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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Maerz 2008; 18:34
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Recht:

> §9/11 StGB

Die neuen "Antiterrorparagraphen" wurden erstmals angewandt

Der Paragraph 278b des Strafgesetzbuches war der wichtigste
Tatbestand, nach dem die beiden Beschuldigten im Wiener
"Islamistenprozess" angeklagt und nun verurteilt worden sind:
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Es war das erste
Mal, dass dieser Paragraph Anwendung fand, ein Urteil von 4 Jahren
Haft waere ohne ihn (Strafdrohung bis zu 15 Jahren) nicht denkbar
gewesen.

Beim §278b StGB kann als sogenanntes Gefaehrdungsdelikt interpretiert
werden -- durchaus verwandt mit den §§281 und 282 StGB, wonach in den
90ern der "Aufruf zum Ungehorsam gegen Militaergesetze" massenhaft
geahndet worden war. Gefaehrdungsdelikte stellen nicht auf eine
eigentliche Schaedigung ab, sondern auf Handlungen, mit denen jemand
schaedigen wollte oder aber die geeignet gewesen waeren, zu
schaedigen. Damit bewegt sich die Justiz generell auf rechtsstaatlich
sehr duennem Eis, da eine objektive Einschaetzung oft kaum machbar
erscheint und damit der Willkuer Tuer und Tor geoeffnet werden kann.
278b ist also ein Gummiparagraph, der noch dazu in die Sphaere des
Politischen eingreift und damit an Bedenklichkeit nicht gerade
verliert. Der Vergleich mit Deutschland macht uns sicher, denn der
dortige, schon laenger bestehende, §129a StGB ist die Entsprechung zur
hiesigen Bestimmung. Und dieser Paragraph ist landauf, landab bekannt
als Ausrede fuer recht fragwuerdige Rechtsakte der deutschen Justiz.

Bis vor 6 Jahren fehlte die Oesterreich-Version des §129a. Und ohne
diesen Paragraphen waeren die Aktionen der beiden Beschuldigten als
Spinnerei, Lausbubenstreiche oder Unfug zu qualifizieren gewesen und
mit viel Phantasie vielleicht nach anderen, weitaus geringer
strafbewehrten Paragraphen abgehandelt worden. Doch nach 9/11 war
alles anders. Die §§278b, c und d ("Terroristische Vereinigung",
"Terroristische Straftaten" und "Terrorismusfinanzierung") sind die
unmittelbare Folge der Anschlaege auf die Twin Towers in New York.
2002 einigte sich die EU auf einen "Rahmenbeschluss zur Bekaempfung
des Terrorismus", die eine Verbschiedung einschlaegiger Paragraphen in
allen Mitgliedsstaaten anordnete, und gab dabei den nationalen
Parlamenten nur eine extrem kurze Umsetzungsfrist, sodass eine
politische Debatte darueber kaum stattfand. In Oesterreich wurde diese
Umsetzung zusaetzlich verschleiert, da diese Anti-Terror-Normen in ein
Strafrechtsaenderungspaket gemeinsam mit dem neuen §207b StGB gepackt
worden waren. Damit ersetzte die damalige schwarzblaue
Parlamentsmehrheit den verfassungswidrigen §209, der eine
Ungleichbehandlung von Hetero- und Homosexuellen beim Schutzalter
vorgesehen hatte. Doch §207b ist zwar nichtdiskriminierend formuliert,
waere aber von Anfang an nur dafuer gedacht gewesen, Homosexuelle
weiterhin diskriminieren zu koennen, wie die Opposition heftig
kritisierte. Die Debatte ueber diesen Teil der Strafrechtsnovelle war
so heftig, dass sogar von Seiten der OeVP eine Stimme laut wurde, die
sich ueber den Verlauf der Debatte wunderte. Abg. Tancsits meinte in
der damaligen Parlamentsdebatte ueber die neuen
Anti-Terrorbestimmungen zur Opposition, diese haette dazu "sicherlich
auch vieles an Kritik vorzubringen gehabt ..., wenn Ihnen nicht der §
207b dazwischengekommen waere".

In diesem jetzigen ersten Anwendungsfall der Anti-Terror-Bestimmungen
war die Beweislage ja eher duerftig -- trotz Anwendung rechtlich
zweifelhafter Methoden zur polizeilichen Ermittlung. (Bei der
Verwanzung von Computern ist immer noch eine Arbeitsgruppe von Justiz-
und Innenministerium auf der Suche nach einer brauchbaren Regelung;
die Rechtsgrundlage fuer den jetzigen Einsatz wurde durch eine
wackelige Uminterpretation der Regelungen fuer den grossen
Lauschangriff ermoeglicht.) Aber selbst wenn die Vorwuerfe gegen die
beiden Beschuldigten unleugbar beweisbar waeren -- angesichts des
rechtsstaatlichen Gehalts dieses Paragraphen, aber auch wegen seiner
uebereilten Genese, waeren diese Urteile als aeusserst bedenklich
anzusehen.
*Bernhard Redl*



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