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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Maerz 2008; 18:37
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Kurdistan:

"Die Tuerkei draengt die PKK in den Irak"

Interview mit Emine Ayna, Abgeordnete des Bezirks Mardin fuer die
pro-kurdische Partei DTP im tuerkischen Parlament und im
Vorsitzendenteam der Partei.
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FRAGE:Wie steht es denn mit dem Verbotsverfahren um die DTP?

Emine Ayna:Wenn man die Vorgeschichte unserer Partei mit den Verboten
gegen HEP, DEP, HADEP und so weiter kennt, dann kennt man damit auch
schon das Schema nach dem es geht. Fuer uns ist das nichts Neues und
wenn sie die DTP verbieten, gruenden wir eben wieder eine Partei.
Ausserdem hat der Europaeische Menschenrechtsgerichtshof vor kurzem
das Verbot der HEP aufgehoben, wir koennten also auch diese wieder
gruenden. Trotzdem wollen wir natuerlich so lange wie moeglich als DTP
legal arbeiten. Wir bemuehen uns, Verbotsverfahren in eine Plattform
fuer die Anliegen des Kurdischen Volkes zu verwandeln. Wir wuerden im
Falle eines Verbotes zwar mit einer anderen Partei weiterarbeiten, das
grundsaetzliche Problem ist damit aber nicht geloest. Die tuerkische
Regierung und die Militaers wollen keine kurdische Vertretung im
Parlament. Dass sie damit unsere Leute erst in den Untergrund
draengen, scheint ihnen entweder nicht bewusst oder vielleicht sogar
Ziel der Uebung zu sein. Damit ist aber auch klar, dass die tuerkische
Regierung keine friedliche Loesung der Kurdenfrage will.

F: Betrifft das derzeit laufende Verbotsverfahren auch eure
Verbuendeten von der Sosyalist Demokrasi Partisi (SDP), die ja mit
Akın Birdal einen Mandatar stellt, der sich Eurer Fraktion
angeschossen hat?

E.A.: Nein, denn mit dem Beitritt zu unserer Fraktion musste er auch
Mitglied der DPT werden. Die SDP ist damit nicht vom Verbotsverfahren
betroffen, allerdings wuerde auch Akın Birdal bei einer Aufloesung
sein Mandat verlieren.

F.: Welche Rolle spielt Europa bei diesem Verbotsverfahren bzw. welche
Rolle sollte es Eurer Meinung nach spielen?

E.A.: Uns geht es im Zusammenhang mit Europa nicht um das
Verbotsverfahren, sondern um die Politik uns Kurden gegenueber. Leider
glaubt man in Europa immer noch, dass die derzeit regierende AKP zu
ernsthaften Reformen faehig ist und erwartet von uns, dass wir sie
dabei unterstuetzen. Das hat sich aber als voellige Illusion erweisen,
denn die AKP brauchte zwar kurdische Waehler gegen die Militaers,
erweist sich jetzt aber als genauso antikurdisch wie die Regierungen
vor ihr. Europa wiederum hat in der Tuerkei heute weit mehr
oekonomische und politische Interessen als noch vor einigen Jahren.
Hier koennten die demokratischen Traditionen Europas einen positiven
Einfluss auf die Tuerkei ausueben, was bis jetzt allerdings noch auf
sich warten laesst. Wenn wir etwa mit ansehen muessen, dass
oesterreichische Firmen und mit oesterreichischem Geld ein
Monsterprojekt wie der Ilisu-Damm am Tigris errichtet wird, das zu
zehntausenden Vertriebenen und der Zerstoerung einer uralten
Kulturlandschaft fuehrt, dann sehen wir wenig von dieser Verantwortung
Europas. Auf unseren Reisen in die EU haben unsere Abgeordneten aber
auch festgestellt, dass viele Regierungen in Europa nur schlecht ueber
die Situation in der Tuerkei informiert sind. Ich bin mir sicher, dass
die Haltung der europaeischen Oeffentlichkeit eine andere waere, wenn
sie mehr objektivere Informationen haette.

F.: Aufgrund des guten Wahlergebnisses der AKP in den kurdischen
Gebieten gibt es die letzte Zeit Geruechte, dass dort eine eigene
kurdische-islamische Alternative zur PKK und DTP aufgebaut werden
soll. Koennen Sie solchen Geruechten etwas abgewinnen?

E.A.: Eine eigene kurdisch-islamische Partei waere fuer die AKP
Selbstmord. Allerdings gibt es durch die guten Wahlergebnisse in den
kurdischen Gebieten jetzt einen starken kurdischen Fluegel innerhalb
der AKP, der sich in den kurdischen Gebieten sozusagen als einzige
Alternative zu uns behaupten konnte. Allerdings sind viele kurdische
AKP-WaehlerInnen durch die nationalistische Politik der AKP nach den
Wahlen schon wieder sehr enttaeuscht und wir sind sicher, dass die AKP
bei den Kommunalwahlen, die als naechstes anstehen, nicht mehr so gut
abschneiden wird.

