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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Mai 2006; 18:23
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Glosse/Wissenschaft:

> Nicht einfach: "Cui bono?"

Die "Muslimen-Studie" und das Medienecho werfen prinzipielle Fragen auf


"Studien haben ergeben: 10 von 100 Menschen verstehen nichts von
Prozentrechnung. Das sind mehr als 17%."
Otto Waalkes


Der Schweizer Kabarettist Franz Hohler hielt einmal einen Vortrag vor
Aerzten, wo er Zahlen aus einer Studie ueber Patienten zitierte. Er laesst
diese Zahlen ein paar Minuten seiner Rede lang wirken, um dann zu
erlaeutern, dass er diese Daten frei erfunden habe. Und dann meint er noch,
dass die Zahlen zwar falsch, aber doch wenigstens beeindruckend gewesen
waeren.

Wir vertrauen wissenschaftlichen Studien. Wir koennen, bei aller
Kritikfaehigkeit, nicht alles selbst erheben. Wir muessen einfach glauben,
dass die Erde eine Kugel ist, denn nachpruefen koennen wir es nur schwer.
Selbst wenn wir mit dem Flugzeug die Erde umrunden, bekommen wir kaum mit,
ob wir jetzt immer in die gleiche Richtung fliegen. Vielleicht ist das alles
nur inszeniert, um das Dogma, dass die Welt eine Kugel ist, aufrecht zu
erhalten -- so wie man frueher das Dogma des ptolimaeischen Weltbilds
aufrecht erhalten hatte.

Zugegeben: ein absurdes Beispiel, es waere viel zu viel Aufwand, so etwas
heutzutage zu inszenieren -- vor allem deswegen, weil ausser der
Weltraumindustrie niemand etwas davon haette. Dieses Beispiel ist bewusst
absurd gewaehlt, um den Gegensatz zu weniger absurden Beispielen -- wie der
mittlerweile beruechtigten "Muslimen-Studie" -- klarzumachen. Denn in
solchen Faellen, wo der Aufwand der Inszenierung weit geringer und der
Nutzen einer solchen hoeher ist, ist unsere Kritikfaehigkeit gefragt.

Wir haben selten die Moeglichkeit, Antworten auf komplexe Fragen zu
ueberpruefen - speziell heute, in einer hochtechnisierten,
informationsueberfluteten Welt muessen wir uns auf Experten verlassen, die
uns die Antworten geben. D.h. die Antworten sind kaum zu ueberpruefen.

Bei diesen Antworten wird gerne geschummelt - besonders beliebt sind
Meinungsumfragen, speziell Wahlprognosen. da wird geflunkert, dass sich die
Balken biegen. Man erinnere sich nur an das prognostizierte
"Kopf-an-Kopf"-Rennen vor der letzten Wahl. Nach der Wahl gab ein
ausnahmsweise wohl ehrlicher Meinungsforscher zu - wohl um den Glauben an
die Seriositaet seiner Arbeit zu Lasten der Glaubwuerdigkeit der
Veroeffentlichung zu retten -, dass man sehr wohl wusste, dass Schuessel
haushoch gewinnen wuerde, ein Kopf-an-Kopf war aber eben "spannender", so
der Experte.

Wie aber sollen wir derlei ueberpruefen? Nun, die Antworten entziehen sich
grossteils unserer Kontrollmoeglichkeit - denn koennten wir sie
kontrollieren, braeuchten wir keine Studien, sondern koennten uns selbst
informieren. Das ist aber bei den vielen Fragestellungen unserer Zeit in
einem Leben nicht machbar.

Wie also koennen wir uns gegen Manipulationen wehren? Als Antwort ein
einfaches "cui bono?" hilft uns da nicht weiter. Denn nach diesem Prinzip
koennen wir einfach immer nur jene Ergebnisse ablehnen, die einer Gruppe in
der Argumentation helfen, der wir feindlich gegenueber stehen. Dann ist aber
die Studienarbeit sinnlos, denn dann bleiben wir in unseren eigenen
Vorurteilen gefangen und kommen der Wahrheit kein Stueck naeher.

