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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Mai 2007; 17:16
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Arbeit/Wirtschaft/Soziales:

> Offener Brief von Attac an Alfred Gusenbauer

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Im Interview mit der deutschen BILD-Zeitung formulierten Sie den Satz:
"Steuern runter macht Oesterreich munter - und sicher auch Deutschland."

Dass Steuersenkungen ein Land "munter" machen, stimmt weder in der
allgemeinen Form noch fuer den Fall Oesterreich oder Deutschland. Das
aktuelle "Munterwerden" Oesterreichs ist in erster Linie auf die globale
Konjunktur zurueckzufuehren und nicht auf die Senkung der
Koerperschaftssteuer. Die Ursache fuer das Ansteigen der Einnahmen aus dem
Titel der Koerperschaftssteuer - trotz und nicht wegen der Senkung - sind
die sehr stark steigenden Gewinne der oesterreichischen
Kapitalgesellschaften (vor allem aus dem Ostgeschaeft) sowie das anziehende
Wirtschaftswachstum. Befaenden wir uns in einer Abschwungphase, wuerden die
KOeSt-Einnahmen noch staerker sinken.

Die Freude ueber das Ansteigen der KOeSt-Einnahmen ist daher wie die einer
Partei ueber leichten Stimmenzuwachs, waehrend die Wahlbevoelkerung sich
nahezu verdoppelt hat.

Laender mit hoeheren Steuer- und Abgabenquoten - zum Beispiel Schweden oder
Daenemark - sind nicht "schlaefrig", sondern sie verzeichnen
Budgetueberschuesse bei besseren Sozial- und Wirtschaftsdaten als
Oesterreich. Deutschland wiederum hat bereits eine radikale Absenkung der
Steuerquote hinter sich, mit sichtbaren Auswirkungen: starker Anstieg der
Armut und radikaler Abfall der oeffentlichen Investitionen: Die deutschen
Staedte und Kommunen investierten 2006 um 40% weniger als noch 1992.

Was uns aber vor allem stoert, ist nicht Ihre irrefuehrende Analyse, sondern
dass Sie gleich mehrere unsolidarische und sozial ungerechte Massnahmen
verteidigen: Die Senkung der Koerperschaftssteuer geschah nicht aus
Gerechtigkeitsgruenden, sondern um profitable Unternehmen weiter zu
entlasten und um Betriebe aus Deutschland wegzulocken. Damit wird das
Prinzip der nationalen und internationalen Solidaritaet gebrochen.
Oesterreichs Vorausgang im Steuer- und Standortwettbewerb macht Druck auf
alle anderen Laender nachzuziehen, wodurch die Besteuerung von Unternehmen
langfristig irrelevant wird. Sie haben mit keinem Wort den Steuerwettbewerb
in Frage gestellt, sondern diesen prominent legitimiert.

Dass Sie auch das passive Auslaufenlassen der Erbschaftssteuer positiv
darstellen und sogar zum Anlass nehmen, deutsche StaatsbuergerInnen zur
Steuervermeidung einzuladen, passt zum obigen Bild und laesst uns fragen, ob
die oesterreichische Bundesregierung fuer soziale Gerechtigkeit und
Chancengleichheit steht oder fuer die Protektion von Besitzstandwahrern und
das wechselseitige Abgraben der Steuerbasis in der EU.

Wenn alle Laender ihrem Beispiel folgen, dann werden Erbschaften, Vermoegen
und bald auch Unternehmensgewinne gar nicht mehr zur Finanzierung von
Schulen, Kindergaerten, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhaeusern beitragen.
Es droht die weitere Verlagerung der Steuerlast auf den Mittelstand und die
zusaetzliche Belastung einkommensschwaecherer Gruppen durch Einsparungen im
Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich. Die Fortfuehrung einer solchen
Politik gefaehrdet den sozialen Zusammenhalt in Oesterreich und die
Europaeische Integration. "Steuern runter" aus Prinzip macht jeden Staat
runter.

Wir wuerden es begruessen, wenn Sie in Zukunft prominente Interviews in
europaeischen Zeitungen und ihr Gewicht als Bundeskanzler fuer folgende
Forderungen nuetzen:

• Ende des Standortwettbewerbs innerhalb der EU, insbesondere des
Steuerwettbewerbs. Hohe Mindeststeuersaetze fuer Unternehmen, zumindest
Korridormodell (mit der Wirtschaftsleistung steigt der Mindeststeuersatz).

• Ausweitung der Zinsrichtlinie auf juristische Personen und alle
Kapitaleinkommen. Alle EU-Laender sollen vom Quellenbesteuerungsprinzip zum
Auskunftsprinzip wechseln, damit glaubwuerdiger Druck auf das Bankgeheimnis
von Drittlaendern, vor allem die Schweiz, ausgeuebt werden kann.

• Globale Steuern, um die Globalisierungsgewinner in die soziale
Verantwortung zu ziehen und um EU-Integration und Weltwirtschaft sozial und
oekologisch zu steuern.

Mit solidarischen Gruessen

Attac Oesterreich




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