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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2008; 19:13
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Irak/Kurdistan:

> "Damals waren wir verbal linker als jetzt"

MALA BACHTIAR ist Mitglied des Politbueros der Patriotischen Union
Kurdistans (PUK) und zustaendig fuer deren internationalen Kontakte. Er gilt
als einer der hoechsten PUK-Funktionaere und potentieller Nachfolger Jalal
Talabanis als Parteichef. Mit ihm sprach Thomas Schmidinger ueber Private
Militaerfirmen, deutsche Abschiebungen in den Irak, kurdische Islamisten und
die Zukunft der sich als sozialdemokratisch verstehenden PUK.
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FRAGE: Zunaechst zu der Frage, die die meisten Irakerinnen und Iraker wohl
am direktesten betrifft: Wie entwickelt sich die Sicherheitslage im Land?

MALA BACHTIAR: Seit einigen Monaten scheinen unsere Bemuehungen um eine
Verbesserung der Sicherheitslage zu greifen. Mit der neuen
Sicherheitsstrategie von General Petraeus sehen wir erste Erfolge. Es wird
sicher noch einige Zeit dauern, bis sich die Lage stabilisiert, aber zum
ersten Mal befinden sich die Terroristen in der Defensive. Tariq al-Hashemi,
der Generalsekretaer der Irakischen Islamischen Partei, hat vor kurzem
erklaert, dass die Islamisten derzeit aus dem Irak fluechten. Das ist ein
gutes Zeichen und zeigt, dass nun wir in der Offensive sind. Den Krieg
gewonnen haben wir aber erst, wenn wir auch die Unterstuetzung fuer diese
Gruppen ausgemerzt haben und das dauert vielleicht noch drei Jahre.

F: Sollen die US-Truppen noch so lange im Land bleiben?

M.B.: Sofort koennen sie das Land nicht verlassen, aber mit einem
schrittweisen Rueckzug kann bald begonnen werden.

F: Die letzte Zeit kamen Private Sicherheitsfirmen (PMCs), wie sie im Irak
ueberall taetig sind, zunehmend unter Kritik. Insbesondere der US-Firma
Blackwater werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, fuer die sie nicht zur
Rechenschaft gezogen werden. Sollen auch diese PMCs vorerst bleiben?

M.B.: Die Uebertragung solcher Verantwortung auf private Soeldner war ein
Fehler und wir vertreten die Position, dass deren Zeit abgelaufen ist. Sie
sollten so rasch wie moeglich das Land verlassen.

F: Wird die irakische Regierung Schritte in diese Richtung unternehmen?

M.B.: Wir setzen uns dafuer ein, allerdings koennen wir das nicht allein
entscheiden. Wir wollen sie jedenfalls nicht mehr im Irak haben.

F: Waere es nicht ein wichtiger Schritt die Immunitaet fuer diese Soeldner
sofort aufzuheben?

M.B.: Auch das koennen wir nicht allein entscheiden. Diese Immunitaet ist
eine Folge einer Sicherheitsratsentscheidung, deren Aenderung nicht allein
in der Kompetenz der irakischen Regierung liegt. Wir wollen diese Immunitaet
aber definitiv beenden, damit sich auch Angehoerige von Blackwater und
anderen Sicherheitsfirmen fuer ihre Taten verantworten muessen.

F: Aus Deutschland werden in letzter Zeit immer wieder einzelne abgewiesene
Asylwerber in den Irak abgeschoben. Wie stehen die irakische Regierung und
die kurdische Regionalregierung dazu?

M.B.: Wir haben immer klar gesagt, dass wir solche Abschiebungen ablehnen.
Der Irak ist derzeit nicht in einer Situation, dass irgendjemand gegen
seinen Willen hierher gebracht werden soll.

F: Warum werden die Deportierten dann entgegengenommen?

M.B.: Das duerften sie eigentlich nicht.

F: Sie werden in Arbil nicht an der Einreise gehindert. Wuerden sie das,
muessten die Fluglinien, die die Abschiebefluege vornehmen, sie wieder nach
Deutschland mitnehmen.

M.B.: Wenn das so ist, werde ich morgen gleich in Arbil anrufen und der
Sache nachgehen. An sich duerfte das nicht geschehen und ich werde mich
dafuer einsetzen, dass das nicht mehr geschieht.

