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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Oktober 2006; 18:23
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Sri Lanka:

> Letzte Chance vor dem offenen Krieg

Kurz vor einem Dialog in Genf am bevorstehenden Wochenende stehen Sri Lankas
Regierung und die Tamilische Rebellenorganisation LTTE vor den Scherben des
Friedensprozesses. In der ersten Oktoberhaelfte floss mehr Blut als in jedem
vergleichbaren Zeitabschnitt seit der Unterzeichnung des
Waffenstillstandsabkommens im Februar 2002. Vieles spricht dafuer, dass das
Treffen in der Schweiz nicht der Beginn eines neuen Dialogprozesses wird,
sondern das Ende des Bemuehens um eine politische Loesung.

Mit einer Attacke auf die Marinebasis von Galle im aeussersten Sueden des
Landes haben die Tamil Tigers (LTTE) letzte Woche den nicht erklaerten Krieg
mitten ins singhalesische Herzland und gleichzeitig in unmittelbare Naehe
der Touristenstraende getragen. Die Botschaft ist klar: "Wir sind
militaerisch stark genug, um jederzeit ueberall zuschlagen zu koennen." Die
Regierung solle sich hueten, mit Plaenen zu spielen, den ethnischen Konflikt
militaerisch zu loesen. Wenige Tage vorher hatte die Armee bei einer
Grossoffensive auf LTTE-verwaltetes Gebiet im Norden Gefechte mit dem bisher
hoechsten Blutzoll in diesem Jahr provoziert. Mehr als 200 Kaempfer beider
Seiten wurden dabei getoetet, wenn man den jeweiligen Opferbilanzen glauben
darf. Kurz darauf starben ueber 100 Marinesoldaten bei einem
Selbstmordattentat bei Habarana, im Zentrum des Landes. Dennoch halten
Regierung wie Rebellen am Dialogtermin fest.

Dass beide Seiten dem Treffen zustimmten, ist der Ueberredungskunst und
intensiven Pendeldiplomatie norwegischer und japanischer Vermittler zu
verdanken. Die Tamil Tigers erhoffen sich von Genf weiteren Druck auf die
Regierung waehrend Praesident Mahinda Rajapakse vertrauensbildende Etappen
ueberspringen und gleich die grossen Loesungen diskutieren will. Doppelt
unter Druck steht jedenfalls die Regierung: Die internationalen Vermittler
wollen eine Gruppe von Menschenrechtsbeobachtern installieren, da die Armee
in letzter Zeit zunehmend unbeteiligte Zivilisten attackiert und ermordet
hat. Die Luftwaffe bombardierte im August ein Waisenhaus, wo ueber 50
Maedchen starben. Die Armee steht im Verdacht 17 Mitarbeiter eines
franzoesischen Hilfswerks regelrecht exekutiert zu haben. Aus dem
Tamilengebiet werden staendig selektive Morde gemeldet. Gleichzeitig muss
Rajapakse einen Plan vorlegen, wie er auf einen Spruch des Obersten
Gerichtshofs reagieren will, der das Waffenstillstandsabkommen als Ganzes in
Frage stellt. Die Hoechstrichter hatten am 16. Oktober auf Antrag der extrem
nationalistischen Partei JVP den administrativen Zusammenschluss der Nord-
und Ostprovinzen fuer ungueltig erklaert. Die Vereinigung des tamilisch
besiedelten Gebietes ist die Grundlage fuer jede Autonomieloesung. Sie wurde
vor 18 Jahren beschlossen und sollte durch Referendum abgesegnet werden. Das
wurde aber wegen des bewaffneten Kampfes und anhaltender Spannungen immer
hinausgeschoben. Trotzdem wollte keine Regierung daran ruetteln und auch die
JVP hatte diese Vorleistung fuer ein Friedensabkommen bis vor kurzem nicht
in Frage gestellt. Jetzt ist aber alles anders. Denn Rajapakse, dessen
Dialogbemuehungen immer wieder von den Nationalisten torpediert wurden, hat
einen umstrittenen Befreiungsschlag unternommen. Er will in diesen Tagen ein
Abkommen mit der UNP, der groessten Oppositionspartei, unterzeichnen, das
gemeinsames Agieren in Friedensprozess und Wirtschaftspolitik vorsieht. Fuer
die UNP steht der wirtschaftliche Aufschwung im Vordergrund. Eine Loesung
des Tamilenproblems ist die Voraussetzung fuer Investitionen und Tourismus.
Fuer die Befindlichkeit der singhalesisch-nationalistischen Kreise ist da
kein Platz.

Rajapakse riskiert viel, denn er hat keine eigene Mehrheit im Parlament.
Sollte es zu Neuwahlen kommen, wuerde er ohne Partner dastehen. Denn die UNP
bleibt ungeachtet der Besetzung einiger Kabinettsposten in Opposition und
die nationalistischen Parteien JVP und JHU fuehlen sich durch den Schwenk
verraten. JVP-Propagandasekretaer Wimal Weerawanse hat nach dem Spruch des
Obersten Gerichtshofes bereits gefordert, das Waffenstillstandsabkommen sei
fuer illegal zu erklaeren und die norwegischen Vermittler des Landes zu
verweisen.

Das waere eine offene Kriegserklaerung, fuer die die internationale
Gemeinschaft, die bisher vor allem von der LTTE mehr Konzilianz gefordert
hatte, wenig Verstaendnis haette. In Genf geht es also um viel. Die an und
fuer sich bescheidenen Ergebnisse des Treffens im Februar wurden nicht in
die Tat umgesetzt. Die sogenannte Karuna-Gruppe (eine Abspaltung von der
LTTE) operiert weiterhin als paramilitaerische Truppe im Schutz der Armee.
Bei der juengsten Offensive im Norden rueckten erstmals regulaere Soldaten
und Karuna-Leute gemeinsam vor. Ein gefangener Soldat bestaetigte gegenueber
tamilischen Medien, dass die die Operation koordiniert gewesen sei.

Sollte der Dialogversuch scheitern oder nicht zumindest eine "Roadmap" fuer
die weiteren Schritte hervorbringen, dann muss befuerchtet werden, dass die
Tamilen die Geduld verlieren und Ende November, am "Heldentag", der
gleichzeitig Geburtstag von LTTE-Chef Velupillai Prabakharan ist, den
unabhaengigen Tamilenstaat ausrufen. Das waere der Beginn eines langen
Krieges.
(Ralf Leonhard/DAZ)

Quelle:
http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=191&Itemid=104


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