**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. Mai 2006; 19:34
**********************************************************

EU/Glosse:

> "Wir wollen das aber!"

Mittagsjournal hoeren kann manchmal schlecht fuer den Blutdruck sein. Meiner
war neulich wieder auf 180, wenn ich die hohen Herren und Damen der EU ueber
die ungeliebte EU-Verfassung salbadern hoere. Da kommen dann so Vorschlaege,
dass man die Verfassung doch noch beschliessen koenne, man muesse sie halt
nur umbenennen und in den Nizza-Vertrag integrieren. Oder man wartet die
naechsten Wahlen in Belgien und Frankreich ab und macht dann neue
Volksabstimmungen...

Haaaallo! Bitte aufwachen! War da nicht irgendwas einmal mit "das Recht geht
vom Volke aus"? So oder aehnlich steht es ja wohl doch in der Verfassung
jedes Teilstaates der EU. Die EU-Regierungschefs aber reden von Demokratie
und meinen Josefinismus. Sie hupfen auf und ab wie weiland das
Rumpelstilzchen und schreien: "Wir wollen das aber!"

Vielleicht haette diese Verfassung, wie ihre Apologeten sagen, tatsaechlich
einen Demokratisierungsschub gegeben. Wie gesagt: vielleicht. Und gross
waere der nicht gewesen. Und man haette sich so einiges damit auch
eingehandelt, was meiner bescheidenen Meinung nach nicht so toll gewesen
waere.

Aber das ist jetzt alles ziemlich wurscht. Es muss gar nicht mehr um die
Verfassung gehen, sondern um die EU als solche. Denn egal, wie jemand zu
dieser Verfassung steht, die Praepotenz des Rates, so zu tun, als haette es
diese Abstimmungen nicht gegeben, geben auch denjenigen recht, die in
Frankreich und Belgien eigentlich die EU selbst meinten, als sie die
Verfassung ablehnten. Denn auch fast egal, ob es sich jetzt um linke oder
rechte Kritiker gehandelt hat, alle waren frustriert, mit welch einer
Dampfwalze Kommission und Rat da durchzusetzen gedachten, was sie im stillen
Kaemmerlein ausgeheckt hatten -- so wie sie es halt immer tun. Doch diesmal
mussten sie in einigen Staaten aus Gruenden derer Einzelverfassungen
abstimmen lassen. Und die sich so ohnmaechtig fuehlenden Buerger fassten
halt diese eine Gelegenheit beim Schopf -- es war vor allem ein Votum
darueber, wie desinteressiert die Obrigkeit an ihren Untertanen ist, egal ob
es jetzt um die EU-Verfassung oder etwas anderes geht.

Nach den Abstimmungen kam eine kurze Phase der Zerknirschtheit bei der
Obrigkeit -- weniger aus Einsicht und Demut, sondern weil das Volk so dumm
ist, und die weisen Plaene nicht als solche erkennen will.

Mittlerweile haben sich die Regierungschefs aber wieder derrappelt und sind
guter Dinge, trotz dieses dummen Volkes die Perlen ihrer Genialitaet
erstrahlen lassen zu koennen. Sie sind wieder ganz die Alten. Einige
Einzelregierungen lassen derweilen munter in ihren Parlamenten diesen
Verfassungstext ratifizieren -- vollkommen ignorant der Tatsache gegenueber,
dass dieser Text bereits durch Plebiszite in anderen Laendern
zurueckgewiesen worden ist. Und im oesterreichischen Werbefernsehen werden
wir mit einer von Monty Python geklauten und in EU-Propaganda umgemodellten
Szene auf stolze Europaeer getrimmt -- zumindest versuchen sie es.

Denn das Diktum, dass die EU toll und weise ist, darf auf keinen Fall
angegriffen werden. Haette das oesterreichische Wahlvolk nach der
Propagandaschlacht 1994 den EU-Beitritt abgelehnt, haette man uns sicher
auch noch ein zweites Mal abstimmen lassen. Heute ist die Ueberzeugung, dass
die EU toll ist, eine Minderheitenposition. Der Ausgang einer Abstimmung
waere ungewiss. Nur heute wird natuerlich nicht mehr abgestimmt und von
unten gibt es auch keine Moeglichkeit, eine Abstimmung zu erzwingen. Die
oesterreichische wie auch eben diese sieche EU-Verfassung sehen derlei nicht
vor.

So schafft man frustrierte Buerger, die sich entweder kleinhalten lassen
oder irgendwann einmal rabiat werden. Citoyens, die sich ernstgenommen
fuehlen, weil sie ernstgenommen werden, schafft man mit diesem
Herrschaftsstil nicht. Nicht in Oesterreich und nicht in der EU.

Es bleibt daher dabei: Nein zur EU. Denn Oesterreich ist schlimm genug!
*Bernhard Redl*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin