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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Juni 2007; 18:31
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Moderne Zeiten:

> Vorratsverdacht wird Gesetz

Vorwuerfe wie Wilderei, Stalking, falsche Angaben bei Behoerden und
Verkehrsunfaelle mit toedlichem Ausgang sollen in Zukunft fuer Zugriff auf
Telefon- und Internetdaten reichen. / Demo am Donnerstag

Der nunmehrige Entwurf der oesterreichischen Regierung zur Umsetzung der
EU-Richtlinie zur Vorratsdatensspeicherung erlaubt einen derartig einfachen
Zugriff auf die aufgezeichneten Daten, dass kaum ein Vorwurf oder Verdacht,
der gegen eine Person erhoben wird, nicht auch den Zugriff auf die Telekom-
und spaeter Internet-Daten rechtfertigen wuerde.

So genuegt es, den glaubwuerdigen Verdacht zu aeussern, jemand haette vor
einer Behoerde falsche Angaben gemacht, er wuerde Betriebsgeheimnisse
ausspaehen, er haette vertrauliche Unterlagen an einen Journalisten
weitergegeben oder er wuerde jemanden "beharrlich verfolgen".

Schon muessten die Telefon- und Internetkontakte offen gelegt werden. Der
Schaden bliebe bestehen, auch dann wenn sich kurz darauf herausstellt, man
habe sich geirrt, der Verdacht sei doch nicht zu erhaerten oder er betreffe
eine ganz andere Person.

Mit der weitreichenden Verwendungsermaechtigung waere eine voellig neue
Dimension in Sachen gegenseitige Vernaderung und Beschuldigung eroeffnet.

Besonders stark betroffen sind auch Journalisten, Rechtsanwaelte und andere
Vertrauensberufe. Ihre Kommunikationsnetzwerke koennen durch die neue
Regelung systematisch offengelegt werden, bisherige Schutzmechanismen
greifen nicht mehr.

Keine Deckung durch EG-Richtlinie

Zentrale Voraussetzung fuer die verabschiedete EG-Richtlinie war Bekaempfung
von Terrorismus und organisiserter Kriminalitaet. Diese Voraussetzung findet
sich mehrfach in den Erwaegungsgruenden der Richtlinie, die zentraler
Bestandteil der Richtlinie sind (Art. 8 EG). Mit der Hereinnahme von
Allerweltsdelikten wird Oesterreich wieder einmal zum Musterschueler fuer
Grundrechtsverletzungen.

Hans G. Zeger, Obmann der ARGE DATEN und Mitglied im Datenschutzrat: "Es
gibt keinerlei rechtssystematische Begruendung mit Bezug auf §17
Sicherheitspolizeigesetz die gespeicherten Daten fuer eine Vielzahl von
Delikten zugaenglich zu machen, die ueberhaupt keinen Bezug zu Terrorismus
haben. Selbst der Bezug auf §17 StGB, der zwischen Vergehen und Verbrechen
unterscheidet waere sinnvoller, obwohl auch diese Bestimmung noch weit ueber
die Intentionen der EG-Richtlinie hinausgeht."

Sinnvoll waere fuer dieses Spezialgesetz wohl nur eine vollstaendige
Aufzaehlung jener Delikte, die tatsaechlich einen nachvollziehbaren Konnex
zu Terrorismus haben. Dies waere die Gruppe der Tatbestaende, wie sie unter
§278ff StGB (Terrorismus, organisierte Kriminalitaet) beschrieben sind (1).

Hans G. Zeger: "Offenbar ist den oesterreichischen Politikern bewusst, dass
die Vorratsdatenspeicherung im Zusammenhang mit organisierter Kriminalitaet
kaum Ergebnisse bringen wird. Allzuleicht ist es fuer diejenigen, 'die etwas
zu verbergen haben', die Bestimmungen zu umgehen. Vorsorglich wird daher der
Zugriff auf die Daten auch fuer zehntausende Allerweltsdelikte
sichergestellt, damit man nach einigen Jahren zumindest einige dutzend
'Erfolgsmeldungen' verbreiten kann. Eine Verbesserung der
Gesamtsicherheitslage oder einen Beitrag zur Terrorismusbekaempfung wird es
nicht geben. Eine Rechtfertigung fuer die Buergerueberwachung wird man aber
sehr wohl herauslesen koennen."

