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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. Dezember 2006; 16:32
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EU/Glosse:

> Europaeische Verantwortungslosigkeit

Selbst wenn man nicht fuer einen Beitritt der Tuerkei zur EU ist, erscheint
die neu entbrannte Debatte ueber die Verhandlungen darueber schon sehr
befremdlich. Dass in der Tuerkei nach wie vor gefoltert wird und die
Verbesserungen in Fragen von Demokratie und Minderheitenschutz eher als
zaghaft zu beschreiben sind, regt niemanden mehr auf. Auch die
Armenierdebatte hat nicht zu einem Aussetzen der Verhandlungen gefuehrt.
Aber die Haefen fuer suedzypriotische Schiffe muessen geoeffnet werden --
das ist ganz wichtig. Die Prioritaetensetzung der EU ist eindeutig.

Dabei hat sich die EU diese Probleme selbst geschaffen. Man hatte zwar
massiv die Wiedervereinigung Zyperns forciert, aber Suedzypern versichert,
dass auch nur der halbe Staat als "Zypern" in die EU aufgenommen wird. Also
hatten die Einwohner des ethnisch griechisch dominierten Suedteils keinen
Grund mehr fuer die Wiedervereinigung -- sie wollten in die EU und die
Einwohner Nordzyperns sollten in ihrer Isolation bleiben. Waehrend
Nordzypern in der Volksabstimmung fuer einen gemeinsamen Staat war, stimmte
Suedzypern gegen die Vereinigung und wurde Mitglied der Union.

Aber wer ist ueberhaupt schuld an der Teilung der Insel. Geschichtlich
betrachtet hat die Tuerkei sicher einiges zum heutigen Zypernproblem
beigetragen -- so die Unterstuetzung tuerkisch-zypriotischer
Separationsbestrebungen vor der Teilung und die massive Ansiedlung von
Festlandtuerken im Nordteil danach. Aber -- will man wirklich nach
geschichtlichen Kriterien urteilen -- es war das in den letzten Zuegen
liegende Militaerregime Griechenlands, das 1974 durch Putsch und Besetzung
die Oberhoheit ueber Zypern sichern wollte und die tuerkische Intervention
ausloeste. Historisch koennte man also beiden Staaten eine Verantwortung
fuer die Teilung geben.

Aber das ist Schnee von gestern, die Regime in Griechenland und der Tuerkei
sind heute andere als damals. Suedzypern ist heute gluecklich in der EU.
Aber was ist mit Nordzypern? Haben diese Menschen keine Rechte, in einem
international anerkannten Staat zu leben?

Mit der Aufnahme Suedzyperns, das voelkerrechtlich die ganze Insel als ihr
Territorium beanspruchen darf, hat die EU paradoxerweise die Trennung
verfestigt. Haette sie die Vereinigung zur Bedingung gemacht -- was wiederum
Griechenland torpedierte --, waere das Zypernproblem zu loesen gewesen und
damit auch ein wichtiger Punkt in den Streitigkeiten mit der Tuerkei.
Nebenbei haette ein vereinigtes Zypern eine Brueckenfunktion zur Tuerkei
uebernehmen koennen -- so aber ist die zypriotische Regierung ein
Stoerfaktor in den Beziehungen zwischen der Union und der Tuerkei geworden.

Jetzt verlangt man von der Tuerkei normale Beziehungen mit Suedzypern,
waehrend man selbst nicht bereit ist, die Blockade Nordzyperns aufzugeben.
Die Tuerkei kann aber nicht so ohne weiters Suedzypern als "Zypern"
anerkennen und damit normale Beziehungen aufnehmen, wenn sie deswegen
Nordzypern verraten muesste.

Wenn dieser Pallawatsch geloest werden soll -- und dabei geht es weniger um
den EU-Beitritt der Tuerkei, sondern vor allem um das Schicksal Zyperns --,
dann kann die EU nicht einfach nur staendig Forderungen an die Tuerkei
richten. Mit der Aufnahme Suedzyperns hat die EU ein Problem, dass vorher
ein aussenpolitisches war, zu ihrem ureigensten gemacht. Jetzt muss sie
selbst damit zurande kommen. Der Ball liegt nicht bei der Tuerkei, sondern
bei der EU.
*Bernhard Redl*


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