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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Juli 2008; 13:27
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Wirtschaft:

> Die Geierfonds

Klagen und kassieren -- die Bedrohung hoch verschuldeter armer
Laender, insbesondere in Zentralafrika, durch so genannte "Geierfonds"
nimmt zu. Doch ihre Dreistigkeit koennte sich als Eigentor erweisen,
berichtet François Misser im Suedwind-Magazin: Belgien hat bereits
gesetzlich Mittel der Entwicklungszusammenarbeit vor dem Zugriff der
Fonds geschuetzt und draengt auf entsprechende Massnahmen auf
europaeischer und multilateraler Ebene.
*

Klagen privater Glaeubiger gegen hochverschuldete arme Laender
repraesentieren eine "wachsende Herausforderung" bei der Umsetzung des
Schuldenerlasses fuer diese Laender, warnen der Internationale
Waehrungsfonds (IWF) und die Weltbank in einem gemeinsamen Bericht
ueber den Stand der HIPC-Initiative ("Highly indebted poor
countries" - HIPC). Der Grossteil dieser Klagen geht von spekulativen
Investmentfonds (vulgo "Geierfonds") aus, die Schuldtitel der
HIPC-Laender zu niedrigen Preisen von deren staatlichen oder privaten
Glaeubigern erwerben und danach die Rueckzahlung des Nennwerts (des
vollen Betrags) der urspruenglichen Schuld zuzueglich Zinsen fordern.

Die Sorge ist gerechtfertigt, denn das Phaenomen hat beachtliche
Ausmasse angenommen, wie dem Ende 2007 erschienenen Bericht entnommen
werden kann. Laut der letzten offiziellen Bilanz beliefen sich die
Forderungen dieser privaten Glaeubiger auf mehr als 1,6 Mrd. US-ollar.
Betroffen ist ein Dutzend Laender, mehrheitlich in Afrika suedlich der
Sahara. Mehr als die Haelfte dieser insgesamt 44 Klagen war bereits
erfolgreich (siehe Tabelle).

Nicht alle Laender sind gleichermassen betroffen. Kamerun etwa ist
derzeit per Gerichtsurteil nur gezwungen, 50,9 Mio. der 340 Mio.
Dollar zu bezahlen, die seine privaten Glaeubiger fordern, die
uebrigen Verfahren laufen noch. Aethiopien hat sich mit seinen
russischen Glaeubigern aussergerichtlich geeinigt.

Kritischer ist die Situation allerdings fuer die beiden Kongos. Gegen
die Republik Kongo (Brazzaville) liegen bereits sieben Urteile
US-amerikanischer, britischer, belgischer und anderer Gerichte vor,
wonach das Land seinen Glaeubigern 443,3 Mio. Dollar oder 92,5 Prozent
der eingeklagten Forderungen zu bezahlen hat. Mehr als die Haelfte
dieses Betrags entfaellt auf zwei Fonds, auf den US-Fonds FG
Hemisphere (151,9 Mio.) und auf Kensington International (118,2 Mio.)
mit Sitz im Steuerparadies Cayman Islands.

Brazzaville hat es mit maechtigen Gegnern zu tun. Kensington gehoert
dem US-Investmentfonds Elliott Associates L.P. des Milliardaers Paul
Singer, der in Sachen Schuldeneintreibung auf eine -aus Sicht der
Schuldner - erschreckende Erfahrung verweisen kann: 1996 erwarb der
Fonds um elf Mio. Dollar peruanische Schuldtitel mit einem Nennwert
von 20 Mio. Drei Jahre spaeter verurteilte ein New Yorker Gericht Peru
zu einer Zahlung von 58 Mio. - eine Rendite von 47 Mio. oder 400%!
Singer verfuegt ausserdem ueber gute Beziehungen ins Weisse Haus. Fuer
die beiden Praesidentschaftswahlkampagnen von George W. Bush liess er
insgesamt 1,5 Mio. Dollar springen.

Im Februar 2008 gab das belgische Ministerium fuer
Entwicklungszusammenarbeit bekannt, dass es Kensington International
sogar gelungen war, mit Hilfe des Landgerichts Bruessel auf
oeffentliche Mittel in Hoehe von 10,3 Mio. Euro zuzugreifen. Es
handelte sich um ein Darlehen der belgischen Regierung fuer den Bau
eines thermischen Kraftwerks in Brazzaville sowie um ein weiteres
Darlehen von 590.000 Euro an den nationalen Fernsehsender. Ende 2005
hatte Kensington International bereits die Beschlagnahme einer
Erdoellieferung der Societé Nationale des Pétroles Congolais (SNPC) im
Wert von 39 Mio. Dollar erwirkt. Ein anderer US-Fonds, Walker
International Holdings, erhielt am 6. Februar 2007 das Recht, andere
Lieferungen der SNPC in Pfand zu nehmen, um Forderungen aus
Schuldtiteln in Hoehe von 65 Mio. Dollar einzutreiben.

