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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. November 2007; 22:12
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Ost-Timor/Australien:

> "Wir werden euch nie vergessen"

Ost-Timor und die Balibo Five -- das neueste, aber vielleicht doch noch
nicht das letzte Kapitel einer sehr langen Geschichte.
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Eigentlich beginnt diese Geschichte vor sechsundsechzig Jahren im Dezember
1941. Japan ueberfaellt Pearl Harbor und erklaert den Krieg an Amerika,
Australien, England und an Niederlaendisch-Ostindien, das heutige
Indonesien. Aber nicht an Portugal.

Vorlaeufig bleibt Osttimor, damals eine portugiesische Kolonie, von den
Kaempfen verschont. Aber nicht fuer lange. Australische und hollaendische
Truppen landen in der Hauptstadt Dili. Die Japaner folgen. Waehrend im
(schon lange von Holland kolonisierten) Westtimor die Niederlaender und
herbeigerufenen Australier kapitulieren, halten sich einige australische
Einheiten durch das ganze Jahr 1942 in Osttimor. Dies ist strategisch
wichtig, weil die Japaner von Timor aus Nord Australien angreifen koennten.

In Osttimor werden die Australier von den Timoresen sehr tapfer
unterstuetzt, auch von den "Deportados", d.h. Portugiesen, die nach
Ost-Timor deportiert wurden, weil sie sich am spanischen Buergerkrieg auf
der Seite der Republik beteiligt oder ihren eigenen Diktator Salazar
bekaempft hatten.

Anfang 1943 schickt Japan neue Truppen nach Ost-Timor. Die Australier werden
evakuiert. Ihre timoresischen Helfer bleiben zurueck. Die Japaner sind nicht
lieb zu ihnen. An die 50.000 Timoresen werden umgebracht.

Die australische Luftwaffe RAAF wirft Flugblaetter ueber Ost Timor ab: "Wir
werden euch nie vergessen". Die evakuierten australischen Soldaten fuehlten
sich schuldig. Die australische Regierung aber hat die Timoresen sehr
schnell vergessen.

1945, nach der Kapitulation Japans wird Ost Timor an die portugiesische
Kolonialmacht zurueckgegeben. Die Timoresen fragt man nicht.

1961-1974: Portugal kaempft, um seine Kolonien, besonders in Afrika, zu
behalten. Viele Soldaten sind noetig. Viele junge Timoresen werden in die
portugiesische Armee eingezogen. Da lernen sie nicht nur schiessen, sondern
machen auch Bekanntschaft mit dem wachsenden innermilitaerischen Widerstand.

April 1974: Innerhalb der portugiesischen Armee beginnt eine
antifaschistische Revolution. Diesmal erfolgreich.

1975: Portugals Kolonien werden unabhaengig. Auch Osttimor. Die Fretilin
(die revolutionaere Front zur Befreiung Ost-Timors), eine linke Bewegung,
kommt nach einem kurzem Buergerkrieg an die Macht. Dem Nachbarstaat
Indonesien, nach der Ermordung einer Million "Kommunisten" in den
Jahren1965-66 unter einer rechten Diktatur, missfaellt dies. Die Fretilin
ist zu weit links und koennte fuer Indonesier ein schlechtes Beispiel
werden. Soll man in Ost Timor einmarschieren? Aber was wuerden Australien
und die USA, dazu sagen?

Australien hat eine sozialdemokratische Regierung. Sie ist den Timoresen
verpflichtet: "Wir werden euch nie vergessen!"

Zwischen Indonesien und Canberra wird hinter den Kulissen verhandelt. Auch
Canberra findet die Regierung der Fretilin Regierung zu weit links. Aber
eine Indonesische Invasion ? Das kann man offiziell nicht vertreten.
Australien, England, spaeter auch Washingtons Kissinger erklaeren den
Indonesiern in etwa: Keine offene Invasion, aber wenn es in Ost Timor einen
Buergerkrieg gibt, und die Fretilin Regierung gestuerzt wird, werden wir
nichts dagegen tun.

Oktober 1975. Kaempfe an der Grenze zwischen Ost- (und indonesischem)
West-Timor. Weit weg. Die australische Regierung versucht, alle Zeugen,
Journalisten, aus dem Land zu schaffen und erschwert die Einreise. Trotzdem
gelingt es 5 Fernsehjournalisten, zwei Australiern, zwei Englaendern, einer
aus Neuseeland, ins Land zu kommen. Sie erreichen Balibo, einen Grenzort. Am
Morgen des 16. Oktober 1975 sind sie alle fuenf tot.

