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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Oktober 2006; 19:15
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Moderne Zeiten/Kommentar:

> Land der Spanner

Etwas verspaetet, wie es in technischen Dingen hierzulande manchmal
vorkommt, dafuer aber umso gruendlicher faellt das Land Oesterreich dem
Kamerawahn anheim. Vor der Nationalratswahl 2006 wurden noch schnell alle
Register gezogen, um dem Volk zu zeigen, was eine Ordnung ist und eine
oeffentliche Sicherheit.

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Als sich die Frau Innenminister zu Linz von TV-Kameras vor
Ueberwachungskameras abfeiern liess, die man extra fuer den TV-Auftritt im
oeffentlichen Raum drapiert hatte, gab das einen garstigen Vorgeschmack
darauf, was auf uns zukommt: Video-Ueberwachung in allen Lebenslagen. Egal
ob sie nicht mehr bewirkt, als das "subjektive Sicherheitsgefuehl" zu
steigern, was eines der erklaerten Ziele des Kamera-Einsatzes ist.

In Linz und Salzburg randaliert der jugendliche Uebermut nun halt woanders
als auf den ueberwachten Beisl-Meilen. In Wien hat sich die
Kleindealer-Szene vom Schwedenplatz in weniger ueberwachte Teile des
staedtischen Weichbilds wegbewegt, die schwer Suchtkranken auf dem
Karlsplatz hingegen sind geblieben und mittlerweile Akteure im Reality-TV.

In dieser Version der "Big Brother"-Show wird fuer ein noch exklusives
TV-Publikum von Polizeibeamt/inn/en vor dutzenden Kameras weiterhin gedealt,
gedrueckt und auch gestorben. Aus dieser Variante der Reality-Show werden
die Akteure naemlich durch Verhaftung, Krankheit oder Tod hinausgewaehlt.

All das laesst man sich auch etwas kosten. Allein in Wien werden 3,7
Millionen Euro in die Vollueberwachung aller U-Bahnzuege investiert, um zu
erwartende Vandalenschaeden von 200.000 Euro pro Jahr zu verhindern. Hat
schon mal irgendwer nachgerechnet, wann sich diese massive Investition von
Steuergeldern fruehestens amortisieren wird?

Vor Amtszeitende wurde von der oesterreichischen Regierung noch schnell mit
den benachbarten Innenministern die flaechendeckende Video-Ueberwachung von
Zuegen ausgemacht. Die neuesten Garnituren der OeBB wurden schon davor mit
Kameras bestueckt geliefert, sie brauchen nur noch eingeschaltet werden. Das
oesterreichische LKW-Mautsystem ist wiederum so konstruiert, dass auch alle
PKWs schon jetzt von den Maut-Kameras erfasst und eingelesen werden. Bis
jetzt - wenn es denn wahr ist - werden diese Daten noch geloescht.

Wie lange noch? Der deutsche Innenminister hat bereits angekuendigt, das
deutsche Mautsystem im Kampf gegen den Terror einzusetzen. Bald ist es auch
hier so weit, dass die Regierung anfaengt, systematisch und flaechendeckend
Zeit-Weg-Diagramme von ihren Buerger/inne/n anzulegen. Dafuer darf dann
ueber einige vollueberwachte Strecken mit Tempo 160 gebrettert werden. Ein
oesterreichischer Versicherungskonzern bietet billigere Praemien an, wenn
das Fahrzeug rund um die Uhr via Satellit geortet werden kann.

Wer sich im oeffentlichen Raum bewegt, muss erst einmal durch sein Verhalten
beweisen, dass er die oeffentliche Sicherheit nicht gefaehrdet.

Das auch in Oesterreich zu erwartende, naechste Stadium des Kamerawahns kann
dort, wo er zuallererst ausgebrochen ist, bereits besichtigt werden. In
Grossbritannien sind die urbanen Ueberwachungssysteme bereits zum Teil in
ihre interaktive Phase eingetreten. Die Bilder der Ueberwachungskameras
werden via TV live in Haushalte uebertragen, die Teilnehmer an diesem
Nachbarschafts-Reality-TV sind aufgerufen, verdaechtiges Verhalten sofort
per E-Mail oder Telefon bei der Polizei zu melden.

Das ist das eigentliche Ziel.

Staatsbuerger/innen sollen sich gefaelligst gegenseitig bespitzeln und das
bitte gleich ordentlich. Statt einem Blockwart braucht man jetzt halt viele,
weil die Polizei mit der Auswertung so vieler Bilder laengst ueberfordert
ist. Ein Nebenprodukt ist die Unterhaltung derer, die nicht am oeffentlichen
Arbeitsleben teilnehmen, weil sie Arbeitslose, Hausfrauen, Pensionisten oder
Jugendliche sind.

Waehrend sich das gemeine Volk solchermassen durch wechselweises Belauern
unterhalten soll, wird auch das subjektive Gefuehl des Wohlbefindens
gestaerkt. Man traegt zur oeffentlichen Sicherheit und Ordnung bei, man
spielt auf einmal wieder eine gesellschaftliche Rolle - und sei es die eines
kleinen Spitzels in der grossen Spanner-Republik.

Der Tag scheint nicht mehr fern, an dem man auch in Oesterreichs Haushalten
Drogenkranke live vor der Ueberwachungskamera zusammenbrechen oder
U-Bahn-Selbstmoerder zur Steigerung des Nervenkitzels der kommenden
Voyeurs-Gesellschaft bei ihren letzten Schritten sieht. (Aussendung Big
Brother Awards/gek.)

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Siehe auch: "Notizen" in der heutigen Ausgabe


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