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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. April 2007; 16:59
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Buecher:

> Linke in verschiedenen Richtungen

Hrsg. Herbert Berger/Leo Gabriel:
Lateinamerika im Aufbruch.
Soziale Bewegungen machen Politik
Mandelbaum Verlag Wien April 2007, 280 Seiten. 17,80 Euro.

Das von Herbert Berger und Leo Gabriel herausgegebene Buch gibt einen
fundierten Einblick in die tiefgehenden Wandlungsprozesse, die auf dem
lateinamerikanischen Kontinent in den letzten Jahren Platz gegriffen haben.

Nach dem Siegeszug des Neoliberalismus hat laengst ein starker Gegentrend
eingesetzt: Lateinamerika bewegt sich nach links. Der allgemeine Trend nimmt
die unterschiedlichsten Formen an. Die Spannweite reicht von Michelle
Bachelet in Chile bis hin zu Hugo Chávez in Venezuela. Und Chávez' Strategie
kann nicht mit der von Evo Morales in Bolivien gleichgesetzt werden.

Das vorliegende Buch untersucht diese laenderspezifischen
Unterschiedlichkeiten und die ihrer politischen ProtagonistInnen. Im Rahmen
dieser Rezension kann nicht auf alle behandelten Laender bzw. die
aufgeworfenen theoretischen und strategischen Fragen eingegangen werden (
Beispiele: Solidarwirtschaft statt Marktwirtschaft; pluriethnische
Autonomien versus Zentralstaat; partizipative und repraesentative
Demokratie). An Hand der Kapitel ueber Brasilien und Venezuela werde ich
darauf eingehen, wie die Verfasser die proklamierte Abkehr vom
Neoliberalismus analysieren.

Bernhard Leubolt schildert in dem Abschnitt "Ein sozialdemokratisches
Projekt in der Aera des Liberalismus?" die "Ambivalenzen der Regierung
Lula". Seit 2003 regiert Lula das Land, wobei "die PT von Stimmen
konservativer Parteien in Kongress und Parlament abhaengig ist"
(Brasilien-Kapitel S. 9). War im Wahlprogramm noch davon die Rede, "die gute
Erfahrung mit dem partizipativen Budget auf Gemeindeebene" auch auf die
staatliche Ebene auszudehnen, wurde "nach der Regierungsuebernahme jedoch
schnell klar, dass es sich hierbei um ein leeres Versprechen gehandelt
hatte" (S. 10).

Leubolt zeigt eine Reihe von neoliberalen Kontinuitaeten in der Regierung
Lula auf (S. 13ff.): Hochzinspolitik, Prioritaet fuer die Bedienung des
Schuldendienstes, das Ausbleiben einer echten Agrarreform. Als neue Elemente
("Brueche" - S. 16) fuehrt er an: Alternative Elemente in der Aussenpolitik
(Wiedererstarken des Mercosur, der lateinamerikanischen Freihandelszone;
India-Brazil-South Africa Dialogue Forum) und einige neue Elemente in der
Sozialpolitik (z.B. die Familienbeihilfe Bolsa Familia) sowie Stopp der
Privatisierungen (mit Ausnahme der Pensionsreform).

Leubolt versucht ausgewogen zu bilanzieren: einerseits "neue Wuerde" fuer
die Menschen, andererseits weisen die Gestaltung der Sozialleistungen sowie
die makrooekonomischen Massnahmen ... eher in Richtung Sozialliberalismus
(S. 21).

Birgit Zehetmayer gibt in dem Kapitel "Die (latein-)amerikanische
Herausforderung: Venezuela und die Bolivarische Revolution" ein praegnantes
Bild "vom Elend einer zweigeteilten Gesellschaft".

Mit dem "Caracazo" 1989, dem Massaker der Regierung Carlos Andrés Pérez war
eine fundamentale Wende eingetreten. Sie schildert den politischen Werdegang
von Hugo Chávez und seiner Bewegung, die Verstaatlichungsmassnahmen und das
hilflose Agieren der buergerlichen Opposition: "Von der Polarisierung zum
Putschversuch" (Venezuela-Kapitel S. 9). Und sie formuliert schliesslich die
"Gretchenfrage" (S.13): "Inwiefern ist es dem Hoffnungstraeger [Chávez -
H.D.] aber tatsaechlich gelungen, die skandaloese Sozialstruktur, die er so
feurig anklagte, durch seine Bolivarische Revolution zu veraendern?"

Meines Erachtens geht sie bei der Beantwortung der Frage zu
"personalistisch" vor -- obwohl sie selbst vor den Gefahren der
Personalisierung warnt (S.15 ff). Die grundlegenden Zukunftsfragen
Venezuelas sind vor allem struktureller Natur: Inwieweit gelingt eine
oekonomische Diversifizierung des Landes? Inwieweit entwickeln sich
selbstaendige, nicht "von oben" gegaengelte Volksorganisationen und
Strukturen, die eigenverantwortlich und selbstbestimmt Schritte in Richtung
eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" unternehmen?

Alles in allem ein materialreiches, spannendes Buch, an dem kritisch sich zu
reiben durch aus lohnend ist.
*Hermann Dworczak/DAZ/gek.*

Volltext:
http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=703&Itemid=133



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