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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Oktober 2007; 16:42
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Mexiko:

> Wahlen in Oaxaca zwischen Repression und Aufstandsbewegung

Am 7. Oktober sollten in 152 von insgesamt 570 Landkreisen des mexikanischen
Bundesstaates Oaxaca Wahlen stattfinden. In 151 Landkreisen wurden Wahlen
abgehalten, in dem Landkreis Santiago Loallaga konnte keine Abstimmung
stattfinden, da dort die Sicherheit nicht garantiert werden konnte.

Kontext der Wahlen

Die Landkreiswahlen fanden Klima von politischer und gesellschaftlicher
Gewalttaetigkeit statt: Der soziale Konflikt im Zusammenhang mit der breiten
Aufstandsbewegung der APPO (Anm.: Abkuerzungen siehe Anhang) aus dem letzten
Jahr ist weiterhin ungeloest, es finden gewalttaetige Auseinandersetzungen
zwischen AnhaengerInnen der Lehrergewerkschaft Sektion 22 und der
neugegruendeten Sektion 59 statt. Verbrechen wie Exekutionen im Zusammenhang
mit Organisierter Kriminalitaet, insbesondere in der Region Istmo de
Tehuantepec nehmen stark zu. Die Guerillaorganisation EPR veruebt verstaerkt
Anschlaege, um die Forderung nach Auskunft ueber den Verbleib zweier ihrer
Mitglieder, welche im Mai 2007 mutmasslich von Polizisten verschleppt
wurden, zu untermauern.

In den vergangenen zwei Wochen berichteten die lokalen Medien in Oaxaca
hauptsaechlich ueber mehrere Faelle von organisiertem Kindesmissbrauch in
Privatschulen. Dadurch wurde viel oeffentliche Aufmerksamkeit von den
Bedingungen im Vorfeld der Wahlen abgezogen. Darueber hinaus ist der Umgang
der Strafverfolgungsbehoerden in den Missbrauchsfaellen ein Beispiel fuer
die mangelnde Rechtsstaatlichkeit .

Auch auf Ebene der Landkreise existieren zahlreiche Konflikte.

Darunter fallen insbesondere Probleme mit korrupten PolitikerInnen und der
fehlenden Durchfuehrung von notwendigen Infrastrukturprojekten, sowie der
Mangel an oeffentlicher Sicherheit. Damit in Verbindung stehen zahlreiche
Landkonflikte sowie mehrere Faelle von Selbstjustiz.

Konflikte zwischen verschiedenen Fluegeln innerhalb einzelner politischer
Parteien um die Kandidatur fuer die jeweiligen Posten hatten
Verleumdungskampagnen und exzessive Ausgaben schon vor dem eigentlichen
Wahlkampfauftakt zur Folge. Die Parteienaktivitaeten im Vorfeld des
Wahlkampfes unterliegen keinerlei Kontrolle, da es dafuer keine gesetzlichen
Regelungen wie z.B. eine Offenlegung der Ausgaben gibt.

Wie schon bei Wahlen in Oaxaca in der Vergangenheit waren Stimmenkauf und
Einschuechterungen gaengige Praxis. Die Verteilung von Bargeld in Hoehe bis
zu 2 000 Peso pro Stimme sowie von staatlichen Lebensmittelhilfen waren die
haeufigsten Methoden der Einflussnahme. Das Anzeigen derartiger Praktiken
vor der zustaendigen Sonderstaatsanwaltschaft fuer Wahldelikte (FEPADE) ist
jedoch kaum ueblich, da diese Delikte nur schwer nachzuweisen sind und es
sich zudem nur um "minder schwere Delikte" handelt, welche in der Praxis
zumeist straflos bleiben.

Entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Neutralitaetspflicht des
Staatsapparates ist die direkte Beeinflussung der Wahlen durch den
Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz zu Gunsten der Regierungspartei PRI belegt.
Heimlich aufgezeichnete Aussagen des Gouverneurs vom 4. Oktober bestaetigen,
dass der Wahlkampf der PRI massive Unterstuetzung durch die gesamte
Infrastruktur und die finanziellen Ressourcen der Landesregierung erhielt.
Der Gouverneur erklaerte unter anderem, sein gesamtes Kabinett fuer den
PRI-Hauptstadtkandidaten einzusetzen und drohte den anwesenden hoeheren
Beamten, sie zu entlassen, wenn sie sich im Wahlkampf nicht aktiv fuer die
PRI einsetzten.

Die Wahlen am 7. Oktober

Schon bei der Wahl der Landtagsabgeordneten am vergangenen 5. August 2007
errang die PRI die Mehrheit der Sitze; der Anteil der NichtwaehlerInnen
betrug 64%. Bei den Oktoberwahlen zur Bestimmung der politischen
RepraesentantInnen der Landkreise ergaben sich grosse lokale Schwankungen
bezueglich der Wahlbeteiligung: der NichtwaehlerInnenanteil lag zwischen
20-60% der Wahlberechtigten. Teilweise wurden WaehlerInnen von Dritten in
die Wahlkabine begleitet oder die Wahlzettel von dem Vorsitzenden des
Wahllokales selbst ausgefuellt und somit das Recht auf freie und geheime
Abstimmung verletzt.

Die lokalen Medien berichteten ueber zahlreiche Zwischenfaelle am Wahltag:
Stimmenkauf und die von politischen Parteien organisierte systematische
Befoerderung von WaehlerInnengruppen zu den Wahlurnen, fehlende
Uebereinstimmung der Anzahl bzw. der Nummerierung der Stimmzettel mit dem
dazugehoerigen WaehlerInnenverzeichnis, Verbrennung von Urnen durch
AnhaengerInnen der unterlegenen Parteien nach der Schliessung der
Wahllokale, die Festsetzung einer PRI-Kandidatin (waehrend des mutmasslichen
Stimmenkaufs) durch AnhaengerInnen konkurrierender Parteien, Bedrohungen und
taetliche Angriffe gegen UnterstuetzerInnen der Oppositionsparteien.

Ein gravierendes Beispiel fuer die Anwendung von Gewalt zur Einschuechterung
der Opposition ist der Fall von Santa Lucia del Camino: In der Nacht von dem
6. auf den 7. Oktober wurde ein Attentat auf das Wahlkampfbuero des
PRD-Kandidaten von Santa Lucia del Camino veruebt. Dabei wurden mehrere
Schuesse auf das Gebaeude bzw. in das Gebaeude abgegeben.

Am Tag der Wahl wurden drei Unterstuetzer der PT von Polizisten angegriffen.
Die drei jungen Maenner, einer davon ein bekannter Sprecher der
Aufstandsbewegung APPO, waren mit dem Auto der PT-Kandidation von Santa
Lucia unterwegs und beobachteten die Wahlen. Sie wurden gegen 18 Uhr von
etwa 12 schwer bewaffneten Polizisten der Polizeiorganisation PABIC in
Zivilbekleidung aufgehalten; unter den Angreifern erkannten die Opfer auch
den Kommandanten der Polizeieinheit. Die PT-Sympathisanten wurden aus dem
Auto gezerrt. Mit verbundenen Augen wurden sie beraubt, geschlagen, ueber
ihre Beteiligung an der Aufstandbewegung befragt, mit dem Tode bedroht und
aufgefordert, Oaxaca zu verlassen. Schliesslich wurden die drei Maenner an
einem abgelegenen Ort ohne ihr Transportmittel ausgesetzt .

Wahlergebnisse

Die PRI erringt in 87 Landkreisen den Wahlsieg, auf die PRD entfallen 45
Landkreise, die PAN gewinnt 7 Landkreise, Convergencia erlangt die Mehrheit
in 5 Landkreisen, die PT gewinnt 3 Landkreise, die PVEM erringt 2 Landkreise
und die PUP einen Landkreis. In einem Landkreis besteht Gleichstand zwischen
PRI und PRD.

