicklung des Marxismus zu gelangen.

Parteinahme fuer soziale Rechte und Frieden, Schlussfolgerungen fuer
heute

Die Erfahrungen seit der Wende von 1989 in der Tschechoslowakei und in
den anderen Laendern Osteuropas beweisen, dass die Wiedererrichtung
der kapitalistischen Gesellschaft die soziale Krise nicht loest,
sondern verschaerft. Die Menschen bezahlen mit Massenarbeitslosigkeit,
Verarmung, sozialem Zerfall, wachsendem Rechtsextremismus und
Nationalismus einen hohen Preis fuer die Einfuehrung der vom Westen
propagierten kapitalistischen Marktwirtschaft.

Deshalb gilt zum Jahrestag der Niederschlagung des "Prager Fruehlings"
unsere Solidaritaet der Bevoelkerung Tschechiens und der Slowakei im
Kampf um ihre sozialen Interessen, aber auch gegen die von NATO und
USA betrieben neue Aufruestung. Als Mitgliedspartei der Europaeischen
Linken verbindet uns dieser Kampf mit den EL-Parteien KSCM und SDS in
Tschechien sowie der KSS in der Slowakei.

Wir halten die Verurteilung der bewaffneten Intervention in der CSSR
vor 25 Jahren durch jene Kraefte fuer heuchlerisch, die 1999 den Krieg
gegen Jugoslawien und 2003 im Irak befuerworteten. Die KPOe hat am 28.
Parteitag 1991 den Kurs auf Erneuerung als selbstaendige, auf eine
qualitative, sozialistische Veraenderung der Gesellschaft zielende
kommunistische Partei eingeschlagen und setzt diesen konsequent fort.
Die Analyse aller Seiten der Vergangenheit unserer Partei,
einschliesslich der Fehler und Irrtuemer ist notwendig, wenn wir
unseren Platz in der Gesellschaft bestimmen wollen. Dies schliesst
auch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des stalinistischen
Systems mit ein.

Der "Prager Fruehling" war ein markanter Punkt fuer das Scheitern der
Erneuerungsversuche sowohl im "realen Sozialismus" als auch von
westlichen kommunistischen Parteien. Auch der Ansatz des
"Austro-Eurokommunismus", den die KPOe Mitte der 60er Jahre als
Emanzipationsbestrebung gegenueber dem Allmachts- und
Fuehrungsanspruch der KPdSU entwickelt hatte, wurde nicht weiter
verfolgt, was die kommunistische Bewegung bis heute als Hypothek
belastet.

Die Ereignisse des Jahres 1968 in der Tschechoslowakei sind auch im
internationalen Zusammenhang mit den studentischen und demokratischen
Bewegungen im Westen zu sehen. Bei aller Unterschiedlichkeit finden
sich Gemeinsamkeiten, etwa gegen Autoritarismus, Bevormundung,
Buerokratie und fordistische Arbeitsdisziplinierung. Und auf beiden
Seiten ging es um Menschenrechte, im Westen mehr um die sozialen, im
Osten mehr um die demokratischen Rechte. Fuer die KPOe ergibt sich
daraus als Lehre, fuer umfassende Menschenrechte einzutreten. Es kann
kein Gesellschaftssystem geben, das den Namen Sozialismus verdient, in
dem individuelle und soziale Rechte gegenuebergestellt werden. ###

*

Anmerkung eines akin-Redaktionsmitgliedes

No, das is ein bisserl wenig. Dass es nur die Angst einiger
GenossInnen war, die glaubten, "dass die "Reformer" in der
Tschechoslowakei des Jahres 1968 massiv vom gesamten Westen
unterstuetzt wuerden," und daher meinten,"sich nur auf die
konservativen, dogmatischen Kraefte stuetzen zu koennen.", was Anfang
1969 zum totalen Richtungswechsel der KPOe und ihrer Unterordnung
unter die Sprachregelungen der Maechtigen in der UdSSR fuehrte,
erscheint angesichts der inzwischen bekannt gewordenen finanziellen
Verflechtungen der KPOe im Osthandel doch etwas naiv. Wir koennen es
zwar nicht beweisen, aber es faellt schwer zu glauben, dass da nicht
mit finanziellem Druck gearbeitet worden war.
Schad, wir haetten uns gedacht, dass vierzig Jahre danach mehr
Ehrlichkeit und Offenheit moeglich waere....
*Ilse Grusch*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin