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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Mai 2007; 17:30
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Frankreich:

> Nicht nur Proteste gegen Sarkozy

Der fruehere weit rechts stehende ehemalige franzoesische Innenminister
Nicolas Sarkozy ist mit 53 % der Stimmen zum Praesidenten Frankreichs
gewaehlt worden. Kennzeichen seiner Politik sind der weitere Ausbau des
Polizeistaates, das Niederknueppeln der Jugendlichen der grossen Staedte,
der Einsatz rassistischer Gewalt durch die Polizei, die Privatisierung und
Einschraenkung des Oeffentlichen Dienstes, die Einschraenkung des
Streikrechts (zunaechst im Oeffentlichen Dienst) etc. Rassistische
Uebergriffe der Polizei wie zuletzt am Nordbahnhof sind an der Tagesordnung.
Dem folgt die Justiz: Haftstrafen von 2-3 Monaten wegen der
Anti-Sarkozy-Demonstrationen in Lyon und bis zu 6 Monaten wegen der
Ereignisse auf dem Nordbahnhof. Das ist die eine Seite Frankreichs.

Das andere Seite sind eine Vielzahl von Streiks und Arbeitsniederlegungen,
von Manifestationen und Strassenaktionen. Es vergeht keine Woche ohne solche
Kaempfe. Es vergeht auch keine Woche ohne Rebellionen und Strassenschlachten
in den grossen Staedten. Der Tag nach dem Wahlsieg Sarkozys hat
Demonstrationen in vielen Staedten, vor allem in Paris, Lyon, Toulouse
gebracht, Protestaktionen unter den Studenten (darunter den Streik/die
Besetzung eines Teiles der Sorbonne in Paris durch 800 Studenten seit 9.5.),
aber auch ueber 1.000 brennende Autos in der Nacht nach der Wahl in den
sogenannten banlieues.

Ein kursorischer Ueberblick ueber die wichtigsten Kaempfe der letzten
Monate:

• Jaenner/Feb. Vierwoechiger Streik beim Pharmakonzern Sanofi Aventis gegen
Rationalisierungsmassnahmen und prekaere Arbeitsverhaeltnisse. Die
Forderungen wurden nicht durchgesetzt, aber der Streik wird von den
Beschaeftigten trotzdem als Erfolg bewertet

• Ende Feb. bis April Streik bei PSA (Citroën Peugeot): Dieser sechswoechige
Streik von 27.2. bis 11.4.2007 war der wichtigste Streik, im Charakter
seiner Forderungen ebenso wie in der Kampfkraft und Organisation, die die
Streikenden an den Tag legten. (Siehe dazu gesonderten Artikel)

• Maerz: Streiks bei den Supermaerkten Monoprix in Paris am Vorabend der
Kollektivvertragsverhandlungen. Forderungen: ein Mindestlohn von EUR 1.500,
eine Lohnerhoehung von monatlich EUR 240 fuer alle, die Beschraenkung der
Arbeitszeit auf 5 Tage/Woche (statt bisher 6), die Schliessung der
Geschaefte um 20 Uhr.

• Streik im Hafen von Marseille gegen eine geplante "Ausgliederung": Ein
neues Oel-Terminal wird gerade seitens Gaz de France errichtet. Die Firma
wollte das benutzen, um fuer die Entladetaetigkeit billigeres und schlechter
qualifiziertes Personal einzusetzen und diese dem Personal des Hafens
Marseille zu entziehen. Nach zwei Wochen warteten 51 Schiffe, darunter 28
Oeltanker, vor Marseille und die Behoerden gerieten allmaehlich in Sorge um
die Oelversorgung. Der Streik endete mit einem vollen Erfolg, der Anschlag
seitens GdF wurde abgewehrt.

• Streik bei Fondation Amipi: Amipi beschaeftigt 900 Arbeiter an 6
Standorten und ist Zulieferer fuer Renault und Citroën Peugeot. Das
besondere: 80% sind Behinderte (bezahlt zum gesetzlichen Mindestlohn von ER
1.254) und 20% Facharbeiter/Ausbildner. Alle gemeinsam streikten von 22.3. -
3.4.2007 um Lohnerhoehungen bzw. Praemien und erreichten 2% Lohnerhoehung
fuer die Facharbeiter/Ausbildner, EUR 700 Praemie fuer die restlichen 80%
und einige kleinere Zugestaendnisse.

• Streik bei CAMIF: Das ist eine Organisation, die Versicherungs- und andere
Dienste, urspruenglich fuer Lehrer, inzwischen allgemein anbietet. Ca. 2.000
Beschaeftigte. Auch hier wird gespart und abgebaut. Von 22.3.- 2.4. wurde
dagegen gestreikt. Der Streik wurde beendet gegen die Vereinbarung, dass in
den kommenden 6 Monaten keine Kuendigungen vorgenommne werden. 50% des
Lohnausfalls waehrend des Streiks wird von der Firma refundiert.

Aktionstag der Metallarbeiter: In 280 Firmen wurde am 4.4. die Arbeit
unterbrochen. Es geht auch hier um den Mindestlohn. Fuer Juni, vor der
Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns, wird ein nationaler Kampftag
vorbereitet.

• La Poste: Die Post soll privatisiert werden und um sie "boersefaehig" zu
machen, muessen die Arbeitsbedingungen drastisch verschlechtert werden. Dazu
scharfe Personalkuerzungen. Seit dem 24stuendigen nationalen Streik am
10.10.2006 reissen die Arbeitsniederlegungen nicht mehr ab.

Neben den Arbeitskaempfen gibt es viele politische Aktionen. Die
hervorstechendsten waren die Demonstrationen und Streiks der
Elementarschullehrer in Paris am 26. und 30.3. Am 19.3. kam es zu folgendem
Vorfall: Ein vietnamesischer Grossvater musste aus familiaeren Gruenden
seine Enkelin sprechen. Sofort wurde er als "Illegaler" verdaechtigt und
sollte festgenommen werden. Die Direktorin der Schule schritt ein und
hinderte die Polizei an der Amtshandlung. Tags darauf wurde sie verhaftet
und acht Stunden lang verhoert. Alle Lehrergewerkschaften solidarisierten
sich, es kam am 26.3. zur Demonstration, und am 30.3. zum eintaegigen
Streik. Auch die Elternversammlungen solidarisierten sich gegen das
rassistische Auftreten der Polizei, nicht nur in diesem Fall. ###

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> Der Streik bei PSA in Aulnay

Der fuer die Entwicklung der Klassenkaempfe wichtigste Streik der letzten
Monate war der im PSA-Werk in Aulnay im Norden Frankreichs. Die Fabrik
zaehlt 4.300 Beschaeftigte, darunter 3.000 Arbeiter und 1.300 Angestellte.

Seit Jahren versuchte die Firmenleitung, die Steigerung der Ausbeutung durch
"Ausgliederungen" zusaetzlich zu beschleunigen. Das Rezept ist klar: Nach
der "Ausgliederung" gelten andere Kollektivvertraege, werden neue
Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, werden Kuendigungen,
Personaleinstellungen, "befristete Vertraege", Leiharbeitsvertraege anders
behandelt; Betriebsraete und Gewerkschaften werden zersplittert, Spaltungen
werden in den Belegschaften erzeugt, und fuer das alles traegt jetzt der
Subunternehmer die Verantwortung und nicht mehr PSA. So wurde 2002 der
Pressenbereich im Karosseriebau an die italienische Firma Magnetto verkauft.

Ein Sonderfall ...

In Aulnay ging es aber diesmal ganz anders aus. Nachdem im Februar 5 der 7
Gewerkschaften (darunter die sozialdemokratischen, reformistischen und
christlichen Gewerkschaften), gegen den Widerstand der beiden anderen
Gewerkschaften CGT und SUD, fuer das PSA-Werk einen miesen Lohnabschluss von
1,6% oder EUR 20,- pro Monat vereinbart hatten, wurde kurz darauf auch fuer
die Magnetto-Beschaeftigten ein ebenso miserabler Abschluss vereinbart, von
den Arbeitern bei einer Betriebsversammlung aber umgehend abgelehnt. Am
22.2. trat die Magnetto-Belegschaft in den Streik. Magnetto steckt in
finanziellen Schwierigkeiten und wollte den Streik mit allen Mitteln rasch
beilegen. Auch PSA war an der Beendigung des Streiks interessiert, der
sofort die Karosseriefertigung beeintraechtigte und rasch Auswirkungen auf
das Werk in Madrid gehabt haette. Nach vier Tagen wurde eine Lohnerhoehung
von etwa 10% oder EUR 130,- sowie 5 zusaetzliche Urlaubstage sowie die
Einstellung von zusaetzlichen Arbeitern vereinbart.

Jetzt sah natuerlich der Lohnabschluss bei PSA selbst arm aus. Am 28.2.
traten die mehr als 500 Beschaeftigten eines Schluesselbereichs der
Karosseriefertigung in den Streik. Ihre Forderungen waren:

EUR 300,- Lohnerhoehung pro Monat, Mindestgehalt von EUR 1.525 netto pro
Monat.

Unterdrueckung der befristeten Arbeitsvertraege, die, obwohl in Frankreich
nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt - von seiten der Kapitalisten
zunehmend eingefuehrt werden.

