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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. August 2007; 15:07
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BRD/Moderne Zeiten/Der Polizei ist fad:

> Deutschland im August

Deutschland erlebt momentan gerade eine Hatz auf "verfassungsfeindliche
Elemente" durch den Behoerdenapparat, der schon ein wenig an die
"Sympathisanten"-Jagd der RAF-Aera erinnert -- und das ganz ohne
Terrorwelle.

Der Berliner Stadtforscher und Soziologe Andrej H. sass drei Wochen lang in
Untersuchungshaft, weil ihm die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe unter
fadenscheinigen Vorwaenden die "Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung" vorwirft. Erst letzte Woche wurde H. gegen Zahlung einer
Kaution und unter strengen Auflagen vorlaeufig frei gelassen, nachdem zuvor
Tausende Wissenschaftler und Studenten aus Deutschland und der ganzen Welt
gegen die beispiellose Kriminalisierung eines Wissenschaftlers protestiert
hatten. Wie H.s Anwaeltin Christina Clemm mitteilte, bedeutet die
Haftverschonung aber keine Aufhebung des Haftbefehls. Ausserdem will die
Bundesanwaltschaft gegen die Entscheidung des Ermittlungsrichters Beschwerde
einlegen.

Die Bundesanwaltschaft beschuldigt den an der Berliner Humboldt-Universitaet
beschaeftigten Wissenschaftler sowie drei weitere Berliner, die sich
weiterhin in Haft befinden, der "militanten gruppe" (mg) anzugehoeren. Diese
soll laut Bundeskriminalamt (BKA) fuer rund zwei Dutzend Faelle
geringfuegiger Sachbeschaedigung und das Anzuenden von Privat-PKWs sowie von
Polizeifahrzeugen verantwortlich sein. Durch solch sinnlose Vandalenakte, so
das BKA, wolle die mg die "Struktur der Gesellschaft zerschlagen und eine
kommunistische Weltordnung errichten".

Andrej H., der am 1. August in seiner Wohnung festgenommen wurde, wird
vorgeworfen, er habe mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten der mg das
theoretische Ruestzeug geliefert. Unter dem gleichen Vorwand ermittelt die
Bundesanwaltschaft auch gegen den Leipziger Politologen Matthias B. sowie
einen weiteren Wissenschaftler und einen Journalisten, die bisher nicht
festgenommen wurden -- das alles unter dem beruechtigten
Mittaeterparagraphen 129a des deutschen Strafgesetzbuches ("Bildung
terroristischer Vereinigungen").

Die drei anderen Inhaftierten, Florian L., Oliver R. und Axel H., sollen
laut Polizeiangaben in den Morgenstunden des 31. Juli versucht haben, in
Brandenburg/Havel drei Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. Sie waren
seit geraumer Zeit von der Polizei observiert worden und wurden auf dem Weg
zum angeblichen Tatort festgenommen.

Dabei soll die Polizei, wie das "Buendnis fuer die Einstellung des §
129a-Verfahrens" bekannt gab, mit grosser Brutalitaet vorgegangen sein. Die
drei haetten sich im fahrenden Auto befunden, das in einem "blitzartigen
Ueberfall" zum Stehen gebracht worden sei. Dann seien "die Scheiben
eingeschlagen und die Insassen durch die herausgebrochenen Fensterscheiben
nach draussen gezerrt" worden, wobei sie "Schnittstellen an verschiedenen
Koerperstellen" erlitten haetten. Anschliessend seien den Verhafteten wie
Guantanamo-Haeftlingen "Saecke ueber die Koepfe gezogen" worden. Alle drei
seien "in duenne, weisse Plastik-Overalls gesteckt" worden und haetten
"gefesselt ueber einen langen Zeitraum auf der Strasse liegen" muessen.

Die Wissenschaftler H. und B. hingegen wurden hauptsaechlich deswegen zu
Mitbeschuldigten, weil sie Kontakt zu den angeblichen Taetern gehabt haetten
und sich vor allem mit urbaner Gentrifizierung (also der Vernichtung
billiger Wohngegenden zugunsten wohlhabenderer Schichten) beschaeftigen --
ein Themenkomplex, den auch die mg in ihren Flugblaettern behandelt hatte.
Ausserdem haetten sie durch ihre Arbeit leichten Zugang zu Bibliotheken, wo
sie unauffaellig fuer diese Publikationen recherchieren haetten koennen. Das
reicht 2007 in Deutschland fuer einen Haftbefehl.
(WSWS.org, einstellung.so36.net/akin)


