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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Jaenner 2007; 20:33
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Asyl/Polizei/Moral/Debatte:

Eine erste Stellungnahme Michael Genners (Asyl in Not) zum Tod von Liese
Prokop hat heftige Reaktionen ausgeloest. Nun will er sich dafuer
entschuldigen. Die so oft zitierte, aber nirgendwo im Druck erschienene
erste Stellungnahme druckten wir zum Zweck der Dokumentation verkleinert in
der akin ab, damit sich unsere LeserInnen selbst ein Bild davon machen
koennen. Online abrufbar ist der umstrittene Text unter:
http://www.asyl-in-not.org/php/detail.php?artnr=8544
*Die Redaktion*

> Entschuldigung!

In den letzten Tage habe ich viele Zuschriften und Anrufe erhalten: Viele
Menschen haben mir Glueck, viele andere den Tod gewuenscht. Eines moechte
ich klarstellen: Meine Kritik, meine Angriffe sollen sich nur gegen
Schuldige richten.

Diesen Grundsatz habe ich vernachlaessigt, denn Frau Prokops Familie, ihr
Mann, ihre Kinder, deren Gefuehle ich verletzt habe, koennen nichts dafuer,
dass die Innenministerin eine zutiefst menschenverachtende Politik betrieben
hat.

Daher bitte ich Frau Prokops Familie nun in aller Form um Entschuldigung.
Damit folge ich nicht zuletzt dem Rat meines alten Freundes Volker Kier,
dessen mutigen Einsatz fuer unsere Sache ich heute mehr denn je zu schaetzen
weiss.

Diese Bitte um Entschuldigung ist an keine Bedingungen geknuepft. Nur eines
fuege ich, davon unabhaengig, hinzu:

Vom kuenftigen Innenminister verlange ich, dass er im Namen der Republik die
Opfer der bisherigen Politik um Entschuldigung bittet. Ich nenne hier einige
Namen; sie stehen stellvertretend fuer viele andere.

Er muss Herrn Romzan Ch. und seine Angehoerigen um Entschuldigung bitten,
einen Fluechtling aus Tschetschenien, der im russischen Filtrationslager
schwer gefoltert worden war und der in Oesterreich wieder im Gefaengnis
sitzen musste, aus dem einzigen Grund, dass er Schutz gesucht hat in unserem
gastfreundlichen Land. Dank meinen Rechtsmitteln ist Herr Romzan wieder auf
freiem Fuss; auf eine Entschuldigung oder gar Entschaedigung wartet er bis
heute vergebens. Folteropfer einzusperren, loest stets Retraumatisierung aus
und ist nach Ansicht aller Experten Folter im Sinne der
Menschenrechtskonvention.

Der kuenftige Innenminister muss Frau Brichta um Entschuldigung bitten, die
von ihrem Mann getrennt und nach China abgeschoben wurde, und er muss ihr
die sofortige Rueckkehr nach Oesterreich erlauben.

Und er muss Herrn und Frau Bakary um Entschuldigung bitten. Herr Bakary
wurde von Polizisten gefoltert; die Taeter laufen frei herum und versehen
wieder ihren Dienst; seine Frau lebt in staendiger Angst, ihn zu verlieren;
Frau Prokop hat jedes Wort der Entschuldigung abgelehnt.

Die hier Genannten werden die Bitte des kuenftigen Innenministers um
Entschuldigung stellvertretend fuer alle Menschen annehmen, die in der Aera
Prokop unschuldig im Gefaengnis sitzen mussten, die gefoltert, von ihren
Familien getrennt oder abgeschoben wurden.

Meine Entschuldigung bei den Angehoerigen der Frau Prokop gilt, wie gesagt,
auf jeden Fall. Der kuenftige Minister ist gut beraten, sich fuer eine
Entschuldigung ebenfalls nicht zu schade zu sein. Denn davon haengt es ab,
ob er eine Gespraechsbasis mit den Opfern der Anti-Auslaender-Politik der
letzten Jahre finden kann, und mit deren - oft genug inlaendischen -
Angehoerigen.
*Michael Genner, Obmann von Asyl in Not*

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Kommentar:

> Der Steinewerfer

Natuerlich darf man nicht so schreiben, wie Michael Genner ueber den Tod von
Liese Prokop -- ueber keines Menschen Tod. Denn jeder Mensch hat
Angehoerige, die trauern, und denen man nicht zumuten kann, zu hoeren, dass
sich jemand ueber dessen Tod freut. Genausowenig wie man die Toetung eines
Schubhaeftlings damit rechtfertigen kann, dass er ein Drogendealer gewesen
sein soll, darf man seiner Freude ueber den Tod einer Innenministerin
Ausdruck verleihen.

Als ich die bewusste Aussendung gelesen habe, war ich daher zuerst ein wenig
schockiert, ja! Aber dann kam sie mir ploetzlich vor wie ein scharfer
Magenbitter, der das ganze penetrante Schmalz, das da seit den Stunden des
Ablebens Prokops aus dem Radio tropfte, ertraeglicher machte -- eine
Geschmacklosigkeit, die die Geschmacklosigkeit des Establishments
konterkarierte. Denn als ich hoeren musste, wie da ueber die
Polizeiministerin Hymnen gesungen wurden, was fuer ein menschliches und
immer um Ausgleich bemuehtes Wesen sie gehabt haette, ist mir wirklich die
Galle uebergekocht -- da brauchte es einen Kontrapunkt, eine Antithese,
einen groben Keil, der auf einen groben Klotz gehoert.

Doch die veroeffentlichte Meinung dazu war natuerlich schwer empoert. Diese
Reaktionen waren absehbar. Nur: Gerade weil Genner so geschmacklos war,
schaffte er es in die Oeffentlichkeit. SOS Mitmensch und andere NGOs hatten
anlaesslich ihres Todes auch kritische Bemerkungen zu Prokops Amtsfuehrung
gemacht -- die sich nicht von der ihrer Vorgaenger unterschied, was aber
eben das Schlimme daran war --, doch diese Aussendungen wurden
geflissentlich ignoriert. Ueber Genner aber fielen sie alle her -- im
Kurier, der Presse, dem Standard, dem ORF. In Puls-TV wurde gar eine halbe
Stunde nur ueber diesen Brief debattiert. Genau so gelang es Genner, die
sogar von den Gruenen mitgetragene mediale Heuchelei zu durchbrechen -- zwar
nicht in eigenen Worten (denn den vollen Wortlaut veroeffentlichte kein
grosses Medium), aber immerhin war das ruehrselige Bild einer trauernden
Nation damit angekratzt. Es war so wie beim Opernball -- wenn niemand mit
Steinen wirft, ist die oesterreichische Walzerseligkeit perfekt und alle
finden es so toll, wenn eine viel zu reiche Oberschicht beim Champagner
ihren Reichtum zelebriert. Die Inhalte, die mit diesen Steinen transportiert
werden sollen, kommen natuerlich nicht in die Oeffentlichkeit -- aber der
Widerspruch wird eben doch einem breiten Publikum erkennbar. Eine
Opernballdemo aber, die sich an die Vorgaben der Polizei haelt und nicht die
Sperrgitter ueberrennt, versinkt voellig unbemerkt im Medienschmalz.

Haetten wir eine Medienlandschaft, eine Oeffentlichkeit, die nicht gar so
verlogen und obrigkeitshoerig waere, muesste man, um Aufmerksamkeit zu
erregen, nicht mit Steinen werfen -- weder mit verbalen noch mit echten.
*Bernhard Redl*


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