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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Maerz 2006; 17:11
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EU/Tuerkei/Irak/USA:

> Der "Krieg gegen den Terror" in Europa

Zwei Meldungen und ein Kommentar

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Belgien: 6 Jahre Haft fuer DHKP/C-Unterstuetzung

Am 28. Februar wurden politische Aktivisten in Belgien zu schweren Strafen
verurteilt, von 4 bis zu 6 Jahren Haft. Der Grund: Mitgliedschaft
beziehungsweise politische Unterstuetzung fuer die tuerkische
"Revolutionaere Befreiungsparteifront" (DHKP-C). Diese Urteile wurden
moeglich durch die "antiterroristischen" Gesetze, welche im Zuge des
US-amerikanischen praeemptiven Terrorkrieges beschlossen worden waren.

In dem Prozess in Brugge standen 11 Personen vor Gericht, von denen vier
freigesprochen und 7 verurteilt wurden. Die entscheidende politische Neuheit
hierbei ist, dass das Urteil sich nicht auf irgendein Vergehen bezieht, das
gemaess den traditionellen Strafgesetzbuechern zu verurteilen waere. Auch
ging es nicht um die konkrete Beteiligung an militaerischen Aktionen gegen
den tuerkischen Staat bei diesem Prozess. Die Grundlage des Urteils war,
dass alle schuldig befunden wurden, Mitglieder in einer von der EU als
terroristisch bezeichneten Organisation zu sein.

Besonders pikant ist dabei der Fall von Feriye Erdal. Vor einigen Jahren
wurde sie freigesprochen von der Anklage des Terrorismus und die
Auslieferung an die Tuerkei wurde von eben derselben belgischen Justiz
abgelehnt. Die tuerkische Presse sah daraufhin rot und der diplomatische
Druck auf Belgien wurde seit damals immer groesser. Jetzt wurde sie (in
Abwesenheit) zu vier Jahren Haft verurteilt.
(Aussendung Antiimperialistische Koordination (1)/bearb.)

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Berlin: Polizei erteilte Redeverbot

Die Polizei hat am Wochenende in Berlin und Hamburg Veranstaltungen mit dem
Mitbegruender der »Irakischen Patriotischen Allianz« (IPA), Awni Al Kalemji,
verhindert. Al Kalemji wollte aus Anlass des dritten Jahrestages des
US-Angriffs auf den Irak im Rahmen einer Vortragsreise ueber die
Kriegsverbrechen der US-Streitkraefte und den Widerstand dagegen referieren.

Bereits am Samstag nachmittag war eine Hundertschaft der Berliner Polizei
vor dem Veranstaltungsraum aufgezogen und hatte wahllos Personalien von
Passanten kontrolliert. Zwei Beamte des Landeskriminalamtes versuchten, sich
als »Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht« Zugang zum Veranstaltungsraum zu
verschaffen. Eine Begruendung fuer das martialische Polizeiaufgebot wurde
den Veranstaltern verweigert. Ebenso erging es der um Unterstuetzung
gebetenen Bundestagsabgeordneten und innenpolitischen Sprecherin der
Linkspartei, Ulla Jelpke. Erst nach diversen Telefonaten mit verschiedenen
Polizeidienststellen gelang es ihr, die Gruende fuer den Einsatz zu
erfahren. Gegen Al Kalemji sei ein Rede- und Auftrittsverbot erlassen
worden, sagte ein Mitarbeiter des LKA. Widersetze er sich, werde er sofort
festgenommen. Ein Sprecher der Polizeidirektion Berlin-Mitte sagte, der
Auftritt eines »Hasspredigers« solle verhindert werden.

Das gleiche spielte sich am Sonntag in Hamburg ab. Auch hier wartete eine
Hundertschaft der Polizei vor dem Veranstaltungslokal auf das Erscheinen von
Al Kalemji. Der war jedoch vorgewarnt und kam nicht.