Die Balibo Five

Die offizielle Erklaerung war, dass die 5 ungluecklicherweise ins Kreuzfeuer
zwischen linken (Fretilin) und rechten pro-indonesischen Guerillas geraten
seien. Die Leichen, ihre Kameras und Filme seien durch Volltreffer leider
total zerstoert. Nur kleinste Reste sind uebriggeblieben, zusammengescharrt,
in einer Schuhschachtel in Jakarta, Indonesien, begraben. Die
Familienangehoerigen in Australien und in England werden unter Druck
gesetzt, auf eine Untersuchung zu verzichten. Die australischen Regierungen
akzeptieren diese Erklaerung ebenso wie die Englands und Neuseelands. Die
USA, deren Abhoerstationen in Australien sehr wohl informiert sind, bleiben
stumm.

Nur ein anfangs sehr kleiner Haufen von (meist linken) Querulanten sowie
einige der Familienmitglieder der fuenf Toten stellen diese offizielle
Darstellung in Frage.

In der Zwischenzeit, am 7 Dezember 1975, unternimmt Indonesien eine massive
Land-, Luft- und Seeinvasion Osttimors. Die Fretilin Regierung kaempft
wacker, muss sich aber in die Berge zurueckziehen -- nach 1978 sind nur noch
Guerilla-Trupps uebrig. An die 200.000 Osttimoresen, ein Viertel der
Bevoelkerung, wird getoetet.

Die australische Regierung unterstuetzt de facto die indonesische Armee und
ihre grausame Besetzung. Aktivisten versuchen, unter schwierigsten
Umstaenden von Nord Australien aus Verbindungen mit den Fretilin-Guerillas
zu erhalten und Nachrichten ueber die Ausrottung der Osttimoresen zu
verbreiten. Sie werden von den australischen Behoerden verfolgt. In
aehnlicher Weise gehen die Regierungen der USA, England und Neuseeland vor.
Was in Ost Timor laeuft, soll niemand im "freien Westen" erfahren, um die
Waffengeschaefte mit der Indonesischen Diktatur nicht zu gefaehrden.

Weisse Journalisten

In diesen Jahren (1975-1999) werden abermals Tausende Osttimoresen von der
indonesichen Diktatur umgebracht. Sie, denen man damals sagte: "Wir werden
euch nie vergessen", sind 24 Jahre lang nicht der Rede wert. Ebensowenig wie
die indonesischen "Kommunisten", Indonesier, die von ihrer eigenen
Sukarno-Diktatur mit Hilfe und unter Beifall der USA, der australischen und
der britischen Regierungen ermordet wurden. Die sind einfach zu viele, zu
links, und ausserdem sind sie braun.

Aber die fuenf Balibo-Toten - die waren weiss, Journalisten, und sie hatten
ueberlebende Familienmitglieder.

Einige haben von Anfang an die Behauptungen der australischen Regierungen
bezweifelt. Sie stellten dauernd Fragen und nahmen Kontakte mit
timoresischen Unterstuetzungsgruppen und unabhaengigen Journalisten auf.
Darunter ist der hartnaeckige, hoechst effektive John Pilger..

Die australischen Regierungen kommen unter Druck und sind gezwungen,
"Untersuchungskommissionen" zu beauftragen. Die Ergebnisse sind nichtssagend
und sollen es auch sein. Manche glaubten danach, die Sache der Balibo Five
werde fuer immer im Dunkeln bleiben.

Dann, im Mai 1998, stuerzt die Suharto-Diktatur. Der seit den Massakern von
1966 wieder gewachsene innere Widerstand und eine oekonomische Krise haben
die so solide scheinende Fassade in einigen Monaten demontiert. 1999
akzeptiert die neue indonesische Regierung ein Referendum in Ost Timor.
Trotz massiven Drucks stimmen die Timoresen, fast zu 80%, fuer die
Unabhaengigkeit. Die indonesische Armee zieht ab, nachdem sie noch mehrere
tausend Menschen getoetet hat; zahlreiche andere sind verschleppt und
verschwunden.

Flashback nach England.