Gerade im Zusammenhang mit Delikten wie z.B. Stalking, liessen sich dann
trefflich "Erfolgsmeldungen" produzieren. Fehlt doch vielen Stalkern mit
ihrer oft krankhaften Neigung anderen Personen nachzustellen, jedes
Unrechtsbewusstsein. Sie werden daher auch keine Verschleierungsmassnahmen
fuer ihre Taten treffen und koennten dann durch die Vorratsdatenspeicherung
noch leichter ausgeforscht werden als es bisher schon der Fall ist.

Umgekehrt ist das Stalking-Delikt geradezu ein Musterbeispiel fuer den
Missbrauch der neuen Datenaufzeichnungen. Charakteristisches Merkmal von
Stalking ist die "Beharrlichkeit" in der Nachstellung. Ein Stalkingopfer hat
daher schon jetzt durch zeitgerechte Anzeige und gezielte Ueberwachung
seines Telefonanschlusses jede denkbare Moeglichkeit der Verfolgung und
Aufklaerung des Delikts. Das nachtraegliche Herumschnueffeln in Daten
unbescholtener Buerger ist dazu ueberhaupt nicht erforderlich.

Die Daten von - konservativ geschaetzten - mindestens 14 Mrd. Telefonanrufen
und - sobald auch Internet erfasst ist - rund 28 Mrd. eMailkontakten
muessten fuer Schnueffeldienste aller Art permanent bereit gehalten werden
(die Zahlen sind eine Schaetzung, basierend auf einer angenommenen
Mindestnutzung und den in Oesterreich bekannten Anschlusszahlen).

Bisher unbeachtet blieb, dass nicht einmal die Loeschungsverpflichtung nach
Ablauf der Sechsmonatsfrist fuer die Datenaufbewahrung bedingungslos
eingehalten wird. Dies wuerde eine taegliche Loeschung der ueber diesen
Zeitraum liegenden Daten erfordern. Schon jetzt sind die Vorbehalte der
Telekomanbieter absehbar.

Beamte werden keine Informationen mehr weitergeben

Auf Informationen aus Beamtenkreisen werden Journalisten noch staerker
verzichten muessen als bisher. Steht doch bei jeder Informationsweitergabe
der Verdacht des Amtsmissbrauchs im Raum. Bei einem Strafrahmen von bis zu
drei Jahren hoch genug um auf Vorratsdaten zugreifen zu duerfen. Selbst wenn
sich anschliessend der Verdacht nicht bestaetigt, Ruf und wohl auch Karriere
des Beamten sind durch die durchgefuehrte Untersuchung nachhaltig
beschaedigt. Kein vernuenftiger Beamter wird in Zukunft noch einen eMail-
oder Telefonkontakt mit einem Journalisten pflegen, auch wenn er nichts zu
verbergen hat, das Risiko in eine Untersuchung hineingezogen zu werden ist
zu gross.

In nahezu wortidenten Stellungnahmen haben die Vertreter der Musikindustrie
in einer konzertierten Aktion, namentlich ifpi, VTMOe, VGR, austro mechana,
LSG und VBT eine Senkung der Zugriffsschwelle auf Vergehen mit nur 6 Monaten
Strafdrohung gefordert. Dies ist der Strafrahmen, mit dem Jugendliche
theoretisch rechnen muessen, wenn sie ueber eine Tauschboerse auch nur einen
einzigen Song verbreiten.