Die Antworten koennen wir also meist nicht ueberpruefen, die Frage nach dem
Nutzen hilft uns auch nicht weiter in der Wahrheitsfindung, wo also waere
der Hebel der Kritik? Sind wir hoffnungslos den Experten ausgeliefert? Nein,
denn was wir sehr wohl hinterfragen koennen, ist die Fragestellung. Das
heisst: Wer fragt, wer laesst fragen, wer wird gefragt, was wird gefragt,
wie wird gefragt und vor allem: Warum wird gefragt?

Irgendwie muessen wir ja Liese Prokop dankbar sein, denn so ein schoenes
Beispiel, dass sich auch noch so muehelos zerpfluecken laesst, bekommt man
nicht alle Tage. Ihre vollkommen ueberzogene Interpretation verdeckt zwar
die tatsaechliche Studie, machte sie aber ueber Expertenkreise hinaus zum
Thema.

Gefragt hat ein Team unter der Leitung eines Menschen, dessen Hauptberuf
Richter ist, fragen liess das Innenministerium. Die Kombination sagt schon
viel ueber die Stossrichtung der Studie. Gefragt wurden 500 Menschen,
grossteils am Telefon, davon ziemlich genau jeweils die Haelfte davon
"Tuerken und Bosnier" und niemand sonst -- also handelt es sich um eine
Migranten- und Fluechtlingsstudie, nicht um eine Studie ueber Muslime. Was
und wie gefragt wird, ist der Studie nur teilweise zu entnehmen, aber die
Stossrichtung ist auch hier klar: Inwiefern sind bestimmte andere
Traditionen ein Problem fuer die hiesige Gesellschaft? Und damit waeren wir
beim "Warum?" In diesem so eindeutigen Fall ist es fast zu banal, die
Antwort zu geben: Das Innenministerium braucht immer Bedrohungsinszenarien
und die Innenministerin selbst Wahlkampfmunition. Wie serioes auch immer
einzelne Beteiligte an dieses Unterfangen herangegangen sein moegen, die
Tatsache, dass Polizei und OeVP einen Popanz brauchen, kann wohl als Fakt
angesehen werden.

Und hier kann man dann doch noch die Frage ansetzen: Wem nuetzt es? Aber
eben nur in Zusammenhang mit der Genese solcher wissenschaftlichen Werke und
in abgewandelter Form: Nuetzt das Ergebnis demjenigen, der die Studie
bezahlt oder nicht?

Waere eine vergleichbare Studie von antirassistischen Initiativen wie
beispielsweise ZARA in Auftrag gegeben worden, waere etwas anderes
herausgekommen und sie waere von den Auftraggebern auch anders interpretiert
worden. Das heisst nicht, dass in einer Studie, die dem Auftraggeber nuetzt,
nur Unsinn drinsteht, denn auch das waere falsch. Aber Misstrauen ist in
solchen Faellen sicher gesund.

Die politische Conclusio daraus: Es gilt nicht nur die aktuelle
Interpretation einer Studie oder die konkrete Studie selbst zu hinterfragen,
sondern vor allem die Kritikfaehigkeit bezueglich des Zustandekommens zu
staerken -- der Rest ergibt sich von selbst.
*Bernhard Redl*

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Wer die derzeit konkret diskutierte Studie nachlesen moechte:
http://www.bmi.gv.at/downloadarea/asyl_fremdenwesen/Perspektiven_Herausforderungen.pdf

Die dort zusammengefassten 228 Seiten (2,5 MB) liefern nicht nur die
eigentliche diskutierte Studie, sondern auch eine vergleichende Studie ueber
die oeffentlich rechtliche Situation von Muslimen in ausgewaehlten
westeuropaeischen Laendern und eine Medienanlyse fuer Oesterreich und
international.



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