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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. September 2006; 16:45
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Grundeinkommen/Gruene/Debatte:

3)

> Vom Kartoffelgulasch und vom Sternenregen

"Das Grundeinkommen waere tatsaechlich ein Konzept, die Gesellschaft zu
veraendern. Zugegeben, in den naechsten 20 Jahren wird es dafuer keine
Parlamentsmehrheit geben. Aber damit dieses Konzept ueberhaupt jemals eine
Chance haette, muessten progressive und oeffentlich bekannte Politiker diese
Forderung endlich einmal aufs Tapet bringen." Dies schreibt Bernhard Redl in
seiner Kritik "Halbe Sachen. Ueber die ‚Gruene Grundsicherung' und andere
Feigenheiten" (akin Nr. 21/2006). Und dann - und hier wird B. R. politisch
fahrlaessig - wirft er den Gruenen vor, sie fallen mit ihrem Eintreten fuer
eine Grundsicherung dem Projekt des "Grundeinkommens" in den Ruecken.
Fahrlaessig ist der gute Bernhard hier deshalb, weil er das
Kartoffelgulasch, das ich auf dem Volksstimme-Fest gegessen habe, mit dem
Jesuitenwiesen-Feuerwerk am naechtlichen Wiener Himmel vergleicht. Und ich
bin ein Fan von Feuerwerken.

Ein umfassendes Konzept fuer die naechsten 4 Jahre

Der derzeitige Wahlkampf-Schwerpunkt der Grundsicherung ist ein Projekt, das
die Gruenen - ob als Koalitionspartner oder Opposition - in der naechsten
Legislaturperiode verwirklichen wollen. Das Grundeinkommen ist das schoene
Feuerwerk am fernen, naechtlichen Himmel. Es wird in den naechsten 20 Jahren
noch oft gezuendet werden muessen.

Und noch in einem anderen Zusammenhang ist B. R. politisch hoechst
fahrlaessig - und das muesste ich ihm eigentlich krumm nehmen. Die gruene
Forderung nach der Grundsicherung kommt nicht isoliert als "Feigenblatt"
kompromissbereiter Gruenen daher, sondern ist eingebunden in ein umfassendes
Konzept "Raus aus der Armut", das unter anderem einen Mindestlohn (7 Euro
pro St. Brutto) vorsieht und einem Mindest-Monatseinkommen von E 1.120,-
brutto entspricht. Das Durchschnittseinkommen der erwerbstaetigen Frauen in
Oesterreich lag 2005 bei 1.075 Euro.

Mir scheint es politisch unakzeptabel zu sein, eine Grundsicherung fuer
alle, die dieser beduerfen, gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen fuer
alle Menschen unabhaengig von Einkommen (also auch fuer K. H. Grasser!),
Alter oder Stellung im Arbeitsprozess auszuspielen. Ein Grundeinkommen in
Oesterreich (derzeit 12 X € 800,- monatlich) wuerde 76, 8 Milliarden. Euro
kosten, d. h. fast die gesamten Sozialleistungen des Bundes in Oesterreich
konsumieren. Und es ist im Konzept der Grundeinkommens - und deshalb sind
auch so vielen Neo-Liberalen mit in Bernhards Boot - dass dieses an die
Stelle aller oeffentlichen Sozialleistungen tritt. Nimm deine 800 Euro im
Monat und zahl alle Sozialausgaben davon (!?). Und finanziert soll das
Grundeinkommen, so fordern es fuehrende deutsche Befuerworter, durch eine
Konsumsteuer, die als erhoehte Mehrwertsteuer alle anderen Steuern ersetzen
wird.

Die Grundsicherung ist ein Rechtsanspruch!

Ich bin nicht gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, doch fuer mich ist
noch so viel Klaerungs- und Abgrenzungsarbeit gegen rechts notwendig, dass
ich zunaechst einmal beim Konkreten, bei der bedarfsorientierten
Grundsicherung bleibe. Und zwar als ein Rechtsanspruch, der viele Betroffene
aus der unwuerdigen Rolle der Arbeitslosengeld- bzw. Sozial- oder
Notstandshilfeempfaengers befreit.

Dieser Rechtanspruch ist ein ungeheurer Fortschritt gegenueber dem Bestehen.
Fuer mich gilt, was Ursula Roschger, Gemeinderaetin und Sozialsprecherin der
Linzer Gruenen, anlaesslich einer Podiumsdiskussion der KPOe Oberoesterreich
am 31. 8. 06 in Linz ausgefuehrt hat: "Die Forderung nach Grundeinkommen,
muss abgesehen von der Finanzierbarkeit (ein existenzsicherndes
Grundeinkommen wuerde ca. 100 Milliarden Euro - Anm.: nach meiner Berechnung
mindestens 76,4 Mia.? - kosten) immer im Detail hinterfragt werden. Wie hoch
waere ein Grundeinkommen? Wie wuerde es finanziert werden? Und vor allem:
Welche Leistungen wuerde der Staat dann noch uebernehmen? Oder waeren
Sozialleistungen wie Krankenversicherung etc. dann selbst zu finanzieren?
Auf jeden Fall wuerde es das bestehende System voellig ,umkrempeln´. Auch
wuerde es zu einer Entkoppelung von Erwerbsarbeit kommen. Die sollte als
Vision immer in der Diskussion Platz haben. Doch wenn es um kurzfristige,
realistische und finanzierbare Umsetzungsschritte zur Verhinderung von Armut
geht, dann muss eine Grundsicherung her, die sich auf das bestehende System
stuetzt. Die Gruenen haben sich nach fast Jahrzehnte langer Diskussion
zwischen Grundeinkommen und Grundsicherung fuer das Modell der lebenslagen-
und bedarfsorientierten Grundsicherung entschieden. Kurz: Grundsicherung
fuer alle, die sie brauchen."

Ich bin fuers Kartoffelgulasch und trete fuer die Gruenen ein, freue mich
aber auf kommende Feuerwerke am naechtlichen Volksstimmefesthimmel.
*Dieter Schrage*


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