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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Juni 2008; 16:41
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Fremde/Recht/EU:

> Die Festungsmauern werden betoniert

Abschiebungsrichtlinie vor Beschlussfassung


Die Beschlussfassung der geplanten "Rueckfuehrungsrichtlinie" der EU
im EU-Parlament ist fuer die Zeit um den 18.Juni vorgesehen, eine
Mehrheit dafuer soll sich abzeichnen. Dabei ist aber noch so einiges
unklar. Zum einen, ob es sich tatsaechlich um eine echte EU-Richtlinie
handelt. Schliesslich soll sie nicht die EU, sondern die
Schengenstaaten betreffen, also einige EU-Staaten nicht, dafuer aber
einige Nicht-EU-Staaten. Zum anderen spricht beispielsweise die OeVP
von einem akkordierten Entwurf zwischen Justiz- und Innenministern
einerseits und einem Parlamentsausschuss andererseits. Die
Europaeischen Gruenen und die "taz" bezeichnen es jedoch als Einigung
nur der Minister untereinander.

Klar ist aber fuer Menschenrechtsorganisationen sowie kritische
Parlamentsfraktionen, dass hier Menschenrechtsstandards nach unten
nivelliert werden sollen. So uebten Kritik an den Plaenen Abgeordnete
von der Sozialdemokratische Fraktion im Europaeischen Parlament (SPE),
der Vereinigten Linken und den Gruenen im Europaparlament. Die
italienischen Parlamentarier Claudio Fava (SPE) und Giusto Catania
(Vereinigte Linke) kritisierten die massive Eingriffe in die
Freiheitsrechte der Zuwanderer als unverhaeltnismaessig. Der Gruene
Raúl Romeva erklaerte: "Diese Direktive ist ein Freifahrtschein fuer
Menschenrechtsverletzungen".

18 Monate Schubhaft

Besonders krass erscheint die Bestimmung, die Maximaldauer fuer die
Schubhaft illegal aufhaeltiger Personen auf 6 Monate, in Sonderfaellen
bis zu 18 Monaten fesatzusetzen. Damit passt sich die EU der deutschen
Rechtslage an. Nur: Bei "aussergewoehnlich hohen Zahlen" von
Abzuschiebenden koennten auch diese Obergrenzen ausgesetzt werden.

Zwar, so bemerken auch Kritiker an, ist die prinzipielle Festsetzung
einer Obergrenze insofern zu begruessen, da es in einer Reihe von
Laendern bislang eine solche gar nicht gibt. Umgekehrt kann diese
Festsetzung in vielen Laendern das diesbezuegliche Niveau anheben: In
Frankreich und Zypern ist derzeit eine solche Haftzeit auf 32 Tage
begrenzt, in Spanien auf 40. In Oesterreich ist das Maximum fuer
Erwachsene mit 10 Monaten binnen zwei Jahren schon recht hoch, aber
immer noch geringer als in der Richtlinie vorgesehen.

Diese 18 Monate sollen zwar nur in Ausnahmefaellen zur Anwendung
kommen, ein Kommentator auf "telepolis" meint dazu allerdings: "Die
Ausnahmeregelung duerfte schnell zum Regelfall werden, denn sie soll
zur Anwendung kommen, wenn die Abschiebung nicht durchgefuehrt werden
kann und 'Fluchtgefahr' bestehe. Nach deutschem Vorbild heisst es in
der Richtlinie, dass die Ausweitung der Haftzeit auf 18 Monate
moeglich ist, wenn sich die Rueckfuehrung wegen mangelnder Kooperation
des Abschiebehaeftlings oder wegen Problemen bei der Feststellung
seiner Nationalitaet verzoegert." Sprich: Nicht nur bei Widerstand des
"Schueblings" sondern auch, wenn beispielsweise die Buerokratie des
tatsaechlichen oder auch nur vermeintlichen Herkunftslands langsam
arbeitet.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise zwischen 7 und 30 Tagen sei nach
der Richtlinie moeglich, kann aber bei Fluchtgefahr, bei Ablehnung
eines "unbegruendeten" Antrags auf Aufenthalt oder bei einem "Risiko
fuer die oeffentliche Sicherheit, oeffentliche Ordnung oder nationale
Sicherheit" auch wegfallen. Falls keine freiwillige Ausreise erfolgt,
"sollen Mitgliedstaaten alle notwendigen Massnahmen treffen, um den
Rueckkehrbescheid durchzusetzen" -- sprich: im Regelfall Schubhaft
verhaengen. Die Ausweisung unbegleiteter Minderjaehriger wird
ausdruecklich nicht ausgeschlossen. Nach einer Abschiebung gibt es ein
Rueckreiseverbot fuer die gesamte EU, das "im Prinzip nicht laenger
als fuenf Jahre" gilt, ausser bei "ernster Bedrohung der oeffentlichen
Politik, der oeffentlichen Sicherheit oder nationalen Sicherheit".