Entgegen der Tendenz der vergangenen Wahlperioden gewinnt die PRI Stimmen
und Landkreise zurueck. Im Jahr 2004 regierte die PRI 73 Landkreise, 2001
waren es 84. Dennoch gelang es der Regierungspartei nicht, die Staerke der
90er Jahre wiederzuerlangen; im Jahr 1998 hatte die PRI 113 von 152
Landkreisen regiert. Zweitstaerkste Partei bleibt die PRD, im Vergleich zu
dem Wahlergebnis 2004 verliert sie jedoch 2 Landkreise; im Jahr 1998 hatte
die PRD in nur 29 Landkreisen regiert. Groesster Verlierer der Wahl ist die
PAN, welche 1998 9 Landkreise regiert hatte, in den Jahren 2001 und 2004 von
dem Fox-Effekt profitierte und 20 bzw. 21 Landkreise gewann.

Bewertung und Ausblick

Die Wahlen verliefen im Vergleich zu den Vorjahren relativ ruhig, aber es
existierten zahlreiche Verstoesse gegen das Recht auf freie und geheime
Wahl. Praktiken wie Stimmenkauf in Zusammenhang mit Noetigung zur
Stimmabgabe wurden vielfach gemeldet, jedoch selten vor der zustaendigen
Sonderstaatsanwaltschaft fuer Wahldelikte (FEPADE) angezeigt. Die FEPADE
wird oft als "zahnloser Loewe" bezeichnet, da grosse Huerden fuer die
Bestrafung von Wahldelikten bestehen.

Die Spaltung der Opposition und das Auseinanderbrechen des
Oppositionsbuendnisses erleichterte den Wahlsieg der PRI. Auffaellig sind in
diesem Zusammenhang insbesondere die Wahlsiege der PRI in Landkreisen, die
sich durch starke Beteiligung an der Aufstandsbewegung auszeichnen, wie
Santa Cruz Xoxocotlán, Santa Lucia del Camino und der Hauptstadt Oaxaca de
Juárez.

Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich ein verstaerktes Misstrauen
gegenueber politischen Parteien. Viele fuehlen das Fehlen einer politischen
Alternative im Parteienspektrum. In einigen Landkreisen wurden die
Oppositionskandidaten bezichtigt, unter dem Einfluss der PRI zu stehen.

Die gaengige Form der politischen Repraesentation in Oaxaca befindet sich in
der Krise, dieses Jahr fand auch keine Wahlbeobachtung durch
Nichtregierungsorganisationen statt.

Die Bevoelkerung ist unzufrieden mit dem Ablauf und dem Ausgang der Wahlen,
Demonstrationen, Anfechtung der Wahlergebnisse und Besetzungen von
oeffentlichen Gebaeuden in mehreren Landkreisen sind die Folge

Der Senat auf Bundesebene hat in Folge der Forderung der Oppositionsparteien
PAN, PRD und Convergencia nach Annullierung der Wahlen aufgrund der bekannt
gewordenen Aussagen des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz einer Untersuchung der
Vorgaenge zugestimmt.

Der Wahlprozess endet mit der Amtsuebernahme der neu gewaehlten
RepraesentantInnen am 1.Januar 2008. Bis dahin koennen weiterhin Einsprueche
geltend gemacht werden.

Am Tag der Amtsuebernahme ist mit weiteren Protesten zu rechnen,
beispielsweise in Form von Besetzungen von Rathaeusern durch AnhaengerInnen
unterlegener Parteien.
(Proyecto de monitoreo de los derechos políticos en Oaxaca, 12.10.2007)

Quelle: http://at.indymedia.org/de/node/4595

*

Abkuerzungen
APPO: Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca
CEDH: Comisión Estatal de Derechos Humanos
EPR: Ejercito Popular Revolucionario
FEPADE: Fiscalía Espezializada para la Atención de los Delictos Electorales
IEE: Instituto Estatal Electoral
PABIC: Policía Auxiliar Bancaria, Industrial y Comercial
PAN: Partido Acción Nacional
PRD: Partido de la Revolución Democrática
PRI: Partido Revolucionario Institucional
PT: Partido del Trabajo
PUP: Partido Unidad Popular
PVEM: Partido Verde Ecologista de México





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