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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Jaenner 2006; 17:59
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"Kommunismus"/Debatte:

In akin 1/06 (akin-pd 10.1.2006) berichteten wir ueber eine geplante
Resolution des Europarats mit dem Titel "Ueber die Notwendigkeit der
internationalen Verurteilung der Verbrechen totalitaerer kommunistischer
Regimes" und dokumentierten den Protest des griechischen
Widerstandskaempfers und Komponisten Mikis Theodorakis. Darauf entspann sich
folgende Debatte:


> Demagogische Verdrehung

Ich beziehe mich auf den ungekuerzten, unter http://www.kommunisten.at
veroeffentlichten, uebersetzten Text von Mikis Theodorakis.

Verbrechen sollten untersucht werden, um ihre Ursachen zu erforschen und um
sie in Zukunft verhindern zu koennen. Sie sollten untersucht werden ohne
Ansehen der Person oder der Ideologie, ob begangen von einem ehemaligen
US-Aussenminister oder einem chilenischen Ex-Diktator, ob im Namen des
Nationalsozialismus, des radikalen Islamismus oder... des Kommunismus.
Selbstverstaendlich soll sich der Europarat mit ihnen befassen, denn die
Verbrechen im Namen des Kommunismus gehoeren zu den allerschlimmsten der
Menschheitsgeschichte. Zeitgeschichtlich -- begannen sie sogar lange VOR den
Naziverbrechen. Schon 1919 ermordete die Sowjetunion zur Durchsetzung der
Zwangskollektivierung von Bauern zahllose Menschen. Allerdings waren die
Verbrechen damals nicht bekannt. Alle Verbrecher bemuehen sich, ihre
Verbrechen geheim zu halten. Auch die Judenvernichtung war streng geheim.
Stalins Verbrechen wurden erst nach dessen Tod in einer aeusserst kurzen
Aera der Selbstkritik der Sowjetunion bekannt und die von Lenin sogar erst
Ende der 80er.

Apropos Selbstkritik. Ich kenne keine Ideologie, die weniger selbstkritisch
war. Der Kommunismus verkuendete pausenlos Frieden, Freiheit und Wohlstand
fuer alle und rief fast immer das Gegenteil samt mystisch verklaertem
Fuehrerkult hervor. Selbstkritik, so etwas gab es nicht bei der
kommunistischen Partei, beim Parteikongress und schon gar nicht bei einem
kommunistischen Fuehrer. Kaum eine Ideologie war manipulativer,
propagandistischer und selbstbeweihraeuchender. Das hat vielleicht mit
diesem "Gutmenschentum" zu tun. Ein "guter" Mensch, der immer und ueberall
"Gutes" hervorrufen will, kann nicht glauben, wenn er dabei Verbrechen
begeht. Eigentlich mochte ich den Saenger Mikis Theodorakis, seine Musik und
seinen antifaschistischen Kampf. Eine Illusion! Seine Stellungnahme zum
Europarat bedeutet Leugnung und Verharmlosung von Kapitalverbrechen. Warum
sollte man die Sache anders beurteilen als bei einem Nazi, der den Holocaust
leugnet, Dresden gegen London aufrechnet und nur Hiroshima sieht, aber nicht
die Millionen Toten des mit Nazideutschland befreundeten japanischen
Kaiserreichs?