Festhalten am Rentenalter von 55 Jahren, was de facto nach den
Rentenreformen der letzten Jahre nur bei Fortbestand bzw. Ausbau
betrieblicher Zusatzregelungen moeglich ist.

Wichtig war, dass in der Aulnay-Belegschaft trotz der teils negativen
Haltung einiger Gewerkschaften eine ungewoehnlich starke Einheit der
Arbeiter hergestellt werden konnte. Am Streik beteiligten sich genauso die
normalerweise als Lohndruecker dienenden "Leiharbeiter" und ebenso die
hoechstqualifizierten Facharbeiter (Prozesscontrolling etc.).
Demonstrationen bei den relevanten Regionalbehoerden wurden organisiert
sowie eine Demonstration in Paris. Nachdem zwei Gewerkschaften (CGT und SUD)
die den urspruenglichen Lohnabschluss abgelehnt und den Streik von Anfang an
unterstuetzt hatten, mussten zwei weitere (CFDT und UNSA) auf diese Linie
einschwenken. Die anderen PSA-Beschaeftigten unterstuetzten den Streik durch
eine Unterstuetzungserklaerung (1.250 Unterschriften in den ersten drei
Wochen), Geldsammlungen (EUR 100.000 in den ersten drei Wochen) - und eine
Verzehnfachung der Krankenstaende(!).

Die Auswirkung des Streiks auf die Produktion war sofort erheblich. Die
Auslieferung der Modelle C2 und C3 wurde zu 40% verunmoeglicht, das sind
3.500 Autos weniger pro Woche. PSA versuchte zunaechst, 50
Leiharbeitskraefte der Fa. Manpower als Streikbrecher einzustellen. Dies
wurde - die Einstellung von Leiharbeitskraeften zum Streikbruch ist in
Frankreich illegal - vom Gericht am 26.3. untersagt, der Abzug der
Leiharbeitskraefte angeordnet und eine Geldsstrafe wegen vorsaetzlichen
Gesetzesbruchs in Hoehe von EUR 5.000 pro Fall, also EUR 250.000 verhaengt.
Daraufhin wurden Arbeiter aus zwei anderen PSA-Werken unter Zusage einer
"Entfernungszulage" von EUR 750 pro Woche, aber auch unter erheblichem Druck
rekrutiert.

Da gerade Praesidentschaftswahlkampf war und der Streik ein enormes
Interesse in ganz Frankreich weckte, kamen auch alle moeglichen
"Linkspolitiker" nach Aulnay zu Besuch, darunter auch Mme.Segolène Royal,
die meinte, dass PSA eine Super-Firma sei, dass sie sich allerdings
wuensche, dass die Firma ihre Gewinne gerechter verteile.

... und ein Praezendenzfall

Fuer das Kapital ging es um einen Praezedenzfall, ueber PSA hinaus. Der
Streik musste unbedingt niedergeschlagen werden. Ein Dutzend
Verhandlungsrunden brachte absolut nichts an Zugestaendnissen. Das Kapital
war von Anfang an fest entschlossen, den Streik zu brechen und die
Streikenden auszuhungern. Aus den Streikfonds der beteiligten Gewerkschaften
und den Spenden konnten nur etwa EUR 300 bis 400 pro Monat (gegenueber dem
durchschnittlichen Nettolohn von 1.300) ausbezahlt werden.

Nach sechs Wochen Streik und der Unnachgiebigkeit der Firmenleitung war die
wirtschaftliche Situation der Streikenden schwierig geworden. Am 11.4. wurde
schliesslich der Streik mittels eines einstimmigen Beschlusses einer
Betriebsversammlung beendet. Die grossen Ziele wurden nicht erreicht; einige
kleinere Verbesserungen (Verbilligung der Werkskantinen auf EUR 2 und 50%
Reduktion der Transportkosten durch die Werksbusse) wurden vereinbart;
insgesamt natuerlich eine Niederlage; aber viel war gewonnen an
Selbstbewusstsein, Kampfkraft, Erfahrung, Organisation,Solidaritaet. Die
Streikerfahrungen sind wichtig fuer die bevorstehenden Kaempfe. Denn das
neue Unternehmenskonzept von PSA sieht fuer die etwa 100.000 Beschaeftigten
in Frankreich ein massives Programm zur Steigerung der Ausbeutung vor. Pro
Jahr, erstmals in 2007, sollen 4.000 bis 5.000 Beschaeftigte abgebaut
werden. ###

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Beide vorstehende Artikel wurden zusammengestellt von Genoss/innen in
Frankreich und uns zugesandt von: "Kommunistische Aktion -
marxistisch-leninistisch" / gek.)



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