In Deutschland ist seit Anfang 2005 der Hassprediger-Paragraph zum
Zuwanderungsgesetzes in Kraft. Eine Person auslaendischer Nationalitaet, die
"in einer Weise, die geeignet ist, die oeffentliche Sicherheit und Ordnung
zu stoeren, zum Hass gegen Teile der Bevoelkerung aufstachelt oder zu
Gewalt- oder Willkuermassnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwuerde
anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevoelkerung beschimpft,
boeswillig veraechtlich macht oder verleumdet." (§55 Abs. 2 Nr 8b ZuWG) ist
seither - neben einer strafrechtlichen Sanktionierung - auch von Ausweisung
bedroht.

Ein Gesetzesvorhaben der britischen Regierung, nach dem Hassprediger haetten
bestraft werden koennen, wurde Anfang 2006 mit 283 zu 282 Stimmen wegen
Bedenken bezueglich der Meinungsfreiheit vom Parlament abgelehnt.
(Junge Welt(2), Wikipedia/akin)

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Kommentar: Die Werte der EU

Die DHKP-C ist sicher kein Lamperl-Verein. Die AIK ist auch nicht unbedingt
eine Quelle, der ich bedingungslos vertrauen wuerde. Und nicht mit jedem
Aktivisten des Widerstands gegen die neue irakische Regierung und die
US-Truppen wuerde ich gerne freundschaftlich auf einen Kaffee gehen. Aber:
Die Quellenlage bezueglich solcher Geschichten beschraenkt sich derzeit
nunmal entweder nur auf solidarische Berichterstattung oder man darf sich
noch ueber ein paar wenige journalistische Brosamen aus der buergerlichen
Presse stuerzen, die offensichtlich Polizeiberichten entstammen. Und: Die
Zustaende in jenen Laendern, gegen die sich die kriminalisierten Aktivisten
richten, sind alles andere als demokratisch. Die Tuerkei ist eine nur
schlecht getarnte Militaerdiktatur und der Irak ist in seiner Souveraenitaet
wohl von seinen Besatzern immer noch wesentlich eingeschraenkt - um es
hoeflich auszudruecken.

Nur will man halt, was den Irak angeht, es sich nicht mit den USA
verscherzen. Und bei der Tuerkei handelt es sich um einen Nato-Staat, den
man derzeit gerne in eine Demokratie umschwindeln will, damit es mit dem
EU-Beitritt irgendwann einmal doch klappen koennte.

Da muss man die Opposition gegen diese Regierungen mundtot machen - nur das
kann man aus diesen Meldungen herauslesen. Und zwar mundtot im
wortwoertlichen Sinne, denn es geht ja offensichtlich kaum um eine
tatsaechliche Verbindung mit militanten Aktionen, sondern um
Meinungsdelikte. Jetzt ist es schon verstaendlich, wenn Gesetzgeber
versuchen, gefaehrliche Verhetzung einzudaemmen. Aber wenn das geschieht,
ist wohl groesste Vorsicht geboten. Doch die findet wohl immer weniger
Anwendung. Was eine erlaubte Meinung ist und was nicht, scheint in vielen
Laendern der EU derzeit immer weiter eingeschraenkt zu werden und das macht
schon ein wenig nachdenklich. Sind das die vielzitierten humanistischen
Werte der EU?

Bald sind wir soweit, dass in der EU Kritik an fremden Regierungen, mit
denen sie im Bandl ist, generell kriminalisiert werden wird. Dann kommt bald
auch die Kritik an der eigenen Regierung dran - das wird die Folge sein,
wenn nicht rechtzeitig solchen Tendenzen Einhalt geboten wird.

Von der buergerlichen Presse ist da nicht viel zu hoffen - die schaffen es
ja nicht mal, diese Dinge einigermassen serioes zu berichten. Von kritischen
Kommentaren ganz zu schweigen.
*Bernhard Redl*

Quellen:
(1)
http://www.antiimperialista.org/index.php?option=com_content&task=view&id=4237&Itemid=82
(2) http://www.jungewelt.de/2006/03-13/026.php



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