F: Ich habe vor kurzem wieder einmal ein Interview gelesen, das die 1994 in
Kurdistan ermordete deutsche Journalistin Lissi Schmidt vor den Wahlen 1992
mit Ihnen gefuehrt hat. Dabei sagten Sie kurz nach der Wiedervereinigung
ihrer Partei "Fahne der Revolution" mit der PUK, dass im Falle von Streiks
der kurdischen Arbeiterklasse ihr Platz an der Seite der Streikenden waere.
Nun kam es in den vergangenen eineinhalb Jahren immer wieder zu Protesten
der Bevoelkerung in Halabja, Kallar oder Chamchamal gegen die kurdische
Regionalverwaltung, weil diese nichts fuer die Infrastruktur getan hat und
Gelder nur in die Taschen korrupter Funktionaere flossen. Nun fehlt jedoch
genau die linke Alternative, die diese Proteste in eine fortschrittliche
Richtung organisieren koennte. Stattdessen werden die Proteste unterdrueckt
und die Konflikte geleugnet. Davon profitieren dann nur die Islamisten, die
als einzige die Unzufriedenheit organisatorisch nuetzen koennen.

M.B.: Wir haben damals natuerlich viel geredet und waren verbal wesentlich
linker als jetzt. Jetzt haben wir mehr Macht und ich hoffe, wir setzen
Konkretes um und reden weniger. Aber Sie haben Recht, dass das ein sehr
grosses Problem ist. Tatsaechlich gibt es eine grosse Unzufriedenheit, die
teilweise sehr berechtigt ist. Widersprechen wuerde ich nur, wenn Sie sagen,
dass wir auf diese Probleme nicht reagieren wuerden. Wir haben im Laufe der
letzten Monate eine ganze Reihe korrupter Funktionaere entlassen und gerade
in diesen Konfliktregionen konkret in die Infrastruktur investiert. Das
braucht Zeit aber wir sind auf einem richtigen Weg. Ein wirkliches Problem
sind die Islamisten, die tatsaechlich von der Unzufriedenheit profitieren.

F: Auf wie viel Unterstuetzung koennen diese Ihrer Meinung nach in Kurdistan
zaehlen?

M.B.: Wenn wir alle Gruppen zusammenzaehlen, dann kommen wir sicher auf
zwoelf bis dreizehn Prozent. Damit sind wir in Kurdistan noch
vergleichsweise gut dran. In den Nachbarregionen ist die Unterstuetzung fuer
islamistische Gruppen noch wesentlich hoeher. Nach dem Zusammenbruch des
Realsozialismus konnten die Islamisten hier in der ganzen Region sich als
einzige verbliebene Alternative etablieren und damit eine Massenbasis
aufbauen, die auch in Kurdistan zum Problem wird.

F: Noch eine Frage zur Zukunft der PUK. Wir hoffen alle, dass Jalal Talabani
noch lange lebt. Er ist aber mittlerweile alt und leidet unter einer
angeschlagenen Gesundheit. Innerhalb der PUK gibt es heftige
Richtungskaempfe und vereinzelte Parteiaustritte. Wird es die PUK nach
Talabani noch geben und wenn ja: Sitze ich Talabanis Nachfolger als
Parteichef gegenueber?

M.B.: Da fragen Sie den Falschen! Wir hoffen alle, dass Talabani uns noch
bis zu unserem naechsten Parteitag erhalten bleibt und wir in Ruhe seine
Nachfolge regeln koennen. Es ist aber richtig, dass die PUK derzeit unter
internen Streitigkeiten leidet und die Frage der Zukunft der PUK wird in der
ganzen Region mit Sorge beobachtet. Schliesslich ist unsere Partei als
saekulare sozialdemokratische Partei fuer die Stabilitaet der ganzen Region
wichtig. Da Sie den Nahen Osten sehr gut kennen, wissen Sie aber sicher
auch, dass ein Ereignis wie der Tod einer so wichtigen
Fuehrungspersoenlichkeit wie Jalal Talabani, die unsere Bewegung ueber 40
Jahre hindurch gepraegt hat, die verbliebene Familie zusammenruecken lassen
wird. Wir werden dann in unserer Trauer vereint sein und gemeinsam das Erbe
Talabanis bewahren und die Partei gestaerkt einer juengeren Generation
uebergeben. ###



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