Aeusserst interessant ist -- bedenkt man die Krise, in der sich die Linke
heute befindet -- seine Argumentation: Die Verbrechen der einen (radikale
Islamisten, irakische Terroristen,...) werden verharmlost, die der anderen
(USA) total ueberzeichnet. Auch das unselige "USA-ist-gleich-Nazis" muss
her: "...die USA, die mit Hitler-Methoden ganze Voelker hinopfern, wie im
Irak, das sie in ein zerstoertes Land verwandelt haben...". Nun, ganz im
Gegenteil, die USA haben niemals irgendwo Voelker hingeopfert, sondern
vielmehr Kurden, Taiwanesen, Tibeter, Kosovo-Albaner, Afghanen, Juden und
viele andere vor Verfolgung in Schutz genommen. Auch den Irak hat nicht die
USA zerstoert, sondern Saddam Hussein als er 1981 sein Volk in einen
unsinnigen, verlustreichen Krieg um ein paar oelreiche Gebiete (da ging es
wirklich ums Oel!!!) zwang. Und jetzt wird der von den USA personell und
finanziell betriebene Wiederaufbau des Staates von (grossteils
auslaendischen) Terroristen mit aeusserst brutalen Methoden wie Attentaten
und Entfuehrungen behindert. Theodorakis preist die Vernichter und
beschimpft jene, die helfen! Tatsache ist, dass Guantanamo sogar tagtaeglich
in der europaeischen Politik vorkommt, dass Strafmassnahmen gegen Staaten,
die angeblich CIA-Gefaengnisse unterhielten, ueberlegt werden, dass die USA
auf Foltervorwuerfe laengst mit einem Anti-Folter-Gesetz reagiert haben,
dass die Verantwortlichen der Abu-Ghraib-Folterer laengst zu empfindlichen
Haftstrafen verurteilt sind, dennoch, laut Theodorakis sind die USA "voll
mit amerikanischen Gefaengnissen, in denen taeglich Tausende unschuldiger
Opfer auf grauenvolle Weise gequaelt werden", worueber "der Europarat kein
Wort" verliert, "ebensowenig ueber das moderne hitlerische Folterlager von
Guantánamo."

Europa ist "zu einem Tummelplatz fuer die Flugzeuge der CIA geworden",
beladen "mit Menschen, die jeglicher Rechte beraubt wurden". Das ist
schlimmste demagogische Verdrehung der Wahrheit und ich kann mir gut
vorstellen, dass Mikis Theodorakis ausser propagandistische, manipulierte
und tatsachenverwaesserte Kommentare in der griechischen KP-Presse keine
anderen Informationsquellen heranzieht. Ein derart prominenter Mann, der
seine Bekanntheit fuer solch anti-amerikanischen und anti-europaeischen
Populismus benutzt, handelt selbst verantwortungslos und schaendlich! Er
spricht sicher nicht im "Namen" von im antifaschistischen Kampf gefallenen
"Toten", sondern fuer eine pro-faschistische Linke, die Verbrechen des
Kommunismus leugnet, Methoden und Ziele des irakischen Widerstands gutheisst
und den Religions-Faschismus des radikalen Islamismus gegenueber den USA in
Schutz nimmt. Damit geraet sie in gefaehrliche Naehe, zukuenftige Attentate
gegen unschuldige Menschen in den Demokratien des Westens nicht nur
rhetorisch zu verharmlosen und zu entschuldigen, sondern sogar zu
unterstuetzen und ihnen damit erst Recht Vorschub zu leisten.

*Thomas Herzel*


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Zwei Antworten aus der Redaktion:

> Herzel hat den Bogen weit ueberspannt

Meistens neigen wir dazu, dich, Thomas, zu Wort kommen zu lassen. Wenn
genuegend Zeit ist, scheint mir das dann so eine Art Schreibuebung zu sein,
dir zu antworten, denn deine Aeusserungen gleichen einander wie ein Ei dem
anderen: Links ist boese und hat nur verbrecherische Systeme hervorgerufen.
Die Rechten stehen viel zu sehr am Pranger, die USA agieren als selbstlose
Verteidiger aller buergerlich-kapitalistischen Staaten. Diese werden
selbstredend andauernd vom ach so boesen Kommunismus bedroht. Nun gut, so
denkst du nunmal, es scheint dir sogar ein besonderes Beduerfnis zu sein,
deine Standpunkte gerade in der akin wiederzukaeuen. Jetzt wuerde ich mich
unter anderen Umstaenden mit dir heftig herumstreiten, warum wir Linke sind
und du jemand, der Linken die 'verbrecherische' Vergangenheit vorzuwerfen
pflegt.