F.: Viele IrakerInnen sind derzeit auf die tuerkisch-kurdische PKK
schlecht zu sprechen, da sie ihr eine leichtfertige Gefaehrdung der
irakischen Souveraenitaet vorwerfen. Immerhin ist es deren Anwesenheit
im Nordirak, die der Tuerkei einen Vorwand fuer die Angriffe auf
Irakisch-Kurdistan liefert. Wie positioniert sich die DTP in dieser
Frage?

E.A.: Wir muessen versuchen, das moeglichst nuechtern zu analysieren.
Zwischen der Verhaftung Oecalans 1999 und dem Irak-Krieg 2003 haben
sich hier die Auseinandersetzungen zwischen PKK und Militaer beruhigt.
Erst seit 2003 hat sich die Situation wieder zugespitzt. Wir von der
DTP haben 2006 sogar zu einem Waffenstillstand aufgerufen, da wir eine
politische Loesung der Kurdenfrage anstreben. Die PKK hat auf unseren
Aufruf auf reagiert, aber schon am naechsten Tag ging in Diyarbakır
eine Bombe hoch, die von tuerkischen Nationalisten - den so genannten
"Rachebrigaden" - gegen die Kurden gelegt worden war. Die PKK hielt
den Waffenstillstand trotzdem. Die Armee antwortete mit staerkeren
militaerischen Operationen. Sie begann einen schmutzigen Krieg, bei
dem sogar Giftgas eingesetzt wurde. Und nun droht die Regierung nicht
nur seit Monaten mit einem gross angelegten Einmarsch in den Irak,
sondern es finden staendig kleinere Militaeroperationen ueber die
Grenze statt. Zuletzt wurden 21 Leichen von Guerillakaempfern in
Sirnak nicht einmal ihren Familien uebergeben.

F.: Mag sein, dass die Tuerkei nicht an einer friedlichen Loesung
interessiert ist, aber wie kommt der Irak dazu nun der Leidtragende
dieses innertuerkischen Konflikts zu werden?

E.A.: Wuerde die tuerkische Regierung anders mit dem Konflikt umgehen,
waeren die PKK-Guerillas nicht auf irakischem Territorium. Wir wollen
ja eine Loesung innerhalb der bestehenden Grenzen und keinen
gesamtkurdischen Staat. Dazu bedarf es aber eines Dialogs, der die
entscheidenden Fragen anspricht. Wir wollen eine demokratische Loesung
innerhalb der Tuerkei mit einer Dezentralisierung der gesamten
Tuerkei. Wir wollen eine regionale, nicht eine ethnische Autonomie mit
zwei Sprachen, die in der Tuerkei als Amtssprachen Geltung haben
sollen: Tuerkische und Kurdisch.

F.: Gut, ich verstehe diese Forderungen, aber deren Erfuellung kann
weder der Irak, noch die Kurdische Regionalregierung im Irak
erzwingen. Sie sind nun aber die Leidtragende, wenn der Krieg in den
Irak getragen wird. Was sagen sie auf den Vorwurf, dass damit das
irakisch-kurdische Autonomiegebiet gefaehrdet wird?

E.A.: Sehen Sie, es gibt nur die Loesung eines politischen Prozesses.
Die Tuerkei und ihre US-Verbuendeten draengen die PKK immer weiter in
den Irak hinein. Ohne Friedensprozess, wird dies so weiter gehen.

F.: Darauf hat der Irak aber keinen Einfluss.

E.A.: Dann muss der internationale Druck auf die Tuerkei eben so stark
werden, dass sie zu einem Friedensprozess gezwungen wird.

F.: Ich sehe schon, dass ich Ihnen hier keine Distanzierung entlocken
kann. Vielleicht sieht es bei einem anderen Thema besser aus. In den
letzten Jahren haben sich in der Tuerkei Anschlaege auf zivile Ziele
gehaeuft, wobei diese offiziell nicht von der PKK, sondern von einer
Gruppe namens Freiheitsfalken Kurdistans TAK durchgefuehrt wurden.
Fuer meinen Geschmack faellt dabei jedoch die Distanzierung der PKK
von der TAK zu duerftig aus. Welche Position nehmen Sie und Ihre
Partei dazu ein?

E.A.: Wir sind ganz klar gegen diese Anschlaege. Anschlaege gegen
Zivilistinnen und Zivilisten koennen nicht gerechtfertigt werden und
damit distanzieren wir uns auch klar von der TAK. Allerdings ist auch
die TAK ein Teil der Realitaet der Tuerkei. Wir wissen nicht woher die
TAK kommt und wie sie genau entstanden ist. Was wir aber sicher wissen
ist, dass die Freiheitsfalken nicht vom Mond kommen und dass sie auch
ein Resultat dieser Situation sind, einer Situation, in der
offensichtlich eine kleine Minderheit an frustrierten jungen Maennern
zu terroristischen Methoden greift. Das heisst, dass die Haltung der
Tuerkei gegen eine politische Loesung der Kurdenfrage, Gruppen wie die
TAK auf Dauer unterstuetzt und befoerdert. Umgekehrt wuerde der TAK
rasch jede Unterstuetzung verloren gehen, wenn sich politisch etwas
bewegen wuerde.

*Das Gespraech fuehrte Thomas Schmidinger.*


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