Damit dreht Musikindustrie, die schon in der Vergangenheit mit aeusserst
dubiosen Methoden Buerger als Urheberrechtsverletzer jagte und durch
ueberzogene Abmahnschreiben einschuechterte, weiter an der
Kriminalisierungsschraube.

Schon der jetztige Entwurf erlaubt fast ungehemmten Zugriff auf die
Vorratsdaten. Reicht es doch den gewerbsmaessigen illegalen Download bloss
zu behaupten (§91 Abs. 2a, UrhG), schon wuerde sie Zugang zu den
Internetdaten haben.

Freilich, noch ist es nicht soweit, die Internetbestimmungen zur
Vorratsdatenspeicherung sollen erst in einigen Monaten beschlossen werden.
Doch werden schon allein aus Gruenden der Gleichbehandlung die niedrigen
Strafrahmen fuer Datenzugriffe ident gehalten werden.

Leicht umgehbar

Fuer denjenigen, der "etwas zu verbergen hat" und tatsaechlich im Bereich
der organisisierten Kriminalitaet taetig ist, ist es weiterhin leicht
unidentifiziert zu kommunizieren.

Ausweichmoeglichkeiten gibt es genug: Diensteanbieter ausserhalb der EU fuer
Internettelefonie und e-mail; innerhalb der EU werden diese Fremdhandys dann
ueber Roaming-Vertraege unidentifizierbar genutzt; Anonymisierungsdienste;
Wertkartenhandys; Telefonzellen; Internetcafes; etc... Das sind die
Moeglichkeiten, die schon dem Normalbuerger spontan einfallen. Daher: Wenn
ein Krimineller auch nur einigermassen professionell agiert, wird er sich
eben auf die neuen Rahmenbedingungen problemlos umstellen koennen.

Wie die Herkunft von eMails "professionell" zu verschleiern ist, zeigen uns
die taeglichen Phishingattacken. Mails werden nicht ueber offzielle und
somit durch die Vorratsdatenspeicherung erfasste Mailserver verschickt,
sondern heimlich ueber geknackte Privat-PCs, auf denen mittels Wuermer
entsprechende Serverprogramme installiert wurden. BotNets, also illegale
Internet-Netzwerke koennen nicht nur fuer Hackerangriffe genutzt werden,
sondern auch fuer Internettelefonie oder als eMail- und Web-Netzwerke.
Mehrere zehntausend derartiger Netze existieren bereits, mit jeweils
mehreren tausend bis eine Million Computern, allesamt geknackte PrivatPCs.

Negative Stellungnahme

Hans G. Zeger: "Die ARGE DATEN hat nach gruendlicher Analyse des Entwurfes
eine umfassende und sehr detaillierte Stellungnahme abgegeben."

Dass diese Stellungnahme(2) negativ ist, ueberrascht nicht wirklich, was die
ARGE DATEN jedoch ueberrascht hat, war die Unverfrorenheit, mit der Beamte
des BMJ und des BMVIT, offensichtlich mit Rueckendeckung aus der Regierung,
aus einer Regelung zur Terrorismusbekaempfung ein Allerweltsinstrument zur
Aushebelung von Grundrechten gemacht haben.

Hans G. Zeger: "Persoenlich musste ich auch im Datenschutzrat eine
gesonderte Stellungnahme abgeben. Auch in diesem Gremium standen nur
kosmetische Fragen zur Diskussion und die laengst vorbereitete
Mehrheits-Stellungnahme musste als ungenuegend angesehen werden."
(Aussendung Arge Daten/gek.)

(1) ftp://ftp.freenet.at/int/stgb-organisationsdelikte.pdf
(2)
ftp://ftp.freenet.at/privacy/gesetze/stellungnahme-vorratsdatenspeicherung.pdf

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Demo "Freiheit statt Angst"
Gegen Sicherheits- und Ueberwachungswahn
7. Juni 2007, 19 Uhr Uni Wien, Ziel: Verkehrsministerium.
Info: http://ppoe.or.at/freiheitstattangst

Online-Protest: http://www.freenet.at/


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