Wieder Computer beschlagnahmt

Am Morgen des 16.8.2007 fand eine Hausdurchsuchung bei einem Bonner
Atomkraftgegner statt, der Inhaber und technischer Administrator der
Internetdomain antiatombonn.de ist. Hierbei wurde als zusaetzliche Schikane

der Computer des Betroffenen beschlagnahmt, anstatt sich mit dem technisch
problemlos moeglichen Kopieren der fraglichen Daten zu begnuegen. Die Site
antiatombonn.de gehoert der AntiAtom-Gruppe Bonn, die mit zu den
Massenblockaden des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm mobilisiert hat. Der
Vorwurf: Aufforderung zu Straftaten wegen der Dokumentation des
Aktionskonzepts von Block G8.

Die Beamten kamen um 7 Uhr frueh und durchsuchten die Wohnung, um die
Urheberschaft des auf die

Internetseite www.antiatombonn.de eingestellten Artikels "Bonn goes G8:
Bewegen, blockieren, bleiben" zu ermitteln. Vor Ort wurden Unterlagen des
Betroffenen gesichtet und -- obwohl der Tatvorwurf dabei nicht belegt werden
konnte -- schliesslich seine komplette EDV-Ausstattung beschlagnahmt. Zum
Abschied haette man ihm noch den Hinweis gegeben, dass er seinen Computer
wohl erst naechstes Jahr zurueckbekommen werde.

Bei dem zitierten Artikel handelt es sich um eine inzwischen veraltete
Ankuendigung der Anti-Atom-Gruppe Bonn, an den gewaltfreien Blockaden des
bundesweiten Buendnisses "Block G8" teilzunehmen. Dort heisst es unter
anderem: "Unser Ziel ist zu blockieren, d.h. wir werden Polizeiabsperrungen
ueberwinden, sie wegdruecken, sie umgehen oder geschickt durch sie
hindurchfliessen. Wir lassen uns nicht stoppen, bleiben nicht stehen und
steigen nicht auf moegliche Eskalationstrategien der Polizei ein." Das
reicht in Deutschland 2007 fuer eine Hausdurchsuchung und eine
Beschlagnahme. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Artikel sich
ganz explizit und ausfuehrlich auf die Riesenpolizeiaktion im Vorfeld des
Gipfels (akin 13/07) bezog, bei dem es rund 40 Hausdurchsuchungen
gleichzeitig gegeben hatte.
(gipfelsoli/akin)


Nicht gemeinnuetzig

Es geht aber auch ohne unmittelbaren Polizeieinsatz. Mittels Finanzamt
versuchte der Staat kürzlich die Informationsstelle Militarisierung
Tuebingen (IMI) abzudrehen. Der IMI sollte der Status der Gemeinnuetzigkeit
entzogen werden. Damit stand eine Forderung von 40% aller seit 2001
eingegangenen Spenden als Steuernachzahlung im Raum.

Zur Begruendung berief sich das Finanzamt auf Zweifel einer nicht genannten
Behoerde an der Verfassungstreue der IMI. Weiterhin war ihr vorgeworfen
worden, sich ausschliesslich tagespolitisch zu betaetigen und ihrem
gemeinnuetzigen Zweck somit nicht nachzukommen. Als Hintergrund vermuteten
Beobachter der Szene die aktive Einmischung der IMI in die Mobilisierung
gegen den G8 in Heiligendamm und gegen die Repression der Bewegungen.

Doch diesmal funktionierte der Rechtsstaat im Deutschland des Jahres 2007
noch. Das Tuebinger Finanzamt erteilte kuerzlich der IMI doch den
Freistellungsbescheid und damit die Gemeinnuetzigkeit. In einem Gespraech
mit einem leitenden Finanzbeamten kam heraus, dass die urspruenglich nicht
genannte Behoerde das Landesamt fuer Verfassungsschutz Baden-Wuerttemberg
gewesen war. Dieses hatte dann allerdings nach Ansicht des Finanzamtes keinen
wirklich brauchbaren Beweis fuer die unterstellte "Verfassungsfeindlichkeit"
liefern koennen.

Allerdings war das nicht der erste Versuch, von Polizei und Justiz mittels
Finanzamt die Arbeit der IMI zu gefaehrden. Bereits vor einem Jahr wurde die
Gemeinnuetzigkeit der IMI in Zweifel gezogen und nur auf Widerruf fuer 12
Monate verlaengert. Diese Massnahme stand damals im Kontext der Aberkennung
der Immunitaet von Tobias Pflueger, eines Vorstandsmitglieds der IMI, in
seiner Funktion als Europaabgeordneter und der (wiederholten und wiederholt
erfolglosen) Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn. (IMI/bearb.)