Ausweisungspflicht

Vielleicht noch ein groesserer Hammer ist die Pflicht der Staaten zur
Ausweisung: "Klare, transparente und faire Regeln muessen aufgestellt
werden, um eine effektive Rueckfuehrungspolitik als notwendiges
Element einer gut organisierten Migrationspolitik zu ermoeglichen",
heisst es in der Richtlinie. Sie verpflichtet die Regierungen zur
Ausweisung aller "Illegalen": "Mitgliedstaaten sollen jedem Buerger
eines Drittlandes, der sich illegal auf ihrem Territorium aufhaelt,
einen Rueckkehrbescheid ausstellen." Der taz-Kommentator meint dazu:
Damit entfalle "fuer europaeische Regierungen das laestige Nachdenken
darueber, ob sie ihre Illegalen nicht einfach in Ruhe lassen
koennten."

Allerdings gibt es da angeblich doch noch einen gewissen Spielraum.
Darueber freut sich der OeVP-Sicherheitssprecher Hubert Pirker in
einer Aussendung: "Es liegt jedoch auch weiterhin allein in den
Haenden der Mitgliedstaaten, ob ein Aufenthaltstitel erteilt wird oder
ob im Falle der Illegalitaet konsequent und nach einheitlichen
europaeischen Mindeststandards eine Abschiebung durchzufuehren ist".
Das kann zwar durchaus so manchem Menschen den Aufenthalt in der EU
(und damit vielleicht sogar das Leben) retten, wenn allerdings dies
von seiten der OeVP als positiv gesehen wird, kann das auch heissen:
Wer vor Platters Augen keine Gnade erhaelt, kann auch in kein anderes
EU-Land mehr, obwohl es dort vielleicht eine Chance zum Verbleiben
gegeben haette.

Vorreiter Italien

Dass der Zug weiter in Richtung Verschaerfung geht, hat jetzt Italien
vorgefuehrt. Die Regierung Berlusconi beschloss letzen Monat gleich in
ihrer ersten Kabinettssitzung eine Reihe radikaler Verschaerfungen des
Fremdenrechts. Eine neue Bestimmung stuft die illegale Einreise nach
Italien von einer Ordnungswidrigkeit zu einem Verbrechen hoch und
liefert so einen Haftgrund. In Italien soll dieses Verbrechen nun mit
mindestens sechs Monaten und maximal 4 Jahren Haft geahndet werden.
Die reine Abschiebehaft soll dort kuenftig ebenfalls bis zu 18 Monate
betragen.

Auch gegen Scheinehen mit italienischen Staatsangehoerigen soll
schaerfer vorgegangen werden. Wohnungen sollen konfisziert werden
koennen, wenn sie an Papierlose vermietet wurden. Den Besitzern drohen
Haftstrafen bis zu drei Jahren und Geldstrafen bis zu 50 000 Euro.

Selbst EU-Buerger sollen nicht verschont bleiben. Wer nach drei
Monaten nicht ueber ein eigenes Einkommen verfuegt oder eine Straftat
begeht, werde abgeschoben -- eine Folge der allseits beliebten Hatz
auf Rumaenen. Auch wer als "eine Gefahr fuer die oeffentliche
Sicherheit" eingestuft wird, droht der Rauswurf.
(taz, telepolis, EU-Gruene u.a./akin)

Quellen u.a.:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27989/1.html
http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/die-festung-steht/
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> WWWebtipp

Politik geht fensterln -- Auf http://www.fensterpolitik.at kann man
Klebebuchstaben (Text: "Bleiberecht fuer Alle") fuer´s Fenster
erstehen, um politische Flagge zu zeigen -- Kostenpunkt fuer das
Engagement zwischen 15 und 25 Euro. ###



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