Alles waere wie immer - aber du hast diesmal eine eindeutige Grenze
ueberschritten. Du hast dich mit deinen Tiraden an einen Mann gewagt, der
Krieg, Folter und Terrorregime selbst erlebt hat. Abgesehen vom Nazi-Terror
wurde Mikis Theodorakis auch von der griechischen Militaet-Junta inhaftiert.
Thomas - in welcher grauenhaft gleichmacherischen Welt lebst du? Hast du sie
noch alle? Willst du im Ernst die Verbrechen der Nazis und der Junta durch
die 'Verbrechen' der Kommunisten rehabilitieren - denn das tust du damit!

Es ist mir unbegreiflich, wie du einen ehemaligen KZ-Haeftling wie
Theodorakis in deine schraege Weltsicht einbauen kannst. Nur, weil er als
80jaehriger nach wie vor revolutionaere Texte veroeffentlichen laesst? Waere
es dir lieber, dass die Militaer-Junta Griechenland nach wie vor
tyrannisiert? Oder - um den Faden weiterzuspinnen - haette der
kommunistische Widerstand gegen Nazi-Deutschland nicht stattfinden sollen?
Sag' es, was und vor allem wie du es meinst. Du schwebst in einer Wolke der
spontanen Ahnungslosigkeit, die Bilder entstehen laesst, die ausschliesslich
fuer den Sofortgebrauch gelten. Thomas, du hast absolut keine Schimmer von
Geschichte - zumindestens der des 19en und 20en Jahrhunderts. Oder haben
sich die Kommunisten deshalb gegruendet, weil ihnen so entsetzlich fad war,
und sie die Kapitalisten einfach nur abschaffen wollten, weil die Linken
bessere Sportplaetze hatten? Sei mir nicht boes` - dieser unertraegliche
Versuch der Gleichmacherei ist weder historisch haltbar noch besonders
originell. Es gibt und gab keine gleiche Welt, die als Richtschnur dienen
koennte, lieber Thomas, jeder Zentimeter wurde staendig erkaempft. Waehrend
wir gemuetlich an unseren Antworten herumbasteln, vernichtet ein einziger
sinkender Boersenkurs die Existenz ganzer Landstriche in einem
Entwicklungsland. Die womoeglich kapitalistische Buergerlichkeit kannst du
nur anstreben, wenn du nicht zu den Verlierern gehoerst.

In deinem vereinfachten Weltbild existieren die USA als Feindbilder der
Linken - aber glaub` es mir, die 'einfachen' Menschen koennen niemals unsere
Feinde sein. Unsere Feindschaft gilt den Systemen, die Repraesentanten einer
wahnwitzigen Ausbeutung hervorbringen. Unsere vehemente Ablehnung gilt einer
Weltwirtschaftsordnung, die Menschen - aehnlich einem Schachspiel - hin- und
herplaziert oder einfach aus dem Spiel wirft, um die Gewinne zu erhoehen.
Solange ein Spekulant wie Soros die Wirtschaft und somit die
Einkommensverhaeltnisse eines ganzen Landes bestimmen kann, muessen die
Boersen bekaempft werden. Und: soweit die EU mit jeder 'Verordnung' die
Kapitalflucht der Konzerne schuetzt, kann es keine Vereinbarungen mit dem
monetaeren System 'Europa' geben. Und jetzt schau, Thomas, was uns als
Feindbilder praesentiert wird, um von den wirklichen Bedrohungen abzulenken:
'Fluechtlingsstroeme'. Also arme Schweine, die nach Europa fluechten, um ein
kleines bisschen am 'Reichtum' teilzunehmen.
*Fritz Pletzl*

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> Das alte Lied neu gesungen

Ich glaube nicht, dass die akin im Geruch des Stalinismus steht --
schliesslich wurde sie von einer Gruppe (der foej) gegruendet, die ihre
Parteiunabhaengigkeit genau in der Ablehnung des Stalinismus begruendete.
Die Niederwalzung des Prager Fruehlings ist der Grund, warum diese
Organisation sich von der KPOe abspaltete und daher auch der Grund dafuer,
dass die akin entstanden ist.

