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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. April 2008; 18:42
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Soziales:

> Der Weg ist noch lang

Trotz Grundsatzeinigung zwischen Bundesregierung und den
Landesregierungen koennte es laenger dauern, bis die Mindestsicherung
kommt. Ob sie etwas bringt, ist eine weitere gute Frage.


"Es gibt eine Einigung zur Mindestsicherung", hat Sozialminister Erwin
Buchinger (SPOe) vergangene Woche in einer Presseaussendung erklaert.
Nach zaehen Verhandlungen mit Vertretern der Landesregierungen
erzielte er einen Kompromiss. Strittig war vor allem die Frage, wer
fuer die Abwicklung der so genannten "bedarfsorientierten
Mindestsicherung" zustaendig sein soll. Das sollen zwei Stellen sein.
Die Bezirksstellen des Arbeitsmarktservice sollen die Antraege zur
Mindestsicherung entgegennehmen. Behandelt werden die Antraege von den
Sozialbehoerden der Bundeslaender - die dem Buerger gegenueber in Form
der Bezirkshauptmannschaften entgegentreten sollen. Die wickeln die
weiteren Modalitaeten ab, sieht der grosskoalitionaere Kompromiss vor.
Den Grossteil der Kosten von etwa 300 Millionen Euro bestreitet die
Bundesregierung, ein kleiner Teil kommt aus den Laender-Budgets. Diese
etwas komplexe Einigung wird von beiden Verhandlungspartnern als
Durchsetzen der jeweils eigenen Linie gefeiert und gleichzeitig mit
dem Bedauern quittiert, dass man sich nicht noch mehr durchgesetzt
hat. Buchinger hatte das AMS zur alleinigen Anlaufstelle machen
wollen, die OeVP-dominierten Bundeslaender die
Bezirkshauptmannschaften. Anspruch hat nur, wer "arbeitswillig" ist.
Das macht die Mindestsicherung zu wenig mehr als zu einer
Vereinheitlichung der bisherigen Sozialhilfesysteme. Laut Definition
des Sozialministeriums haben etwa 400.000 Oesterreicherinnen und
Oesterreicher Anspruch auf die Mindestsicherung.

Die Opposition spricht von einem "Mini-Schritt zur sozialen
Absicherung" oder sie befuerchtet, dass "das Sozialsystem an die Wand
gefahren wird." Die Gruenen befuerworten die Mindestsicherung
grundsaetzlich. Das jetzt ausverhandelte Modell ist ihnen aber zu
wenig. Und sie befuerchten, dass weite Gruppen durch die komplexe
Zustaendigkeitsverteilung von dieser Form der sozialen Absicherung
ausgegrenzt werden. FPOe und BZOe sind sich beinahe einig in ihrer
Meinung zu dem Kompromiss. Auf der einen Seite ist es ihnen zu wenig,
auf der anderen Seite befuerchten sie, dass die Mindestsicherung Leute
dazu bringen koennte, von der Mindestsicherung zu leben, statt zu
arbeiten. Wenn jemand mehr als 700 Euro netto bekommt, warum sollte er
dann um 800 Euro arbeiten, fragen die Rechtsaussenparteien. In ihren
Denksystemen ist diese Form der Absicherung kritikwuerdig. Als
"Kardinalfehler" an diesem Modell der Grundsicherung erscheint ihnen
aber, dass auch Migranten Zugang zur Mindestsicherung haben sollen.
Die FPOe waehnt eine Benachteiligung oesterreichischer Staatsbuerger
und spricht davon, dass das zuviel fuer das heimische Sozialsystem
sein koennte. Der Obmann des Pensionistenverbandes der SPOe, Karl
Blecha, fordert nach der Einfuehrung der Mindestsicherung einen
Mindestlohn von 1.000 Euro.

Unabhaengig von der politischen Einschaetzung bleiben zahlreiche
Fragen offen. Unklar ist etwa die Hoehe der Mindestsicherung. Von 747
Euro ist da die Rede und von knapp 770. Das duerfte auch davon
abhaengen, wann die Mindestsicherung kommen soll. "Wir rechnen mit
einer Einfuehrung am 1. Juli 2009. Frueher geht es leider nicht", sagt
Buchinger. Wobei diese Einschaetzung eine sehr optimistische sein
duerfte. Am schnellsten duerfte es im Nationalrat gehen. Buchinger
kuendigt an, alle legistischen Hebel in Bewegung zu setzen. Das
spricht dafuer, dass nur die gesetzlichen Mindestfristen eingehalten
werden sollen, bis das Gesetz beschlossen werden soll. Denkbar waere
etwa ein Entschliessungsantrag durch Abgeordnete der
Regierungsparteien und die Verabschiedung nach drei Lesungen im
Nationalrat. Das waere innerhalb weniger Wochen schaffbar, deutlich
schneller als wenn man das Gesetz zur Begutachtung an Juristen,
Sozialpartner und Hilfsorganisationen schicken wuerde. Eine wesentlich
groessere Huerde koennte die Umsetzung in den Bundeslaendern sein. Um
die Mindestsicherung einzufuehren, muss jeder Landtag das eigene
Sozialhilfegesetz aendern. Das dauert. In Tirol etwa wird vor den
Landtagswahlen am 8. Juni sicher nichts in dieser Richtung passieren.
Dann kommt die Konstituierung, dann die Sommerpause. Und dass es auch
nicht so glatt fuer Buchinger gehen koennte, wie vorige Woche
angekuendigt, haben die Verhandlungen zum Ausbau der Kinderbetreuung
gezeigt. Trotz grundsaetzlicher Einigung sind die Vertreter aller
schwarz bzw. orange regierten Bundeslaender in letzter Sekunde
abgesprungen. Was die oesterreichweite Einfuehrung des von SPOe und
OeVP auf Bundesebene ausverhandelten Modells um zumindest ein Jahr
verzoegert. Genug Zeit, um die Vorlage zur Mindestsicherung zu
beurteilen. Bis der Umsetzungsreigen in den Bundeslaendern beginnt,
werden ja wohl alle Details bekannt sein.
*Viktor Englisch*



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