Die Demokratische Republik Kongo (DRC) wiederum muss aufgrund von
Urteilen zugunsten von FG Hemisphere in Belgien (81,7 Mio.) bzw.
zugunsten deutscher Unternehmen/Investoren (v.a. der KHD Humboldt
Wedag AG) vor dem Royal Court of Jersey (67,1 Mio.) den gesamten
geforderten Betrag von 148,9 Mio. Dollar bezahlen. Und das Schlimmste
steht noch bevor. Drei belgische Senatoren wollen vom IWF erfahren
haben, dass der Fonds von Paul Singer, Elliott Associates, von der DRC
derzeit 400 Mio. Dollar fuer Schuldtitel fordert, die um zehn Mio.
Dollar erworben wurden. Das Problem koennte damit gravierende
Dimensionen annehmen: Dieser Betrag entspricht 13% des Budgets der DRC
fuer 2008.

Sierra Leone wurde von einem Gericht in der Hauptstadt Freetown sogar
dazu verurteilt, 28,5 Mio. Dollar an ausstehenden Forderungen fuer die
(Soeldner-)Dienste von "Executive Outcomes" zu begleichen, des (Ende
1998 aufgeloesten) privaten suedafrikanischen Sicherheitsunternehmens.
Der Betrag gebuehrt der Rechtsnachfolgerin, einer in Panama
registrierten Gesellschaft namens Executive Outcomes International
Inc.

Sambia schliesslich muss 15,4 Mio. Dollar berappen, die das Land nach
einem Urteil des Londoner High Court von Februar 2007 dem Fonds
Donegal International schuldet. Der auf den britischen Jungferninseln
eingetragene Investmentfonds hatte Rumaenien Forderungen von mehr als
15 Mio. Dollar zu einem Fuenftel ihres Nennwerts abgekauft, die auf
einen von Bukarest 1979 gewaehrten Kredit fuer den Kauf von Traktoren
zurueckgingen. Urspruenglich hatte Donegal 55 Mio. Dollar gefordert,
doch das britische Gericht hatte das Argument der Anwaelte Sambias
akzeptiert, dass der im urspruenglichen Vergleich vereinbarte Zinssatz
als unzulaessige Vertragsstrafe zu werten ist.

Doch der Erfolg der Fonds koennte sich als Eigentor erweisen -
insbesondere wegen der Entruestung nach der Beschlagnahme des
Darlehens der belgischen Regierung. Das belgische Abgeordnetenhaus
folgte am 6. Maerz 2008 dem Beispiel des Senats und stimmte fuer ein
Gesetz, das die Mittel der belgischen Entwicklungszusammenarbeit fuer
"unpfaendbar und unuebertragbar" erklaert. Eine Premiere, die auch auf
europaeischer und internationaler Ebene Schule machen koennte. Fuer
Arnaud Zacharie, Direktor des Centre National pour la Cooperation au
Développement (CNDC), einer Dachorganisation belgischer NGOs, handelt
es sich um eine "richtungsweisende Entscheidung": Wuerde sie von
anderen Akteuren uebernommen, koennte vermieden werden, dass die
Geierfonds zu den Hauptnutzniessern der HIPC-Initiative werden. Denn
wie zufaellig werden diese Fonds immer dann besonders gierig, wenn sie
erfahren, dass ein Land davor steht, von einem neuen Schuldenerlass zu
profitieren.

Jedenfalls wird das Problem zunehmend ernst genommen. Im Februar 2008
versprach US-Praesident George W. Bush, gegen diese Missbraeuche
vorzugehen. Im Mai 2007 beschlossen die FinanzministerInnen der G8,
Schuldtitel nicht mehr an Fonds zu verkaufen, die keine Absicht haben,
sich dem im Rahmen der HIPC-Initiative vorgesehenen Schuldenerlass
anzuschliessen. Bereits im September 2006 hatte das Sekretariat des
Commonwealth eine "HIPC-Rechtsklinik" gegruendet, um "Ueberfaellen"
verschuldeter Laender durch Geierfonds vorzubeugen.

Belgien beabsichtigt nun, sich beim IWF, bei der Weltbank und der
Europaeischen Union fuer die Schaffung von Rechtsinstrumenten
einzusetzen, die Umschuldungen und Schuldenerlaesse fuer alle
Glaeubiger verbindlich machen. Ausserdem sollten die HIPC-Laender
unter bestimmten Bedingungen und fuer eine bestimmte Dauer von ihren
Rueckzahlungsverpflichtungen befreit werden. Selbst Berater des IWF
schlagen Mechanismen vor, die auf einem Ausgleichsverfahren fuer
ueberschuldete Staaten beruhen. Aber bis derartige Loesungen umgesetzt
werden, kann es zu weiteren Beschlagnahmungen kommen. Die Geierfonds
haetten nun Côte d'Ivoire und Panama im Visier, warnt der belgische
Senat. Und was die laufenden Gerichtsverfahren betrifft, halten
Weltbank und IWF bisher an ihrem Grundsatz der Neutralitaet fest.
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Der franzoesische Journalist François Misser lebt in Bruessel und
beschaeftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Afrika sowie mit
den Beziehungen EU - Afrika. Er ist Mitarbeiter der Berliner taz, von
BBC-Afrique und anderen Medien und Autor mehrerer Buecher, u.a.
"Géopolitique du Congo".

Uebersetzung aus dem Franzoesischen: Robert Poth.

Quelle: Suedwind Magazin 07/2008
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?artid=5215&ausg=200807&b=0&artart=


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