Politische Gruppierungen muessen sich aber immer wieder fragen lassen,
inwieweit ihr althergebrachtes Selbstverstaendnis noch etwas mit ihrer
aktuell gelebten Realitaet zu tun hat. Ergo ist es legitim, zu fragen, ob
wir nicht den Stalinismus verharmlosen. Tatsaechlich sind wir schon lange
nicht mehr ueber Stalinisten hergezogen -- doch wozu auch? Die "Rote Armee"
ist heute eine Wodka-Sorte und nichts weiter. In der politischen Realitaet
spielen Stalinisten keine Rolle mehr und die Frage ob Stalin oder Breschnew
vielleicht doch recht gehabt haetten, ist fuer uns ungefaehr so relevant,
wie die Frage, ob es einen Gott gaebe, oder ob die Erde nicht vielleicht
doch eine Scheibe waere.

Daher hatten wir auch keine Probleme damit, Theodorakis´ Protest
nachzudrucken. Denn Kommunismus ist fuer uns nicht die Ideologie Stalins.
Dass Andere das anders sehen ist uns schon bewusst -- jahrzehntelang haben
Buergerliche, Faschisten und auch orthodoxe KPler uns eingeredet, dass die
Sowjetunion der wahre Hort des Kommunismus sei. Die Folge: "Kommunismus" war
ein Synonym fuer den GULAG geworden.

Diese Gleichsetzung hat der Rechten weltweit immer sehr gut gefallen und sie
hat sie dazu benutzt, staendig alle Linken als Stalinisten zu denunzieren --
"Ihr werdets doch von Moskau bezahlt!" Den Spruch haben wir uns lange genug
anhoeren duerfen.

Irgendwie zieht der Spruch aber nicht mehr. Denn Vladimir Putin ist zwar ein
ehemaliger KGB-Offizier, aber wer heute noch meint, dass wir von ihm Geld
bekommen koennten, hat in den letzten eineinhalb Jahrzehnten nicht mal die
Kronenzeitung gelesen.

Das muss man jetzt anders machen. Vor allem da weltweit ernsthaft linke
Parteien wieder Aufschwung erhalten -- nicht nur in Lateinamerika, sondern
z.B. auch in Deutschland. Selbst hier im kleinen, stockkonservativen
Oesterreich koennte es passieren, dass die KPOe mittels steirischem
Grundmandat in den naechsten Nationalrat einzieht. Derlei Tendenzen sind in
vielen europaeischen Staaten zu beobachten -- es ist Feuer am Dach, denn das
Gespenst geht wieder um in Europa. Zwar nicht mehr so bedrohlich wie zur
Jahrhundertwende, aber immerhin laestig.

Also beginnt man die Verbrechen "des Kommunismus" zu denunzieren. Denn da es
keinen Ostblock mehr gibt und als Beispiel fuer derlei Regime einem nur mehr
Nordkorea einfaellt, stellt man sich die Frage, wozu eine solche Initiative
denn gut sein soll. Historisches Interesse kann es nicht sein, denn das
Treiben der Stalinisten ist besser dokumentiert als die meisten anderen
politische Verbrechen.

Nein, der Grund ist der, dass man die heutige Linke (ob sie sich nun
"kommunistisch" nennt oder nicht) wieder besser in den Griff bekommen
moechte: Mit der klassischen Methode der Verleumdung und Kriminalisierung.

Es geht also um den Antikommunismus alter Schule mit neuen Methoden. Und
dagegen muss man protestieren.
*Bernhard Redl*



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