Bundestrojaner

Waehrenddessen versucht der deutsche CDU-Bundesinnenminister Wolfgang
Schaeuble sein Lieblingsprojekt, das Recht deutscher Polizeibehoerden auf
Online-Durchsuchungen, durchzudruecken. Das soll mittels eines sogenannten
"Trojanischen Pferdes" (einer speziellen Art Computervirus) geschehen -- in
der deutschen Computerszene als "Bundestrojaner" bekannt. Ein solches
trojanisches Pferd (aehnlich jenem, mit dem deutsche Behoerden erst
kuerzlich selbst konfrontiert waren und dessen Urheberschaft sie beim
chinesischen Geheimdienst vermuten), mit dem man den Computer eines
Verdaechtigen infiziert, soll es moeglich machen, diesen Computer ohne
physische Hausdurchsuchung zu durchforsten.

Das Perfide daran: Diese Art der Durchsuchung wuerde -- aehnlich einer
Telefonueberwachung -- ohne Wissen des Verdaechtigen geschehen. Er koennte
also weder die Durchsuchung ueberwachen noch einen anwaltlichen Beistand
herbeirufen. Und der Verdacht steht natuerlich auch im Raum, dass dabei
Beweise auch untergeschoben werden koennten -- die technische Frage einer
juristisch haltbaren Beweissicherung ist voellig ungeklaert.

Was Kritiker aber auch bemaengeln: Zur Bekaempfung von Terrorismus (mit dem
ja auch hier argumentiert wird) ist das Ding ziemlich unbrauchbar, da wohl
bei nur schlecht abgedichteten Windows-Rechnern einsetzbar. Bei einem mit
rigiden Rechtemanagement und ausreichender Verschluesselung ausgestatteten
Linux-Rechner beispielsweise waeren solch einfache Rezepte vollkommen
wirkungslos -- einmal abgesehen davon, dass ein Angriff dem Verdaechtigen
wahrscheinlich auch schneller auffallen wuerde.

Futurezone.at interviewte dazu den Berliner Juristen Ulf Buermeyer. Der
meint: "Politiker behaupten, die Online-Durchsuchung sei zuallererst
notwendig, um der Gefahr des Terrorismus zu begegnen. Wer aber in der Lage
ist, einen Angriff wie jenen vom 11. September 2001 zu koordinieren, der
wird auch in der Lage sein, seine Computersysteme zu sichern. ... Die
Polizei haette aber -- aus ihrer Sicht sicher verstaendlich -- offenbar
gerne die Moeglichkeit zur Online-Durchsuchung, um damit die vielen kleinen
Fische zu fangen, etwa eBay-Betrueger. Damit stoesst sie aber wieder auf
verfassungsrechtliche Probleme, denn diese Sorte Kriminalitaet ist nicht
bedrohlich genug, um einen so schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte zu
rechtfertigen. Terroristen und professionelle Kriminelle wird man mittels
einer Online-Durchsuchung aber kaum fangen." Und Buermeyer muss es wissen.
Ist er doch von Beruf Richter und war waehrend seines Studiums
Netzwerkadministrator an seiner Universitaet.

Tatsaechlich wird diese Trojanertechnik in Deutschland dennoch schon
verwendet. Zum einen gab es diesbezuegliche Dienstanweisungen bei deutschen
Geheimdiensten, zum anderen aber auch die Moeglichkeit fuer regulaere
Polizeidienststellen -- als "Landestrojaner". Mehrere deutsche Bundeslaender
haben dazu schon sehr verschiedene Gesetzesbeschluesse gefasst -- und
stiessen beim Bundesverfassungsgericht auf wenig Gegenliebe. Am 10.Oktober
verhandelt das BVG in Karlsruhe ueber eine Verfassungsbeschwerde gegen eine
gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung in Nordrhein-Westfalen. Danach
wird man weitersehen, was in Deutschland 2007 moeglich ist. Kolportiert wird
aber auch, dass man in Oesterreichs Innenministerium ebenfalls schon sehr
gespannt auf das Urteil wartet.
(Futurezone.at/akin)

Quellen u.a.:
http://www.wsws.org/de/2007/aug2007/terr-a24.shtml
http://einstellung.so36.net
http://www.antiatombonn.de
http://www.imi-online.de
http://futurezone.orf.at/it/stories/215901


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