Am 22. Februar 1994 sorgt eine Radiosendung ueber die Verstrickung der
englischen Regierung in Waffenlieferungen an die Suharto-Diktatur fuer
Aufregung. Die Angehoerigen der englischen Journalisten bringen den Fall der
Balibo Five wieder ins Rollen. In Australien wird die Zustaendigkeit des
australischen "Coroner" festgetellt (Untersuchungsrichter in Faellen
ungeklaerter Tode), weil einer der Briten tatsaechlich australischer Buerger
war. Sieben Jahre lang kaempfen die Familienangehoerigen, Rechtsanwaelte und
die osttimoresischen Unterstuetzungsgruppen, bis der "Coroner" den Fall
offiziell aufnimmt. Man kann nicht behaupten, dass die Regierungsinstanzen
in Australien diese Entscheidung unterstuetzten.

Von Februar bis Juni 2007 verhoerte der Coroner - eigentlich die
Deputy-Coronerin, Dorelle Pinch - in Sydney Zeuge nach Zeuge, Leute die 1975
in Balibo kaempften, sowohl Fretilin-Soldaten der osttimoresischen Armee,
als auch ihre damaligen Feinde, die von den Indonesiern als Hilfstrupps
herangezogen wurden. Vorgeladen wurden auch Angehoerige des australischen
Sicherheitsdienstes, hohe australische Politiker, Journalisten,
Schriftsteller. Nur eine Gruppe wichtiger Zeugen fehlte: Die Indonesische
Militaers, die am Morgen des 16 Oktober 1975 nach einigen Stunden Kampf
Balibo besetzt hatten. Sie hatten von Indonesien aus ihre Teilnahme
verweigert. Ihre Beschimpfung der australischen Politik, die diese
Untersuchung zuliess, fuehrte zu kriecherischen Entschuldigungen der
australischen Landes-, Bundes-, und Militaerinstanzen: "Wie konnte Coroner
Pinch nur so ´unvornehm´ vorgehen ?"

Coroner Pinch beendet die Zeugenaussagen. Am Freitag, den 15 November 2007
ist das Urteil fertig, es umfasst 129 Seiten. Das Urteil lautet: Schuldig.
Die "Balibo Five"-Journalisten wurden gezielt von der Indonesischen Armee
ermordet. Sie wurden keineswegs in einem Kreuzfeuer getoetet. Der Zweck der
von hohen, vielleicht den hoechsten indonesischen Militaers geplanten Morde
war, die schon begonnene indonesische Invasion zu verheimlichen. Die Filme
der Journalisten, die die indonesischen Kriegschiffe, Hubschrauber, Panzer
und Truppen zeigten, haetten die offizielle Version von internen
timoresischen Streitigkeiten total diskreditiert.

Coroner Pinch wollte nicht entscheiden, ob, wie spekuliert wird,
australische Regierungsinstanzen von den Mordplaenen im vorhinein wussten.
Das Urteil stellt hier keine relevanten Zeugenaussagen fest.

Einige Tage vor der Veroeffentlichung des Urteils (lange nachdem die
Zeugenaufnahmen abgeschlossen waren) erklaerte Geraldine Willessee, Tochter
des 2003 verstorbenen Aussenministers Don Willessee: "Mein Vater sagte mir
auf seinem Totenbett: 'Ich schaeme mich seit diesem 16. Oktober, seit 28
Jahren ... meines Schweigens. Wir, die Regierung, wussten sofort, schon am
16., dass die 5 Journalisten tot waren, von den Indonesiern ermordet. Aber
man hat mich unter enormen Druck gesetzt, ich sollte meiner Labor-Regierung,
meinem Premierminister Whitlam, nicht in den Ruecken fallen. So habe ich
nichts gesagt.'"

Aussage des damaligen australischen Jakarta-Botschafter Woolcott: "Ja, ich
habe am 15. Oktober mit dem indonesischen Major-General Murdani zum Abend
gegessen. Wir haben den geplanten Angriff diskutiert, auch dass die
indonesischen Trupps als Timoreser, als Zivilisten verkleidet werden. Dass
dies noetig sei, um die offizielle Fassung (osttimoresischer interner
Buergerkrieg) aufrecht zu halten."

Richterin Pinch urteilt, dass zwei der direkt beteiligten und
identifizierten indonesischen Militaers schuldig seien, Kriegsverbrechen
begangen zu haben. Sie uebergab den Fall zur weiteren Untersuchung an den
australischen Bundesjustizminister.

Auch wenn Indonesien sich weigert, die Invasion untersuchen zu lassen, waere
es sicher moeglich, eine Anklage wegen Kriegsverbrechen zu erheben. Aber die
australische Politik fuerchtet die Folgen.

*Max Watts, Annandale, Australien*



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